[170] 1
Ihr Götter, die ihr um den Thron
Des großen Jesu stehet
Und schaut, wie er, der Jungfraun Sohn,
So herrlich ist erhöhet,
Kommt alle, kommt und helfet mich
Ihm zubereiten würdiglich,
Daß ich noch mög auf dieser Erden
Ihm ganz und gar vermählet werden.
2
Maria, die den nächsten Sitz
Bei ihm hast überkommen
Und ihm mit deiner Klarheit Blitz
Sein Herz ganz eingenommen,
Komm, gib mir die Demütigkeit
Und jungfräuliche Würdigkeit,
Mit welcher du ihn hast bewogen,
Daß er in dich ist eingezogen.
3
Ihr Seraphim, entzündet mich
Mit euren reinen Flammen.
Ihr Cherubim, tragt häufiglich
Verstand und Witz zusammen.
Ihr Throne setzet mich in Ruh,
Ihr Fürsten schenkt die Pracht dazu.
Ihr Engel alle helft mich zieren
Und so zu meinem Bräutigam führen.
[171]
4
Ihr Väter, die von Adams Stamm
Vor Christo sind entsprungen,
Und ihr Propheten allesamm,
Die vor von ihm gesungen,
Schenkt eure Hoffnung meinem Geist,
Die euch beständig hat gespeist.
Gebt euren Glauben mir zu eigen,
Daß ich mich Jesu möge zeigen.
5
Ihr Zwölfe, die ihr allzumal
Sein Antlitz hier bedienet,
Und ihr Bekenner ohne Zahl,
Die ihm zu Ehrn gegrünet,
Kommt, helfet mir mit eurem Licht,
Daß ich das schönste Angesicht
Des allerliebsten Jesu schaue
Und ihm zu nahen mir getraue.
6
Ihr Märtyrer, gebt mir den Sieg,
Mit dem ihr durchgedrungen,
Gebt mir die Kraft, durch die der Krieg
Euch ist so wohl gelungen,
Auf daß ich als ein kühner Held
Entgegen geh vor aller Welt
Dem, der mit einem Mund von Rosen
Mich ewiglich kommt liebzukosen.
7
Ihr Jungfern alle, die dem Lamm
Zu folgen sich ergeben
Und Jesum, ihren Bräutigam,
Mit neuem Ton erheben,[172]
Kommt, gebt mir euer weißes Kleid
Und unbefleckte Reinigkeit,
Daß ich wie eine Lilie blühe
Und meinen Bräutgam zu mir ziehe.
8
Ihr andren Alle, die ihr seid
Zum Herren eingegangen
Und in der süßen Seligkeit
Mit ewger Lust umfangen,
Begabet mich mit eurer Zier
Und himmelischer Liebsbegier,
Daß ich mich frei darf unterstehen,
In seine Kammer einzugehen.
9
Du aber, an dem allermeist
Das ganze Werk gelegen,
Du großer Gott, du heilger Geist,
Sprich du hierzu den Segen.
Trau du mich selbst dem Bräutigam,
Dem honigsüßen Gotteslamm,
Daß ich seins Mundes Kuß genieße
Und ewiglich davon zerfließe.
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