Der Ritt zum Ting.

[187] Als die Zeit des Tinges nahe war, bekam Thorhald Asgrimsohn einen bösen Schaden am Fuß, so daß derselbe stark anschwoll oberhalb des Knöchels und er nur mit Hülfe eines Stabes zu gehen vermochte. Er war übrigens von hohem Wuchs, stark an Kräften, hatte dunkles Haar und dunkle Hautfarbe, war von heftiger Sinnesart, aber vorsichtig in der Wahl seiner Worte. Da man nun zum Ting reiten sollte, sagte Asgrim zu Kaare: »Du mußt mit zwanzig Man vorausreiten, damit Du vor Anfang des Tings ankommen und unsre Hütten zelten kannst. Mein Sohn Thorhald soll mit Dir ziehen, denn ihn werden wir wohl[187] gebrauchen können auf dem Ting; er ist aber lahm, und Du wirst gut und vorsichtig mit ihm umgehen müssen.« So machten denn Kaare und Thorhald sich bereit und ritten zum Ting mit ihren Mannen, zelteten die Hütten und setzten alles in Stand. – Flose ritt von Hause, begleitet von den hundert Mann, die mit ihm bei dem Brande gewesen waren. Als sie in das Flußthal kamen, begaben sich die Sigfussöhne nach ihren Höfen und verweilten dort einen Tag. Am Abend versammelten sich alle wieder und ritten weiter. Am folgenden Tage näherten sie sich Tunge. »Wir wollen unser Frühstück bei Asgrim einnehmen,« sagte Flose zu den Seinigen, »und wollen thun, als wenn gar nichts zwischen uns wäre, das wird ihn erbittern.« Asgrim stand mit einigen Männern vor dem Hause. »Da kommt Thorgejr Skoragejr,« sagte einer derselben. »Das glaube ich nicht,« antwortete Asgrim; »diese Männer fahren einher mit Lachen und Geschrei; solche Verwandte Nial's aber, wie Thorgejr Skoragejr, die lachen nicht, bevor die Brandsache gerächt ist. Ich glaube, es ist Flose mit seinen Mordbrennern, die uns reizen wollen. Laßt uns jetzt ins Haus gehen.« Darauf ließ Asgrim das ganze Haus fegen und zelten, ließ Tische aufstellen und Speise auftragen und ließ längs der Innenseite der Tische Sessel aufpflanzen, damit die vielen Männer Platz finden könnten. Bald darnach kam Flose; er ritt mit den Seinigen geraden Wegs auf den Hofplatz hinein, ließ sie absitzen und ging mit ihnen ins Haus. Asgrim saß auf der Querbank, grüßte Flose aber nicht. »Die Tische sind aufgestellt, damit die essen können, die der Speise bedürfen,« sagte er. Flose und seine Genossen legten ihre Waffen ab, setzten sich zu Tische und aßen, aber vier Mann blieben in voller Waffenrüstung bei Flose's Platz stehen. Asgrim schwieg während der ganzen Zeit, aber sein Angesicht war roth wie Blut. Als Flose und seine Männer gesättigt waren, räumten die Weiber den Tisch ab, einige aber von ihnen trugen Wasser herbei, um die Hände zu waschen. Flose ließ sich gute Weile und benahm sich in jeglicher Weise, als wenn er zu Hause sei. Da ergriff Asgrim mit beiden Händen eine Holzaxt, die auf der Ecke der Bank, auf welcher er saß, gelegen[188] hatte, sprang auf den Fußschemel und hieb nach Flose's Kopf. Aber einer von Flose's Mannen hatte Asgrim's Absicht bemerkt, sprang auf, riß ihm die Axt aus den Händen und wandte deren Schneide gegen ihn selbst, während mehrere andre auffuhren und ihn festhielten. Flose jedoch befahl, man dürfe Asgrim kein Leid anthun. »Wir haben ihn allzusehr gereizt,« sprach er, »er konnte nicht anders handeln und hat sich unerschrocken gezeigt.« Darauf wandte er sich zu Asgrim und sagte: »Wir scheiden jetzt in Frieden, treffen wir aber auf dem Ting zusammen, so nehmen wir unsere Sache von neuem wieder auf.« »Das wird nicht fehlen,« erwiderte Asgrim, »und zwar will ich wünschen, daß Ihr weniger bereit seid zu rascher That, wenn das Ting vorüber ist.« Flose gab keine Antwort, sondern ging mit seinen Genossen hinaus, stieg zu Pferde und ritt weiter. Später begegnete er Hald von Sida und den Männern von den Ostfjorden und erzählte ihnen, wie es ihm mit Asgrim ergangen sei. Viele lobten ihn deswegen, Hald aber tadelte ihn: »Das war thöricht gehandelt« versetzte er; »jene hätten ihres Unglücks schon gedacht, welches sie erlitten haben, ohne daß man es ihnen aufs neue ins Gedächtnis zu rufen brauchte, und nur Böses haben die Männer zu erwarten, welche andre so heftig reizen.« Sie ritten nun zusammen weiter. Als sie dem Tingfeld nahe waren, ordneten sie ihre Schaar wie zum Kampf und ritten so in das Feld hinein und suchten ihre Hütten auf. Thorgejr Skoragejr ritt ebenfalls von Hause von einer großen Schaar begleitet, und seine Brüder Thorlejf Kraak und Thorgrim der Große schlossen sich ihm an. Als sie nach Hof kamen, warteten sie auf Mörd, bis er bereit war und jeden waffenkundigen Mann aufgeboten hatte; sie konnten ihm nichts anderes anmerken, als daß er voll Muth sei. Weiter westlich warteten sie auf Hjalte Skjeggesohn, später stieß Asgrim Ellidagrimsohn zu ihnen und zuletzt Gissur Hvide mit einem sehr großen Gefolge. Sie ordneten gleichfalls ihre Schaar, als sie sich dem Tingfelde näherten, und ritten so in dasselbe hinein. Flose und seine Mannen griffen alle nach ihren Waffen, als sie sie erblickten, und es hing an einem Haar, so wäre es zum Kampf gekommen. Asgrim[189] aber und alle seine Gefährten ritten unbekümmert nach ihren Hütten, und es blieb an diesem Tage ruhig, so daß sie nicht an einander geriethen. Es waren übrigens viele Häuptlinge aus allen Gegenden des Landes auf diesem Ting erschienen, und niemals hatte seit Menschengedenken ein so zahlreich besuchter Ting stattgefunden wie dieser.

Quelle:
Die Njalssaga. Leipzig 1878, S. 187-190.
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