Thorhald Asgrimsohn's Gesetzeskenntnis.

[195] Als der Tag erschien, wo das Gericht stattfinden sollte, bewaffneten sich beide Theile und setzten Feldzeichen auf ihre Helme, damit sie sich auf jeder Seite erkennen könnten, falls es zum Kampfe käme. Thorhald Asgrimsohn konnte nicht mit auf den Gesetzberg hinaufgehen, da sein Fuß noch nicht geheilt war. »Uebereile Dich nun nicht, mein Vater,« sprach er zu Asgrim, »sondern laß alles seinen richtigen Gang gehen, und kommt irgend eine Bedrängnis über Euch, so laßt es mich alsbald wissen, dann werde ich Euch mit Rath zur Seite stehen. Gieb mir aber meinen Speer, ehe Du fort gehst.« Asgrim reichte ihm denselben; es war eine kostbare Waffe, Skarphedin hatte sie ihm geschenkt. Thorhald setzte ihn neben sich und blieb daheim, während die übrigen fortgingen, aber sein Antlitz war roth wie Blut und die Thränen quollen stromweise aus seinen Augen. Die anderen gingen nach dem Gericht des Ostviertels. Dort wurde das Loos geworfen, und das Loos fiel auf Mörd, daß er zuerst seine Sache vorbringen solle. Er ergriff das Wort; er leistete den Schwur, daß er die Sache nach bestem Wissen und Gewissen wahr und gerecht anhängig machen wolle und führte Zeugen vor, sowohl dafür, daß ihm die Sache von Thorgejr Skoragejr übertragen sei als auch dafür, daß er sie in richtiger Weise vorbereitet habe. Die Zeugen legten ihr Zeugniß ab und beschworen dasselbe. Schließlich führte Mörd seine neun Blutzeugen vor und hieß die Gegner untersuchen, ob unter denselben einer sich befände, der nach dem Gesetze nicht als Blutzeuge auftreten könne. Flose bat die Sigfussöhne, dieses zu thun. Ketil von Mörk sagte, es sei einer unter ihnen, welcher Mörd's Taufpathe und ein andrer, welcher mit ihm im dritten Gliede verwandt sei. Eyjolf trat nun vor und erklärte diese beiden für ausgeschlossen aus der Zahl der Blutzeugen nach Altings Recht und Landes Gesetz. Da[196] meinten alle, Mörd habe seine Sache verspielt, weil er diesen Fehler gemacht habe. Aber Asgrim entsandte einen Boten, um Rath bei Thorhald zu holen. Dieser sagte, der Einwand sei ungültig, denn Eyjolf habe sich geirrt, indem er nicht beachtet habe, daß Mörd nicht der wirkliche Kläger, sondern ihm nur die Sache übertragen sei. Diesen Umstand brachte nun Mörd vor dem Gericht zur Sprache, und alle meinten, jetzt sei der Vortheil auf seiner Seite, und selbst Eyjolf mußte einräumen, so sei es recht nach dem Gesetz. Aber er erhob besonders Einspruch gegen zwei andre Blutzeugen, indem er geltend machte, sie seien nur Hintersassen und Pächter, keine Grundbesitzer, worauf alle äußerten, jetzt stehe es besser mit seinen Einwänden als mit Mörd's Klage. Allein auch hierfür wußte Thorhald Rath, als zu ihm geschickt wurde, da der eine der beiden vom Ertrag seiner Milchkühe lebe, obwohl er kein Land besitze und der andere Land besitze im Werthe von neun Mark, wenn er gleich kein Vieh halte. Als dieses im Gericht vorgebracht wurde, erhob sich ein großes Rufen und Schreien, und alle sagten, jetzt sehe es schlimm aus für Flose und Eyjolf. Dieser mußte zu dem Gesetzesnenner Skapte Thorodsohn senden, um zu hören, ob das Gesetz wirklich so laute, wie Thorhald behauptete; und Skapte erklärte, es sei in der That so