Fünfundsiebenzigstes Kapitel.

Gewetzte Degen.

[652] Der Lärm war ein wirres Stimmenmeer, unterbrochen von schallendem Gelächter. Ein schärfer Ohr hätte das Klirren von Stahl herausgehört, aber die Fenster, die ringsum von Neugierigen aufgeschlagen wurden, ließen es nicht zu. Auch der Minister öffnete einen Flügel: »Wahrscheinlich wieder ein Theaterfurore!« – »Die Schick spielt heut die Elisabeth und die Unzelmann die Maria Stuart,« bemerkte Walter. »Man sprach davon, daß es unter ihren Anhängern einen Skandal geben könne.« – Der Minister blickte hinaus: »Ich sehe Uniformen, wenn ich nicht irre, Gensdarmen. – Der Lärm kommt näher.« Das Gelächter war jetzt mit lebhaften Hussas, Bravos und einem schrillen Pfeifen untermischt. »Etwa noch eine Schlittenfahrt! Daß Gott erbarm, diese Menschen lernen nichts.« Eine Menschenmasse wälzte sich auf die Straße zu, und die klappenden Hacken auf dem Pflaster deuteten auf ein Laufen. Eine Art Verfolgung musste sein, aber die Verfolgten, wie immer Straßenjungen voran, jauchzten zugleich wie in einem Triumphgesang. »Die Sache wird ernsthafter. Sie möchten sich umsehn, Asten, was es giebt.«

Die Dienerschaft unten hatte sich schon umgesehen und der Haushofmeister kam eben mit einem Rapport herauf, der von den Ausrufungen, die man jetzt deutlich von der Straße hörte, unterstützt ward.

Es war allerdings ein Straßenskandal, doch ernsterer Art. Viel junge Gensdarmen und Garde du Corps waren von einem lustigen Gelage in Charlottenburg spät zurückgekehrt. Der Wein sollte in Strömen geflossen sein. Gläser klangen, zerbrachen, einige waren sogar durch die Fenster geflogen. Es galt aber weder der Schick noch der Unzelmann, sondern den Franzosen und Napoleon. Man hatte sich in einen Harnisch getrunken, gesungen und votirt. Beim weiten Wege durch den nächtlichen Thiergarten war der Rausch nicht verraucht, vielleicht hatte der Anblick der Viktoria auf dem Brandenburger Thore ihn noch erhöht. Die Kühnsten vorauf waren als Sieger durchgesprengt. Wo es beschlossen worden, ob hier erst, oder schon in Charlottenburg, weiß man nicht. Plötzlich war man abgesessen und nach dem Hotel des französischen Gesandten gezogen. Der eigentliche Hergang ward verschieden erzählt, man hatte Ursache, die Sache zu vertuschen. Ob man Spottweisen angestimmt, was man schrie, welche Reden man sich gegen den Bevollmächtigten des französischen Kaisers erlaubt, blieb unausgemacht, aber junge Offiziere hatten ihre Säbel[652] gezogen, und auf den Treppenstufen zum Hotel gewetzt. Es konnte im Dunkeln geschehen. Weder die Sterne am Himmel, noch die spärliche Straßenbeleuchtung machten die Uebermüthigen kenntlich. Aber plötzlich, wie durch einen Zauberschlag, wurde es im Hotel hell. Die Fenster, von denen man die Läden fortriß, glänzten von so schnell angezündeten Kerzen, daß die Vermuthung wenigstens da war, der Ambassadeur habe, wie von Allem, auch von diesem Impromptu Witterung gehabt. Symbol für Symbol. Wir kündigen den Frieden, rief der Klang; ich nehme die Kündigung an, antwortete der Lichterschein. Uebrigens blieb es todtenstill im Haus, kein Kopf zeigte sich an den Fenstern.

Die älteren und besonneneren Offiziere waren bei dieser unheimlichen Manifestation zurückgesprungen, und hüllten sich in ihre Mäntel. Nur einige jüngere, in denen der Wein glühte, waren durch den Lichtschein, auch wohl durch die Akklamationen des Straßenpublikums, das sich in immer dichteren Schaaren sammelte, noch mehr entzündet. Aber während ihre geschwungenen Pallasche funkelten, vernahmen Andere schon deutlich Hufschlag und in der Scheide klirrende Säbel. War auch hier ein Verrath, eine Denunziation, eine geheime Sympathie im Spiele? Die Thatsache war, im Gouvernementsgebäude musste der Feldmarschall Möllendorf, oder wer ihn vertrat, wach gewesen sein, denn Husaren und Polizeidiener sprengten heran, um dem Unfug zu steuern, die Thäter zu ergreifen.

