Sie freut sich über seiner Herrlichkeit

[198] 1

Ach Gott, was hat für Herrlichkeit,

Für Majestät und Wonne

In seiner großen Seligkeit

Mein Jesus, meine Sonne.

Die Kaiser und Könige reichen ihm dar

All ihre Szepter und Kronen,

Viel tausendmal tausend in mächtiger Schar

Sind, die ihm dienen und fronen.
[198]

2

Er herrschet über Cherubim,

Gebeut den Tiefen allen.

Die Thronen und die Seraphim

Schaun auf sein Wohlgefallen.

Die Helden und Martyrer warten ihm auf,

Die Väter falln vor ihm nieder,

Die Jungfern, die singen mit künstlichem Lauf

Die allerlieblichsten Lieder.


3

Er ist dem Vater gleich an Macht,

Er sitzt auf seinem Throne.

Er trägt der ganzen Gottheit Pracht

Auf seines Hauptes Krone.

Die Himmel der Himmel begreifen ihn nicht,

Er reicht von Ende zu Ende.

Die Mächtigen leisten ihm schuldige Pflicht

Und alle himmlischen Stände.


4

Sein Antlitz leucht wie Sonn und Schnee

Und tausend Morgensterne,

Glänzt wie der Aufgang in der Höh

Und wie der Blitz von ferne.

Die Engel und Menschen, die schauen ihn an

Mit unaussprechlichen Freuden.

O selig und abermal selig, wer kann

Sein Herz und Sinne da weiden.


5

Und alles dieses soll auch ich

Mit hunderttausend Küssen

In seinen Armen ewiglich

Empfinden und genießen.

Die Freude, die Wonne, die ewige Lust,

Die er mir dorten wird geben,

Ist weder dem Herzen noch Sinnen bewußt

In diesem sterblichen Leben.
[199]

6

Drum will ich froh und fröhlich sein

Und guten Mut mir fassen,

Ich will in allem Kreuz und Pein

Mich auf sein Wort verlassen.

Er wird mir nach dieser betrübeten Zeit

In seinem ewigen Maien

Schon wieder ersetzen das wenige Leid

Und unaufhörlich erfreuen.

Quelle:
Angelus Silesius: Sämtliche poetische Werke in drei Bänden. Band 2, München 1952, S. 198-200.
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