Sie beklagt ihn bei dem Grabe

[122] 1

Ihr alle, die ihr Jesum liebt,

Seid traurig und betrübt!

Er, der wahre Gottes Sohn,

Der da saß auf Vaters Thron,

Wird ins Grab geleget.


2

Schau, Braut, hier liegt dein Bräutigam,

Dein Hirt und auch dein Lamm!

Deines Herzens Trost und Ruhm,

Deiner Seelen Eigentum,

Schau, er ist gestorben.


3

O großes Leid, o bittre Not!

Was ist das für ein Tod!

Alles, was die ganze Welt

Und der Himmel in sich hält,

Das muß ihn beklagen.


4

Ach, ach wie liegt er so verkalt,

Verblasset und verstalt!

Seiner Augen Freundlichkeit,

Seiner Stirne Herrlichkeit

Ist nun ganz verschwunden.


5

O Menschenkind, bedenk es wohl.

Was dies bedeut und soll!

Deine Sünd und Missetat

Ists, die ihn getötet hat

Und ins Grab versenket.
[123]

6

Wie selig ist der, weil er lebt,

Sich selbst mit ihm begräbt!

Der von Sünden abesteht

Und durch seinen Tod eingeht

In ein besser Leben.


7

Drum fall ich auch nun zu dir hin,

Mein Jesu, wie ich bin.

Denn ich will, o Gott, mit dir

Sein begraben für und für,

Bis ich auferstehe.


Quelle:
Angelus Silesius: Sämtliche poetische Werke in drei Bänden. Band 2, München 1952, S. 122-124.
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