Der Lärm wuchs. Die sympathisirenden Zuschauer bildeten noch einen Wall gegen die andringende Polizeimacht. Unter den besonnenen Theilnehmern an dem Abenteuer war die Gewissensfrage, ob sie für ihre Personen sich ins Dunkel salviren, und die jüngern Unbesonnenen, die nichts von der Gefahr ahnten, ihrem Schicksal überlassen sollten, oder ob ihre Pflicht erheische, sie mit ihnen zu theilen? Bei einem Rittmeister, den mittleren Jahren näher als denen der Jugend, war der Entschluß schnell zum Durchbruch gekommen, denn aus dem Dunkel der Bäume, wo er sich den Mantel schon fest umgeknöpft, sprang er plötzlich zurück, umfasste einen jüngern Offizier, der eben mit seiner Degenspitze eine Scheibe im Fenster des Erdgeschosses berührte – in welcher Absicht, wusste der junge Mensch nachher selbst nicht – und mit den Worten: »Fritz, bist Du toll?« schleuderte oder riß der starke Mann ihn zurück. Fritz schrie Worte, die vor jedem Gericht als Landesverrath gelten mussten, der Rittmeister küsste sie ihm von den Lippen: »Ja, Fritz, wenn's losgeht, schlagen wir ihn mit einander todt. Du nicht allein. Fritz, Respect, ich bin Dein Onkel, Dein Chef, ich schlage mit. Aber jetzt, Ordre parirt! – Mäuschenstill!« Damit hatte er den eigenen Mantel losgerissen und um[653] die Schultern des Neffen geknüpft. Der Neffe parirte auch, er schulterte, ein Gliedermann, aber in der Hand den blanken Degen. – »Platz! Platz!« riefen die Polizeimänner. – »Retten Sie sich!« riefen viele Stimmen aus den Gruppen; die Gruppen machten diesmal Partei mit Offizieren und Junkern, deren Uebermuth so oft doch ihre lauten Aeußerungen des Unwillens hervorgerufen hatte. Der Rittmeister hatte rasch den Pallasch seinem Neffen aus der Hand gerissen und ebenso rasch hatten wohlmeinende Bürger den jungen Offizier untergefasst und ins Gedränge geführt. Er war gerettet, aber sein Retter – in der leuchtenden Uniform, den blanken Degen in der Hand! »Da steht er!« rief der Kommandirende der Patrouille und meinte wohl damit denjenigen, den die Reiter schon von fern gesehen, mit der Degenspitze an den Fenstern klirren. »Platz! Platz!« Der Platz aber war gerade das, was fehlte und wo er noch war, trat die hülfreiche Straßenjugend ein, ihn zu versperren. Es war von je in ihrer Art, die Polizei zu necken, und wir verschwören nicht, daß sie der Patrouille falsche Weisung gab, um ihren Eifer vom gesuchten Ziele abzulenken.

Aber auch der Rittmeister fühlte sich plötzlich von einem Mann unter den Arm gefasst und fortgerissen. »Eilen Sie, schnell dort um die Ecke!« rief eine ihm nicht unbekannte Stimme. Als sie um die Ecke waren, und der Offizier einen Augenblick Athem schöpfte, erkannte er wohl in dem Dienstbeflissenen den Sohn seines Freundes van Asten, der nur einen andern ihm früher erzeigten Dienst vergolten hatte; es überkamen ihn aber andre Empfindungen, als die des Dankgefühls, indem er den Schweiß von der Stirn wischte. »Ein Offizier darf doch nicht Reißaus nehmen!«

»Nicht vor dem Feinde,« entgegnete Walter, »aber vor einem Skandal. Schnell fort, bester Herr von Dohleneck.«

Der Herr von Dohleneck, der, wenn auch nicht so viel als sein Neffe, doch auch viel des süßen Weines getrunken hatte, erhob den blanken Degen in die Luft: »Stehen oder fallen!«

