Der Diebstahl auf Kirkeböj.

[77] Kurz nach den Begebenheiten, die zuletzt erzählt worden sind, kam Miswachs über ganz Island, so daß die Einwohner großen Mangel hatten sowohl an Lebensmitteln, wie an Viehfutter. Da mußte man sich gegenseitig aushelfen, je nachdem man guten Willen und Vorrath hatte. Viele wandten sich an Gunnar auf Hlidarende, und er half jedem aus, der zu ihm kam, sowohl mit Heu als auch mit Lebensmitteln. Schließlich begann er selbst an diesen Dingen Mangel zu leiden. Es wohnte aber auf dem Hofe Kirkeböj (Kirchecke d.h. die Ecke, wo der Weg nach der Kirche abbog) zwischen den beiden Rangauen nordwestlich von Hlidarende ein reicher Bauer namens Otkel Skarfsohn. Zu ihm ritt Gunnar eines Tages, begleitet von seinem Bruder Kulskjäg, Halgjerde's Schwiegersohn Thraen Sigfussohn und dessen Brudersohn Lambe Sigurdsohn. Er rief Otkel zu sich heraus und sagte zu ihm, die Noth zwinge ihn, ihn aufzusuchen, um Heu und Lebensmittel zu kaufen, falls er Vorrath habe. »An beidem habe ich Vorrath,« antwortete Otkel, »doch will ich Dir nichts davon verkaufen.« »Willst Du es mir denn schenken,« fragte Gunnar, »und mir es überlassen, wie ich Dir lohnen soll?« »Auch das nicht,« versetzte[77] Otkel und wurde unterstützt von einem anderen Bauern, seinem Freunde, einem argen, zanksüchtigen und lügnerischen Manne namens Skamkel von Hof, der mit ihm aus dem Hause getreten war. »Eigentlich wäre es das Beste,« rief Thraen Sigfussohn, »wenn wir selbst nähmen, soviel als wir bedürfen und das Geld dafür da ließen.« »Nein,« erwiderte Gunnar, »rauben will ich nicht.« Otkel aber fragte Gunnar, ob er ihm einen Sklaven abkaufen wolle und als Gunnar einwilligte, gab er ihm einen Menschen namens Melkolf, aus Irland gebürtig, einen faulen Knecht, den niemand leiden konnte. So kam Gunnar zurück mit einem hungrigen Munde mehr, aber ohne Lebensmittel und Viehfutter. Indessen wurde er bald damit versehen, denn als Nial vernahm, wie man auf Kirkeböj sich gegen Gunnar benommen habe, versetzte er, es sei übel gethan, Gunnar einen Handel abzuschlagen. Bergthora meinte, es wäre eine gute That, wenn Nial ihm Heu und Lebensmittel verschaffe. »An beiden hast Du ja Ueberfluß,« sagte sie zu ihm. »Du hast Recht,« entgegnete Nial, und kurz darauf ritt er mit seinen Söhnen nach Thorolfsfjeld und belud fünfzehn Pferde mit Heu und fünf mit Lebensmitteln. Dieses brachte er Gunnar, schenkte es ihm und sprach: »Wenn Du nach meinem Wunsche handeln willst, so wende Dich an keinen andern außer mir, falls Du etwas bedarfst.« »Deine Gaben sind gut,« erwiderte Gunnar, »was aber werthvoller ist, das ist die Freundschaft, die Du und Deine Söhne uns erweisen.« Halgjerde aber wollte den Schimpf rächen, den Otkel Gunnar angethan hatte. Während des Sommers, als dieser auf dem Alting war, rief sie eines Tages Melkolf zu sich und sagte: »Ich habe ein Geschäft für Dich; Du sollst nach Kirkeböj reiten; im Speicher sollst Du zwei Pferdelasten an Butter und Käse stehlen und dann den Speicher in Brand stecken, damit niemand merkt, daß dort gestohlen ist.« »Viel Böses habe ich schon verübt,« entgegnete der Sklave, »niemals aber war ich ein Dieb.« »Was man doch alles hören muß!« spottete Halgjerde, »Du willst Dich weiß brennen und bist doch ein Dieb und ein Mörder? Du sollst nach meinen Worten thun, sonst lasse ich Dich[78] tödten.« So nahm denn der Sklave in der Nacht zwei Pferde und ritt nach Kirkeböj. Der Hund bellte ihn nicht an, da er ihn kannte; er aber ging zum Speicher, belud die Pferde, legte Feuer an im Speicher, schlug den Hund todt und ritt heim. Es dauerte nicht lange bis die Bauern vom Alting heimritten. Oestlich von dem Berghang am Flusse, jenseits des großen Gletschers, aus dem der Markarfluß entspringt, lag ein Landstrich, der Sida genannt wird. Gunnar hatte die Bauern aus dieser Gegend eingeladen, auf dem Rückwege vom Alting bei ihm einzukehren, sie aber folgten der Einladung. Halgjerde deckte den Tisch für sie und unter den Speisen, die aufgetragen wurden, befanden sich auch Käse und Butter. »Wo stammt das her?« fragte Gunnar, denn er wußte, daß dergleichen auf Hlidarende nicht vorhanden sei. Halgjerde antwortete: »Nirgends stammt es her, Du magst es ruhig essen. Uebrigens kommt es nicht den Männern zu, Küchenmeister zu sein.« Gunnar wurde zornig und rief: »Uebel wäre es, wenn ich Diebshehler sein sollte,« und schlug sie dabei auf die Wangen. »Das sollst Du mir büßen,« sprach Halgjerde und eilte hinaus und Gunnar that desgleichen. Darnach wurde alles wieder abgetragen und statt dessen Fleisch auf den Tisch gesetzt. Da meinten die Gäste, es geschehe das wohl, weil man den Käse und die Butter nicht auf so gute Weise erworben habe wie das Fleisch; und kurz darauf zogen sie ab.

Quelle:
Die Njalssaga. Leipzig 1878, S. 77-79.
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