Eine Prinzessin

[281] Die süsse Prinzessin A., die den nicht heiraten durfte, den sie lieb hatte, fuhr an einem wunderbaren Sommermorgen auf dem kleinen Seedampfer von G. nach E. Auf dem Hinterdeck war ein blökendes jammerndes Kalb angebunden, das in E. geschlachtet werden sollte. Da kaufte die Prinzessin dem Fleischhauer in E. das Kalb ab. Der Graf aber sagte: »Prinzessin, in diesem Augenblicke werden Tausende von Kälbern, Lämmern, Hühnern grausam abgeschlachtet in der Welt!«

Und die Prinzessin erwiderte: »Ich weiss es, mein Freund. Lassen Sie mich die Komödie ›göttlicher Milde‹ und ›Gerechtigkeit‹ bei diesem einen Kälbchen spielen – – –!« »Nein,« sagte der Graf, »erlösen wir uns nicht allzubillig von unseren Verzweiflungen, kaufen wir uns nicht los von unseren Traurigkeiten! Behalten wir sie als ewig Wirkendes in uns!« Da überliess denn die sanfte Prinzessin das Kälbchen dem Fleischerknechte.

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Peter Altenberg: Was der Tag mir zuträgt. Berlin 12–131924, S. 281.
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