»Gegen die Franzosen, Rittmeister, nicht gegen die Polizei.«

Er zog ihn weiter. Aber der Rittmeister blieb wieder stehen. Er lehnte sich an einen Brunnen. »Das ist ja eine verfluchte Geschichte –« »Die noch übler werden kann. Eine Verhöhnung des Gesandten, eine Verletzung des Völkerrechtes. Um Gotteswillen kommen Sie, schnell – weiter. – Werfen Sie den Degen fort!« – »Ein Stier von Dohleneck seinen Degen fortwerfen! – Wer sagt das!« – »Es ist ja nicht Ihr Degen. Ein fremder Pallasch, den Sie einem Ruhestörer aus der Hand rissen. Ihr Degen steckt ruhig in der Scheide. – Ich will's bezeugen, wenn's zum Schlimmsten kommt. Sie wollten nur Ordnung herstellen, Sie[654] haben Ihren Degen nicht gewetzt. – Aber es darf nicht zum Schlimmen kommen. Es könnte sehr schlimm werden, außerordentlich schlimm, Herr von Dohleneck.«

»Hol' mich der und jener, das ist grade eine Geschichte wie damals bei der Schlittenfahrt –« »Schlimmer,« drängte Walter; »damals profanirten Sie Luther, der es Ihnen gewiß vergeben hat, heut Bonaparte, der es nie vergiebt, nicht Ihnen, nicht uns, nicht dem Könige.« – »Der König auch nicht!« rief der Rittmeister. »Ach Gott, ich bin ja Katharina von Bora.« – »Besinnen Sie sich.« – »Nein – richtig – ich war nur ihr Kammermädchen. Das ist alles eins. Wenn er's erfährt, bin ich kassirt.« – »Theuerster Herr von Dohleneck, ich wünschte, die Weihe der Kraft überkäme Sie, und Sie beschleunigten Ihre Schritte.«

Dabei blickte sich Walter um, ob nicht irgendwo eine Hausthür sich öffne, in die er seinen Begleiter schieben könnte. Aber es war einige ruhige Straße, man hatte mit der Bürgerglocke geschlossen. Nur an den erhellten obern Fenstern blickten Neugierige heraus. Es war nicht der aufsteigende Weingeist, der schwarze Bilder vor Dohlenecks Hirn malte. Jene berüchtigte Schlittenfahrt der Gensdarmen-Offiziere, in der sie Luther, Katharina von Bora und deren Klosterkonviktualinnen in sehr frivoler Nebenbedeutung dargestellt, ein Ereigniß, das ganz Berlin in Aufruhr gebracht, hatte den langmüthigsten König aufs Empfindlichste gereizt: sein eigner Wille war diesmal durchgedrungen, und wenn die Thäter auch nicht so gestraft wurden, wie er für angemessen hielt, wurden doch die Urheber des Unfugs gestraft, seit langer Zeit ein Ereigniß, was noch mehr überraschte, noch mehr von sich sprechen machte, als der tolle Streich selbst. Er brauchte nicht der Erklärung, die man versucht hatte, daß dieser oder jener Minister, oder ihre Frauen, eine Pique gegen einen oder den andern der Offiziere gehabt, es war der religiöse Sinn des Monarchen, der die Profanationen rächte. Man wusste auch schon, daß er derartige Kränkungen nicht vergaß, und Die, welche damals der Strafe entgangen waren, blieben doch in seinem vortrefflichen Gedächtniß notirt.

Da rollte eine Equipage vorüber, von links und rechts, von beiden Seiten der Straße zeigten sich berittene Piquets. Das Halt! welches Walter dem Kutscher zurief, hatte eine glückliche Wirkung. Das war ein Moment. Im zweiten hatte er den Kutschenschlag aufgerissen. Es saß nur eine Dame darin. Walter rief hinein: »Wer Sie auch sind, es gilt, einen Verfolgten retten. Kein Widerspruch, kein Laut!«

