Rut und Gunhilde, die Königsmutter.

[10] Rut war noch nicht zu Hause angelangt, als er vernahm, daß sein Oheim, seines Vaters Bruder Össur von Norwegen gekommen sei und ihn baldigst zu sprechen wünsche. Das Schiff lag in Borgefjord, einem Arm des Faxefjord an der Westküste südlich vom Bredefjord. Rut bat Höskuld, mit ihm dorthin zu gehen. Er empfing seinen Oheim freundlich und liebenswürdig und bat ihn, er möge mit ihm ziehen und den Winter über bei ihm verweilen. »Das wird Dir nicht dienlich sein, Vetter,« entgegnete Össur, »denn die Botschaft bringe ich Dir, daß Dein Halbbruder Eyvind todt ist, nachdem er auf dem Ting Dich zu seinem Erben eingesetzt hat; kommst Du aber jetzt nicht selbst zur Stelle, dann nehmen Deine Widersacher alles Gut.« »Was ist hier am besten zu thun, Bruder?« fragte Rut Höskuld, »da komme ich in Noth, zumal ich jetzt meine Hochzeit anberaumt habe.« »Du mußt hinreiten,« antwortete Höskuld, »mit Mörd reden und ihn bitten, das Uebereinkommen dahin zu ändern, daß seine Tochter drei Winter hindurch als Deine verlobte Braut wartet.« Rut zeigte sich geneigt, dem Rathe zu folgen; er ließ seine Pferde vorführen und ritt nach Rangauvalle, Höskuld aber ritt heim. Rut fand freundliche Aufnahme bei Mörd und erzählte ihm die Sache, indem er ihn um Rath fragte. »Wie groß ist das Erbgut?« fragte Mörd. Rut meinte, es möge hundert Mark Silber betragen, wenn er es ganz in die Hände bekäme, oder nach unsrem Gelde etwa 1200 Thlr., was für damalige Zeiten wenigstens zehnmal soviel bedeutete als jetzt. »Das ist eine große Summe gegen das Erbtheil von mir,« sagte Mörd, »wenn es Dir recht ist, so rathe ich Dir, abzureisen.« Darauf trafen sie ihre Verabredung, daß Unne drei Winter hindurch als verlobte Braut warten solle. Rut ritt zum Schiffe; er blieb dort während des[11] Sommers, bis alles bereit war. Er bat Höskuld, seinen Hof und sein Gut in Obacht zu nehmen während seiner Abwesenheit und stach darauf bei günstigem Wind in See. Drei Wochen befanden sie sich auf dem Meere und landeten endlich auf der Insel Hern in der Nähe des jetzigen Bergen. Von dort segelten sie nach der Bucht (Vigen), denn das war der Name der Küste, welche den Meerbusen, der jetzt Christianiafjord heißt, umgiebt. Damals nämlich herrschte König Harald Graufell (Graafeld) über Norwegen und er und seine Mutter Gunhilde hatten in der Zeit ihren Wohnsitz in Kongehelle an der Götaelv, welche damals die Grenze zwischen Norwegen und dem südlichen Theil des jetzigen Schwedens war, wo die Gothen wohnten. Dort suchte Rut sie auf. Rut war ein schöner Mann, groß, stark und waffengewandt, von milder Sinnesart und sehr klug. Gunhilde gewann ihn alsbald lieb und versprach auch, ihm zu seinem Erbe zu verhelfen, falls er nach ihrem Willen thun wolle. Rut wagte nicht, ihr zuwider zu sein, denn sonst würde sie Rache gegen ihn geplant haben, ihm sein Gut geraubt und ihn selbst aus dem Lande gejagt haben. So versprach er denn ihr zu Diensten zu sein und sie verhalf ihm zu des Königs Gunst und zu einer angesehenen Stelle in seinem Gefolge. Er genoß viel Ehre, stand in hohem Ansehen beim König und durch Gunhilde's Hülfe erreichte er die Auszahlung seines Erbes; was er aber empfing, gab er ihr zur Hälfte. Als nach dem zweiten Winter allmählich der Frühling herankam, wurde er sehr still und in sich gekehrt. Gunhilde merkte es wohl und als sie einmal allein beisammen waren, sprach sie: »Was ficht Dich an, Rut, bist Du gemüthskrank?« Rut meinte, er könne es nicht leugnen. »Dem heimatslosen Mann blühen nur wenig Freuden,« sprach er, denn es trieb ihn zurück nach Island. »Hast Du eine Braut drüben?« fragte sie. »Das nicht!« entgegnete er. »Dennoch weiß ich, daß es der Fall ist,« sprach[12] sie. Indessen redeten sie für diesmal nicht mehr davon. Rut trat vor den König und grüßte ihn. »Was ist Dein Begehr, Rut?« fragte der König. Er antwortete: »Ich bitte Dich, Herr, gieb mir Urlaub, um nach Island zu fahren.« »Wird Dein Ansehen dort größer sein als hier?« fragte der König. »Das wohl nicht,« erwiderte Rut, »aber jeder muß auf seinem Platze wirken.« »Vergeblich würden wir ihn zurückhalten,« sprach Gunhilde zum König; »laß ihn ziehen, damit ist ihm am besten gedient.« Es war damals Theurung im Lande, indessen schenkte Gunhilde Rut soviel Mehl als er begehrte. Nachdem er sich zur Abfahrt fertig gemacht hatte, ging er hinauf zum König und Gunhilde. Diese führte ihn abseits und sagte zu ihm: »Hier ist ein Goldring, den ich Dir geben will!« und streifte denselben auf seinen Arm. Darauf schlang sie ihre Arme um seinen Hals, küßte ihn und sprach: »Habe ich Dich so in meiner Gewalt, wie ich es glaube, so lege ich Dir hiemit das Geschick auf, daß Du kein Glück findest an der Seite des Weibes, an welches Du denkst.« Rut lachte darüber und ging fort. Darauf trat er vor den König, um ihm zu danken. Der König empfing ihn freundlich und wünschte ihm gute Fahrt. Rut ging alsbald zu Schiffe, es wehte ein günstiger Wind, und er gelangte glücklich in den Borgefjord. Sobald der Anker ausgeworfen war, ritt Rut heim, während sein Oheim Össur, der ihm auf seinem Zuge gefolgt war, beim Schiffe blieb, bis es entladen war. Es wurde ans Land gezogen und ein Dach darüber gebaut zum Schutz vor den Winterstürmen. Alles Gut aber wurde nach dem Laxauthal hinaufgeführt.

Quelle:
Die Njalssaga. Leipzig 1878, S. 10-13.
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