Sie vermahnt zur Nachfolge Christi

[310] 1

Mir nach, spricht Christus, unser Held,

Mir nach, ihr Christen alle,

Verleugnet euch, verlaßt die Welt,

Folgt meinem Ruf und Schalle.

Nehmt euer Kreuz und Ungemach

Auf euch, folgt meinem Wandel nach.


2

Ich bin das Licht, ich leucht euch für

Mit heilgem Tugendleben,

Wer zu mir kommt und folget mir,

Darf nicht im Finstern schweben.

Ich bin der Weg, ich weise wohl,

Wie man wahrhaftig wandeln soll.


3

Mein Herz ist voll Demütigkeit,

Voll Liebe meine Seele,

Mein Mund, der fließt zu jeder Zeit

Von süßem Sanftmutöle.

Mein Geist, Gemüte, Kraft und Sinn

Ist Gott ergeben, schaut auf ihn.


4

Fällts euch zu schwer? Ich geh voran,

Ich steh euch an der Seite,

Ich kämpfe selbst, ich brech die Bahn,[310]

Bin alles in dem Streite.

Ein böser Knecht, der still darf stehn,

Wenn er den Feldherrn an sieht gehn.


5

Wer seine Seel zu finden meint,

Wird sie ohn mich verlieren,

Wer sie um mich verlieren scheint,

Wird sie nach Hause führen.

Wer nicht sein Kreuz nimmt und folgt mir,

Ist mein nicht wert und meiner Zier.


6

So laßt uns denn dem lieben Herrn

Mit unserm Kreuz nachgehen

Und wohlgemut, getrost und gern

In allen Leiden stehen.

Wer nicht gekämpft, trägt auch die Kron

Des ewgen Lebens nicht davon.

Quelle:
Angelus Silesius: Sämtliche poetische Werke in drei Bänden. Band 2, München 1952, S. 310-311.
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