Selbstanzeige

An die Mädchen und an die Frauen!

Es ist ein neues Buch von mir erschienen, »Was der Tag mir zuträgt«, neue Studien, Verlag S. Fischer, Berlin.

Ich schrieb einmal einer jungen wunderschönen Dame in ihr Stammbuch:

»Der Dichter.

Wer mich versteht, versteht sich selbst!

Denn siehe, ich bin nur Euer tönend gewordenes stummes Herz selber!«

Das tönend gewordene stumme Herz! Ja, das ist es. Siehe, Jemand stehe Abends vor dem Sumpfschilfe. In stummer süsser melancholischer Bedrückung geht er weg, befangen gleichsam in undeutlichen Träumnissen, möchte sich erlösen durch ein Wort und kann es nicht. Da singt Lenau seine Schilflieder, süss und traurig tönend. Und alle Stummen sind nun erlöst, singen in seinen Liedern mit, ihre eigenen Bedrückungen! So steht die Frauenseele in stummer Bedrückung vor dem mysteriösen und verworrenen Dasein, möchte klagen, sich ins Wort erlösen, und kann es nicht. Da muss ein Liebevoller, ein Liebe–voller kommen, tönend verkünden, was ihr fehle! Ihr sagen, wer sie sei![1]

Die Frau, siehe, ist die unerbittliche Idealistin, gleichsam vom Schicksal in die Welt gesetzt, um den Mann, diesen perfiden Pactirer mit dem Leben, zu zwingen, seine eigenen Entwicklungsmöglichkeiten zu erreichen! In ihrer tiefsten Seele wünscht sie es, dass er die Beweglichkeit und Elasticität eines Idealakrobaten besitze, die edle Würde und Sanftmuth eines »über den Dingen Thronenden«, die ruhige, in sich gekehrte Weisheit, die Alles milde durchleuchtet und durchdringt, den Takt und das Mass eines englischen Lords, die Geberde eines edlen Schauspielers und die sanfte Zurückhaltung eines vornehmen Diplomaten! Statt dessen aber erlebt sie nur Rudimentäre, gleichsam mühselig Dahinschleichende, die in Folge einseitiger Entwicklung gewisser unbeträchtlicher Fähigkeiten, Enttäuschungen und Traurigkeit hervorrufen. Einen körperlichen, seelischen und geistigen Gentleman ersehnt sich die Frau, der sie milde betreue, wie eine Mama ihr süsses Baby. Ein Wort, eine Geberde können da beglücken oder bereits zu Thränen bringen. Wie auf einer edlen Violine ein Künstler spielte, so spiele, Mann, auf diesem zarten Instrumente »Frauenseele!« Alles Gute, Sanfte, Tiefe ist in ihr eingesargt vom Schicksal. Du musst es zu tönendem Dasein erwecken durch die edle Macht Deiner weltumfassenden Persönlichkeit!

Deine Vollkommenheit ist ihre Erlösung!

Bewege Dich wie ein Schlängelein, wie eine Gazelle – und sie wird erlöst lächeln. Erbebe bei[2] »Tristan und Isolde« – und sie wird erlöst lächeln. Benimm Dich mit der Noblesse eines englischen Prinzen – und sie wird erlöst lächeln. Beherrsche die deutsche Sprache wie Joseph Kainz – und sie wird erlöst lächeln. Sage das Tiefste – und sie wird erlöst lächeln. Ihre Traurigkeit ist Deine Unvollkommenheit! Gott hat sie geschaffen mit ihren mysteriösen Reizen, dass Du ihr zu Liebe ein »Göttlicher« werdest! Wehe der genügsamen Frau, wehe! Die tiefsten Pläne der Natur vereitelt sie!

Und das Alles sollte der Inhalt dieser kleinen unscheinbaren aphoristischen und hingewischten Studien sein des P.A.?!? Ja, es sollte! Denn von nichts Anderem bin ich erfüllt, keine andere Mission lebt in mir. Ich bin kein Dichter, kein Künstler. Ich habe nur die heilige Mission in meinem Herzen mitbekommen, dem Manne die Frauenseele nicht von seinem Bedürfnisse aus, sondern von dem ihrigen aus zu zeigen, auf dass er erkenne, was die Natur wollte in ihren idealen Plänen!

Siehe! Der Knabe wünscht fanatisch, den Schmetterling im Netz zu haben, auf der Nadel. Aber dieser wünscht hingegen, in Licht und Luft gebadet, auf Blüthendolden frei zu schweben!

Die Frauenseele möchte sich ergeben dem Weltenmanne, sich für nichts verschenken dem Vollkommenen, sich auflösen in ihm, der Alles birgt, und alle ihre heiligen Kräfte spenden für sein Weltenleben! Aber den Unvollkommenen, in sich[3] selbst Eingekerkerten, den Sclaven seiner eigenen Beschränktheiten, hasst sie, ohne selbst es zu wissen, gegen sich selber gleichsam, ist seine unversöhnliche und erbitterte Todfeindin und, indem sie ihm die Gnadengeschenke ihrer süssen sanften Persönlichkeit spendet, weint sie zugleich im Innern bitterlich um ihre verrathene Mission!

Deshalb schrieb ich einer jungen Dame in ihr Stammbuch:

Misstrauen.

»Oh, mein Freund, wann endlich wirst Du an meine Liebe glauben?!?«

»Bis ich so schön wie Apollo, so gütig wie Jesus Christus, so weise wie Bismarck und so reich wie Vanderbilt sein werde!«

Ja, Mann, stumm ergiebt sich die schöne adelige Frau Deinen düsteren Bedürfnissen im Alltag, um in ihrer geheimnisvollen Seele eine Traurigkeit und eine Enttäuschung anzusammeln, die den unbeschreiblichen Melancholieen erhabener Dichterherzen gleichen!

Möge man in meinen kleinen Studien einen Hauch dieser Traurigkeiten, dieser Sehnsuchten verspüren![4]

Quelle:
Peter Altenberg: Was der Tag mir zuträgt. Berlin 12–131924, S. 1-5,15-16.
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