Man wird sich nicht wundern, wenn die Dame, trotz des kategorischen Befehls, ihm nicht ganz nachkam, denn welche Dame in[655] gleicher Lage mit der Baronin Eitelbach erschräke nicht, wenn auf solche Anmeldung ein Offizier mit blankem Degen ohne ein Wort, ohne einen Laut zu ihr in den Wagen springt. Sie schrie auf: »Herr Jesus, was ist das!« – Das folgende: »Er bringt mich um!« erstickte aber schon auf ihren Lippen, als von denen des Offiziers unter einem schweren Seufzer zuerst ein Fluch hervorbrach, dann die Worte: »Ich kann nicht dafür!« Sie mochte die Stimme früher erkannt haben als den Mann, der auf den Rücksitz – halb sank er hin, halb warf er sich. Der Degen rollte aus seiner Hand. Die Baronin fing ihn auf; er war scharf – natürlich er war gewetzt, und an den Sandsteinstufen des französischen Gesandten! – und sie verwundete ihre Finger. – Nach Hause –– das schicken wir hier vorauf – kam sie, die Hand umwunden mit ihrem Battisttuch. Ob sie sich selbst verbunden, ob der Rittmeister den Chirurgen gespielt, darüber schweigen unsre beglaubigten Nachrichten. Das war der zweite Moment gewesen. Im dritten hatte Walter den Wagenschlag zugeworfen und dem Kutscher zugerufen: »Nun zugefahren, was das Zeug hält!« Der Kutscher gehorchte pünktlicher als seine Herrin dem kategorischen Befehl und der Wagen kam unangefochten durch das Polizeipiquet.

Nicht so ganz unangefochten kam Walter selbst davon. Das Husarenpiquet, welches eben um die Ecke schwenkte, als der Wagen abfuhr, schien Miene zu machen, ihm nachzusetzen. Der Kommandirende, welcher unsern Freund zu kennen schien, salutirte ihm schon von fern leicht mit dem Säbel, um die Frage einzuleiten: ob nicht ein Militair in die Kutsche gesprungen sei?

»Der Schlag ward geöffnet,« entgegnete Walter, »und die darin sitzende Dame nahm, wenn ich nicht irre, einen Bekannten auf.«

»Ein Offizier mit blankem Degen?« – »Der Degen, wenn ich recht verstand, war mit den Fensterscheiben des Herrn von Laforest in Berührung gekommen.« – »Kornet Wolfskehl,« rief der eine Husarenoffizier. »Sagt ich's nicht!« – »Ich lasse mich nicht täuschen,« erwiderte der Kommandirende, »das war Dohlenecks Statur. Sie müssen ihn ja kennen, Herr van Asten?« – »Sollte der Rittmeister so jugendlicher Tollheit zugänglich sein! Es war zu dunkel. Aber meine Herren, da entsinne ich mich ja, der Rittmeister war heut zu Exzellenz Schulenburg auf eine Lhombrepartie eingeladen, Exzellenz Blüchers wegen. War Lombard oder Herr Crelinger der Vierte, darüber bin ich nicht recht gewiß, aber – warten Sie, – es wird mir gleich einfallen –« Der Kommandirende lächelte: »Wir danken für den Avis.« – »Kornet Wolfskehl wird wohl zu fangen sein,« meinte der Zweite.

Die Husaren sprengten ihrer vorausgeeilten Patrouille nach. Wir verschwören nicht, daß in ihrer Verhandlung mit dem Ministerialsekretär[656] nicht die wohlmeinende Absicht mitgespielt hat, dem Verfolgten Zeit zu lassen.

Der Wagen der Baronin Eitelbach entging glücklich der Polizei und den Husaren, und als er vor dem Hause der Madame Braunbiegler hielt, war nichts Gefährliches passirt, als daß eine Scheibe im Kutschenschlage – wahrscheinlich durch einen zufälligen Ellenbogenstoß – entzwei gegangen war. Auch hatte sich seltsamer Weise ein Fußgänger, nach einer Verständigung mit dem Kutscher, zu ihm auf den Bock gesetzt. Dieser war, schneller als der Kutscher herab gesprungen, und bereits verschwunden, als letzterer sich langsam herunter machte, um, in Ermangelung eines Bedienten, den Wagen zu öffnen. Ehe das geschah, hatte sich aber die Wagenthür gegenüber schon von selbst geöffnet und der Rittmeister war nach einem langen zärtlichen Kuß auf die Hand der Baronin entschlüpft.

