Ergebnisse der Sommerfrische der jungen Frau B.

[82] Die übrigen Damen der Pension gingen in den Wald, den friedevollen, duftenden, oder sie saßen in den Hausgärten, liebevoll beschützt vor Sonne und Staub. Ich aber ging in mein geliebtes Geschäft für Halbedelsteine auf dem brennheißen staubigen Postplatz. Es zog mich wirklich magisch hin. Dort, dort fühlte ich mich der Natur und ihren unerhörten Prächten und Merkwürdigkeiten noch näher gerückt als in Garten und Wald. Es war hier das Märchen der Natur vorhanden, das Außergewöhnliche, die höchste künstlerische Emanation derselben, ihr exotischer Höhepunkt! Der Geschäftsinhaber behandelte mich demgemäß wie ein Geschöpf aus einer anderen Welt ... »Also endlich, endlich bist du, Menschenkind, erschienen, das für meine starren Lieblinge dieselbe edle Zärtlichkeit empfindet wie ich Sonderling!«

Wir sprachen nur über Steine miteinander und ihre Farben und ihre Wirkungen. Wir begründeten innerlich die märchenhafte Halbedelsteinwelt! Darin fanden wir uns vollständig. Es war, wie nach vielen Mißakkorden des Lebens, ein Akkord! Es gab nur Einklang und Begeisterung. Er war ein reicher unabhängiger Mensch und ich eigentlich auch. So fanden wir uns in dieser mysteriösen Prachtwelt der Halbedelsteine, die seinen Laden füllten! Er war ganz alt und schneeweiß. Aber er war der liebevolle Herr und Hüter der Schätze der Natur selbst, die mir ans Herz gewachsen waren![82]

Da befand sich z.B. ein Stück Goldtopas, talergroß, das leuchtete milde wie die Sonne an kalten Herbsttagen. Es bezauberte in seinem milden tiefen Glanze. Preis hundert Kronen.

Ich dachte: »Möge es doch einer erstehen, dem es wirklich eine kleine geheimnisvolle kühle Herbstsonne repräsentieren könnte!«

Dann war ein Opal vorhanden, weißgrau-grün, nur in zwei Farben. Wie das Leuchten von Fischaugen! Dann ein Opal wie zersplitterter Regenbogen! Dann einer, der nur hier und da blaulila aufflackerte und dann erlosch, und wieder aufflackerte in lilablau! Und dann erlosch! Bergkristalle gab es, schwer wie Blei und dennoch den Eindruck machend von Wassertropfenleichtigkeit, von festem Wasser! Schwarze, geschliffene Schalen mit weißen Adern. Rostrote Karneolschalen. Papiermesser aus weißgrünlichem Moosachat. Und eines wie Waldesmoos mit Scharlachpilzen.

Man betrachtete mich in der Pension wie eine Hysterische, machte sich höchstwahrscheinlich lächerlich über mich. Einer aber kaufte mir einen meiner ersehnten Lieblingssteine. Ich sagte: »Ist es wegen mir oder wegen des wundervollen Steines, den Sie vielleicht nur einem verständnisvollen Menschen gönnen, anvertrauen wollen?!?«

Er erwiderte: »Es ist nur Ihretwegen, Gnädige. Kieselsteine haben für mich keinen Reiz ...«

Da refüsierte ich ihm sein Geschenk, obzwar es mein geliebter Stein war ...

Die übrigen Damen saßen im frischen ruhigen Walde oder in Hausgärten, an schattigen duftenden[83] Plätzen. Mich aber zog es zu dem brennheißen staubigen Postplatz hin, zu dem Geschäfte des alten Halbedelsteinhändlers. Ich sagte zu dem Besitzer: »Mein gütiger Gatte hat mir heute geschrieben:

Meine Teure, kaufe Dir doch Deine Lieblinge, an welchen Du so sehr zu hängen scheinst. Ich bin glücklich, Dich glücklich machen zu können. Ich will gern das ironische Lächeln unserer Mitmenschen in Kauf nehmen für Deine Begeisterungen, wenn ich sie auch selbst nicht teile und begreife!«

Und so erstand ich den Opal, der wie ein Fischauge glänzte, und den Goldtopas, der wie die liebe liebe Sonne war an klaren Herbsttagen. Und das Papiermesser aus Moosachat, wie feuchter Waldesboden mit Scharlachpilzen.

»Sie will sich apart machen, interessant«, dachten viele. Aber ich ertrug das, wie das Dichterherz sein Schicksal erträgt! Böswilliges Unverständnis! Wie, wie könnte es etwas anderes geben bei den Unmenschlichen?!? Meine geliebte Halbedelsteinhandlung auf dem brennendheißen staubigen Postplatze! Wie hänge ich an dir, verstehe, achte deine Schätze!

Und die anderen sagen: »Sie will sich apart machen, interessant, etwas Exzeptionelles ...«

Unsere Stunden aparten exzeptionellen besonderen Glückes werdet ihr uns aber dennoch nicht damit rauben können, Skeptiker![84]

Quelle:
Peter Altenberg: Märchen des Lebens. Berlin 7–81924, S. 82-85.
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