Sie vermahnt ihre Seele zu der wahren Innigkeit des Geistes

[268] 1

Schwing dich auf, mein Täubelein, behende

Und verflieg dich in dein letztes Ende.

Fleuch hinweg vom irdischen Getümmel

Und begib dich in den stillen Himmel.


2

Dein Gemahl, mit dem du dich verbunden,

Wird in keiner Unruh je gefunden.

Drum, so du mit ihm willst selig nisten,

Schwenk dich in die ungeschaffne Wüsten.


3

Töt in dir all eitele Verlangen

Und was sonsten dich noch hält gefangen.

Halt dein Herz und deine Kräft und Sinnen

Ledig und mit wahrer Andacht innen.


4

Steig hinauf mit englischen Geberden

Und vergiß der Dinge, die auf Erden.

Halte dich dem Eingen abgescheiden,

Der dich ewig trösten kann und weiden.


5

Also wird der König dich begehren

Und sein gnädges Antlitz dir gewähren.

Also wird der Bräutigam dich küssen

Und du seiner wonniglich genießen.


6

Drum flieg auf, mein Täublein, meine Seele,

Schwing dich aus den Schranken deiner Höhle.

Flieg zu Gott mit innigem Gemüte

Und empfah sein ewge Lieb und Güte.

Quelle:
Angelus Silesius: Sämtliche poetische Werke in drei Bänden. Band 2, München 1952, S. 268-269.
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