Die Eitelbach war nie so langsam als heute die Treppe zu einer Gesellschaft hinaufgestiegen. Auch im Vorzimmer hatte sie noch so viel mit ihrer Toilette zu thun. Ein Glück, daß die große Gesellschaft, welche sich noch spät bei der Braunbiegler versammelt, mit andern Dingen beschäftigt war, um auf ihre Verlegenheit Acht geben zu können. Diese Verlegenheit hätte sich eigentlich noch um ein Bedeutendes steigern müssen, als die Wirthin ihr mit dem Bedauern entgegen kam, daß sie ihre Hand an der Fensterscheibe verwundet habe, sie hoffe, es werde doch nicht üble Folgen haben. Die Wirthin hatte nicht Zeit, ihr Erröthen zu bemerken, sie hatte überhaupt in dem Gewirr nicht Zeit für einen einzelnen Gast. Auch Andere, die an ihr vorüber streiften, beklagten die schöne Hand. »Es wird aber gewiß nichts auf sich haben.« Wusste denn Jeder nicht nur die Thatsache, sondern schon das Märchen, was sie sich künstlich zurecht gelegt, um die Wahrheit verbergen zu dürfen? – Von wem hatten sie's erfahren? – Gott sei Dank, daß sie wenigstens das nicht gehört, von dem nichts wussten, was – es war das erste Geheimniß, was sie unter ihrer pochenden Brust verbarg. Die Brust blutete vielleicht heftiger als die Hand.

In solchen Stimmungen kann eine große Gesellschaft, wo Keiner Zeit und Raum hat, auf den Andern Acht zu geben, zur Wohlthat für ein geängstetes Gemüth werden. Ein Hofmann hätte es eine gemischte genannt, sie bestand mehr aus den Optimaten des Reichthums als der Geburt. Der Reichthum hing von den Decken als Kronenleuchter, Armleuchter, Festons, Seiden- und Damastgardinen; er lastete in den Aufsätzen der Nischen und Ecktische, in den Teppichen auf dem Boden, vor allem auf und an der Wirthin. Zum Schildern ist nicht mehr Zeit. Die Juwelen, Ketten, Ringe, Aufsätze, die Madame Braunbiegler vom Wirbel bis zum Gürtel, von den Schultern bis zu den Fingerspitzen trug,[657] waren in Berlin sprichwörtlich. Reichthum, überall, wohin man sah, nicht ausgebreitet, sondern aufgeschichtet, lastend, prahlerisch, ohne Geschmack. In solchen Kreisen pflegt die Unterhaltung der Lebendigen, der Hauch, der über eine Gesellschaft hinfliegen soll, den Widerschein und Abdruck des Apparates anzunehmen.

Der Patriotismus hier war anderer Schattirung als der, welcher den Scheiben des französischen Gesandten gedroht. Das große Ereigniß, welches die Straßen, die höheren Kreise heut Abend in Bewegung versetzt, die diplomatischen in Entsetzen, hatte weniger Wirkung hervorgebracht. Man betrachtete den Krieg als etwas Ausgemachtes, Nothwendiges, die Dehors desselben kümmerten die Anwesenden weniger. Nur die jüngern Leute versuchten in einer Nebenstube am Klavier die sechs neuen eben erschienenen Kriegslieder, komponirt von Helwig, zu singen. Allgemeinsten Beifall erntete aber das Kriegslied der Preußen von Karl Müchler, komponirt von Mappes: »Endlich tönt der Ruf der Lust!«

Aber es war ein anderer, näher liegender Gegenstand, der die praktischen Leute beschäftigte. Gestern war eine Frage entschieden, die schon Wochen lang die Gemüther beschäftigt hatte: ob die Infanteristen Mäntel haben müssten? Es war eine Frage gewesen, so wichtig, so ernst behandelt und so lebhaft als irgend eine, welche zuweilen als Riesenschlange durch alle Gesellschaften in Berlin, von den Spitzen der Thürme bis in die Winkel der Kellerwohnungen sich gewunden und dort ihre Streiter gefunden hat. Fragen wie die, ob das neue Jahrhundert um Mitternacht zu 1800 oder zu 1801 gefeiert werden müsse, ob Fleck oder Iffland ein größerer Schauspieler, Friedrich oder Napoleon ein größerer Feldherr gewesen?

