Sie begehrt verwundet zu sein von ihrem Geliebten

[88] 1

Jesu, du mächtiger Liebesgott,

Nah dich zu mir,

Denn ich verschmachte fast bis in Tod

Vor Liebesbegier.

Ergreif die Waffen und in Eil

Durchstich mein Herz mit deinem Pfeil,

Verwunde mich.
[88]

2

Komm meine Sonne, mein Lebenslicht,

Mein Aufenthalt,

Komm und erwärme mich, daß ich nicht

Bleib ewig kalt.

Wirf deine Flammen in den Schrein

Meins halbgefrornen Herzens ein,

Entzünde mich.


3

O allersüßeste Seelenbrunst,

Durchglüh mich ganz

Und überform mich aus Gnad und Gunst

In deinen Glanz.

Blas an das Feuer ohn Verdruß,

Daß dir mein Herz mit schnellem Fluß

Vereinigt sei.


4

Dann will ich sagen, daß du mich hast

Erlöst vom Tod

Und als ein lieblicher Seelengast

Besucht in Not.

Dann will ich rühmen, daß du bist

Mein Bräutigam, der mich liebt und küßt

Und nicht verläßt.


Quelle:
Angelus Silesius: Sämtliche poetische Werke in drei Bänden. Band 2, München 1952, S. 88-89.
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