Die Psyche ruft aus Verlangen ihrem Geliebten

[32] 1

Ach, wann kommt die Zeit heran,

Daß ich werde schauen an

Meinen liebsten Jesum Christ,

Der mein Lieb und Leben ist?


2

Ach, wo bleibst du doch, mein Licht!

Komm doch fort und säum dich nicht,

Komm doch, weil mit großem Schmerz

Auf dich wart mein krankes Herz.


3

Kommst du nicht jetzt alsobald,

Meines Lebens Aufenthalt,

So vergeht vor Liebsbegier

Mein betrübter Geist in mir.
[32]

4

Allzeit weißt du, daß ich mich

Nicht erhalten kann ohn dich,

Weil du, liebster Jesu Christ,

Meines Lebens Leben bist.


5

Drum so komm doch bald zu mir

Und erfreue mich mit dir,

Schließ mich in die Arme ein,

Die für mich verwundet sein.


6

Reich mir deinen süßen Mund,

Tu mir deine Liebe kund,

Drück mich an die zarte Brust,

Die mir ewig schaffet Lust.


7

Also werd ich dort und hier

Fröhlich singen für und für,

Daß du, liebster Jesu Christ,

Meines Lebens Leben bist.


Quelle:
Angelus Silesius: Sämtliche poetische Werke in drei Bänden. Band 2, München 1952, S. 32-33.
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