Es war eine ungeheure Neuerung, das gestand sich Jeder, Vielen schien sie gefährlich, weil den Franzosen nachgebildet. Ja, ein Husar, ohne Mantel gedacht, war kein Husar mehr; aber was blieb er noch, wenn auch Musketiere, Füsiliere, Grenadiere Mäntel erhielten! Der Unterschied von Kavallerie und Infanterie schien über den Haufen geworfen, ein so unübersehbarer Eingriff in die bestehende Ordnung, als heute Vielen eine Gemeindeordnung bedünkt, die den Unterschied von Stadt und Land aufhebt. Friedrich hatte mit einer Infanterie ohne Mäntel gesiegt, er musste doch wissen, warum es so besser war. Ein guter Soldat muß nicht frieren, wenn sein König befiehlt, daß er warm ist. Aber die Neuerer hatten eingewandt, daß auch der Infanterist ein Mensch ist, und daß jeder Mensch friert, wenn es kalt ist, daß der Regen den einen durchnässt wie den andern, daß der Krieg seit Friedrich eine andere Façon angenommen, daß Napoleon die Winterkantonirungen nicht mehr respektire, daß er seine Feinde zu Winterfeldzügen nöthigte.[658]

Die Mäntelpartei hatte gesiegt. Gestern hatte ein Erlaß der Geheimen Ober-Finanz-, Kriegs- und Domainen-Direktion das Publikum davon avertirt: wie Seine Majestät, der König, schon längst darauf Bedacht genommen, daß der Soldat im Kriege nicht frieren dürfe, und wie es Seiner Majestät Wunsch sei, daß alle seine braven Krieger eine wärmere Winterkleidung erhielten, namentlich die Infanterie Mäntel mit Aermeln, die Kavallerie wollene Unterhosen. Da aber selbige aus allgemeinen Mitteln zu beschaffen in gegenwärtiger Zeit auf mannigfache Schwierigkeiten stoße, so werde die Bereitwilligkeit der Nation angerufen, das Unternehmen des geliebten Landesvaters zu unterstützen und ihren warmen Patriotismus durch die That zu bewähren.

Mäntel! war das Loosungswort durch die Stadt, im Civil, während das Militär nur Krieg wollte, mit oder ohne Mäntel. Zum ersten Mal war das Publikum aufgerufen, ein großes Werk des Allgemeinwohls zu unterstützen, ja die Initiative war ihm in die Hand gegeben. Wen darf es wundern, wenn es umher brauste und schwirrte, eine Thätigkeit sich entwickelte, die sich selbst hemmte und verwirrte. Der Staat hatte bisher für Alles gesorgt, nun sollte der Bürger nicht allein für sich, auch für den Staat sorgen! Kommissionen und Ausschüsse zu bilden, wo sollte man gelernt haben, was sich jetzt von selbst macht! Der Magistrat, der es in die Hand genommen, fand dafür kein ander Mittel als eine Subskription, die von Stadtverordneten Haus für Haus umhergetragen werden sollte. Das war ein langer Weg. Aber nun fühlte sich Jeder berufen, auf seine Hand es in die Hand zu nehmen; die Nähterinnen und die Geheimräthinnen, auf den Kanzeln und in den Werkstuben, im Theater und in den Weinhäusern, auch in andern Häusern, es war überall nur ein Wort, überall wollte man helfen, noch lieber Rathschläge geben, wie man helfen könne.

In der Gesellschaft der Braunbiegler hatte die Sache noch eine andere Seite. Auf dem Conto Debet stand Patriotismus und Tuch. Was Madame Braunbiegler gezeichnet, konnte man auf ihrem strahlenden Gesichte fast in Zahlen lesen. Die Dame selbst wog mit ihrem treffenden Blicke die Gäste ab; auch sie las auf jedem Gesichte, wie viel ist der Mann werth? Wie viel hätte er zeichnen müssen? Wie viel hat er zu wenig gezeichnet? Wie viel zu viel, um sich höher zu stellen? Endlich – wie tief stehen sie alle unter dir!

Ihr zunächst musste der Baron Eitelbach stehen. War er doch ihr Kompagnon! – Aber er stand nicht, er ging, er flankirte mit seinem strahlenden Gesicht durch die Gruppen.

»A propos, ma belle!« rief der witzige Baron, als er seine Gattin zu Gesicht bekam, »was ist denn das für ein Kutschenfensterscheibengestoße?[659] Denkst Du, Glas kostet kein Geld? Werde die Thüren mit Brettern vernageln lassen, profit tout clair! Dann sieht auch Keiner, mit wem Du drin sitzest.« – »Du weißt –« Ihre weißen Perlenzähne starrten ihn an. »Ziert sich, weil er ihr den schönen Arm küssen will, und stößt dabei die Scheibe ein.« Ihre Perlenzähne verschlossen sich, aber ihre schönen Augen wurden größer. »Mir schenkt man reinen Wein.« – Jetzt erst platzte das »Um Gotteswillen wer?« heraus. »Wer anders als der Legationsrath! Was war's denn nun, daß er zu Dir in die Kutsche sprang? Muß man sich darum so haben?« – »Der Legationsrath?« – »Ist ein gescheidter Mann und wird nicht plaudern.« – »Du kannst ihn ja aber nicht ausstehn.« – »Man kann Viele nicht ausstehn, ma chère, und trinkt doch mit ihnen Brüderschaft.«