Gesetz, obwohl es nur wenige gebe, die es wüßten. Indessen gab Eyjolf sich noch nicht verloren. Er wies vier andre unter den Blutzeugen zurück, da es welche gebe, die der Unglücksstätte näher wohnten, so daß Mörd hätte verlieren müssen, da er nur fünf unabweisbare Blutzeugen gestellt hatte und nicht neun, wie es das Gesetz vorschrieb. Dieses Einwurfs rühmten sich Flose und Eyjolf sehr, und es lief von Mund zu Mund unter den Leuten, jetzt sei die Klage in Sachen der Brandstiftung unmöglich gemacht. Asgrim aber sandte wieder einen Boten zu Thorhald und dieser sagte, dem Gesetze sei Genüge geschehen, wenn nur mehr als die Hälfte der Blutzeugen gesetzlich unabweisbar seien. Das brachte Mörd nun vor im Gericht, und es entstand ein allgemeines Geschrei, er ginge ehrlich zu Werke, von Flose und Eyjolf aber hieß es, sie gingen vor mit lauter Kniffen[197] und Tücken. Eyjolf mußte wieder zu Skapte schicken. »Freilich ist es so Gesetz,« antwortete dieser, »und ich sehe, es finden sich mehr gesetzeskundige Männer auf Island, als ich dachte. Diese Bestimmung, glaubte ich, kenne keiner, seitdem Nial todt ist.« Nun traten die fünf Blutzeugen auf und sagten ihr Zeugnis gegen Flose aus. Mörd aber hieß die Gegner gewichtigere Einsprüche machen, falls sie deren hätten. Da mußten Flose und Eyjolf zu ihrer letzten Zuflucht greifen, und freuten sich schon recht darauf, Mörd's Klage gänzlich niederzuschlagen. Eyjolf trat auf und erklärte, Mörd habe die Sache vor dem unrichtigen Gericht anhängig gemacht, da Flose nicht zum östlichen, sondern zum nördlichen Viertel gehöre. Da ergrimmte Thorhald, als er dieses vernahm, denn er wußte, jetzt habe Eyjolf das Recht, eine Klage gegen Mörd wegen verkehrter Anhängigmachung der Klage vor dem Fünftengericht zu erheben. »Beeile Dich,« sagte er zu dem Boten, »und heiße Mörd gegen Flose und Eyjolf vor dem Fünftengericht klagen, weil sie der Bestechung im Gericht sich schuldig gemacht haben. Sage ihm, er solle eilen, damit er sie zuerst vorladen kann.« Mörd that, wie Thorhald ihm geheißen hatte; er kam den Gegnern zuvor und führte seine Sache in allen Stücken nach den Vorschriften des Gesetzes. Aber obwohl im Fünftengericht vier Dutzend Richter ernannt werden sollten, durften doch nur drei Dutzend in jeder Sache das Urtheil fällen, denn beide Theile sollten je sechs Richter von den achtundvierzig zurückweisen. Mörd wies denn auch sechs zurück und forderte Eyjolf auf, das gleiche zu thun. Eyjolf erwartete, Mörd werde sich hier versehen und wollte nicht sechs zurückweisen. Mörd indessen führte die Sache weiter und das Urtheil wurde gesprochen. Da stand Eyjolf auf und erklärte das Urtheil sowie alles übrige, was Mörd gethan habe, für ungültig, weil drei und ein halbes Dutzend das Urtheil gefällt hätten, während doch nur drei Dutzend hätten urtheilen sollen. Gissur Hvide sprach zu Mörd: »Das war ein arger Misgriff, daß Du hier verkehrt handeltest, das ist ein großes Unglück.« »Was sollen wir jetzt thun, Vetter?« wandte er sich dann an Asgrim Ellidagrimsohn. Dieser[198] erwiderte: »Laßt uns einen Mann zu meinem Sohne Thorhald senden, um zu hören, wozu er räth.«

Quelle:
Die Njalssaga. Leipzig 1878, S. 195-199.
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