In sprachlosem Erstaunen sah die Baronin ihn an. »Ma chère, verstehe mich. Die Sache ist ganz simpel. Wandel reitet mit Achten vorgespannt ins Herz der Braunbiegler – Wenn's zum Klappen kommt, wird sie – den Teufel – so dumm sein und einschlagen. Aber 's ist doch die Möglichkeit, wer kennt die Weiberherzen. – Und ein solcher Kompagnon ins Geschäft, na, da gratulire ich! Also –« »Was denn?« – »Um's kurz und klein zu machen, laß ich Dir von ihm die Cour machen, so viel er Lust hat, und wenn er zu Dir in den Wagen springt, schrei nicht auf.« – »Der Legationsrath!« Weiter wusste die schöne Frau nichts zu sagen, denn der Legationsrath stand vor ihnen. Es ging zur Tafel. Der Baron legte den Arm seiner Frau in den des Rathes: »Sie schmachtet nach Ihrer Unterhaltung. Sein Sie liebenswürdig, so viel Sie können, es wird Niemand eifersüchtig –« In sich lachend, setzte er hinzu: – »außer wer es soll!«

Das Opfer ging neben Dem, dem sie geopfert schien. So roh, widerwärtig, war ihr Gatte ihr nie vorgekommen. Wandel ging im würdigsten Ernst. Er sprach Gleichgültiges, unbefangen. So war er bei Tisch der liebenswürdigste Nachbar, aber sein Gespräch, seine Erzählungen waren für Alle, sie mussten Jeden interessiren. Der Baron hatte seine Absicht nicht erreicht, die Braunbiegler ward nicht eifersüchtig, die Baronin aber saß auf Kohlen.

Nachher kam ein Moment, um mit Wandel, in eine Fensternische von den Aufbrechenden zurückgedrängt, unbemerkt ein kurzes Gespräch zu pflegen. »Um Gotteswillen, was ist das?« Wandel antwortete, mit der Quaste der Gardine spielend, als unterhalte er sich mit seiner Dame über irgend eine Trivialität: »Seien Sie unbesorgt. – Ich bin, ich bleibe der Wächter Ihrer Ehre – der Kutscher ist von mir gewonnen: es wird noch Alles gut werden, wenn Sie sich nicht selbst verrathen.« – »Mein Gott, Herr von Wandel, wie komme ich dazu!« – »Still! Ich beschwöre Sie, nur[660] keine Emotion! Sie haben sich beherrscht, ich habe Sie bewundert. Fahren Sie so fort. In meiner Brust ruht Ihr Geheimniß wie im Schooß der Erde – vertrauen Sie mir –« »Aber, lieber Gott, wenn ich's recht bedenke, was ist es denn eigentlich –« »Denken Sie nicht, um Gotteswillen, denken Sie jetzt nicht. Dem Reinen ist Alles rein, aber wer ist vor Diesen rein? Ein Rendezvous in der Kutsche – bei Nachtzeit – Ihre verwundete Hand! die zerschlagene Scheibe – die Lüge! O verzeihen Sie, ich rede nur, was Diese reden würden. Grässlich, wenn Auguste morgen der Gegenstand des Stadtgesprächs – Nein, nimmermehr! Denken Sie nicht, Sie sind in Agitation – lassen Sie jetzt Andre für sich denken, die ruhiger sind, die wenigstens ruhiger scheinen,« setzte er seufzend hinzu. Sie reichte ihm bewegt die Hand: »Sie meinen es gut.« – »Gnädige Frau,« sagte er, respektvoll zurücktretend, »Mancher ist doch besser, als man glaubt.«

»Charmant!« sagte der hinzutretende Baron, um seine Frau fortzuführen. »Kontinuiren Sie, Herr Legationsrath, noch bin ich nicht eifersüchtig. Aber was nicht ist, kann noch werden.«

Quelle:
Willibald Alexis: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht. Vaterländische Romane, Berlin: Otto Janke, 4[1881], Band 7, S. 652-661.
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