Ende der Geschichten, die Schahrazad dem König Schahriar erzählte

[553] Schahrazad hatte nun während dieser Zeit dem König drei Kinder geboren; und als sie also die Geschichte Ibrahims beendet hatte, stand sie auf, küßte vor Schahriar den Boden und sprach: »O König der Zeit und Einziger des Jahrhunderts und der Stunde; ich bin deine Sklavin, und seit tausendundein Nächten habe ich dich unterhalten mit den Geschichten der Leute alter Vergangenheiten und mit den lehrreichen Beispielen der Menschen alter Zeiten. Darf ich mich nun erkühnen, von deiner Hoheit eine Gnade zu erbitten?« Versetzte er: »Erbitte sie, o Schahrazad, und sie soll dir gewährt werden.« Da rief sie die Ammen und sprach: »Bringt mir meine Kinder.« Die also brachten sie ihr eilig, und es waren drei Knaben, einer ging, einer kroch, und einer wurde noch gesäugt. Sie nahm sie, setzte sie vor den König hin, küßte wiederum den Boden und sprach: »O König der Zeit, diese sind deine Kinder, und ich flehe dich an, daß du mich erlösest vom Drohen des Todes, und das sei ein Geschenk für diese Kleinen; denn wenn du mich tötest, so werden sie mutterlos, und sie werden niemanden finden unter den Frauen, der sie aufzieht, wie sie aufgezogen werden sollten.« Als[553] der König das hörte, da weinte er; und er drückte die Knaben an die Brust und sprach: »Bei Allah, o Schahrazad, ich hatte dir längst vergeben, ehe diese Kinder kamen, denn ich erfand dich als keusch, rein, edel und fromm. Allah segne dich und deinen Vater und deine Mutter, deine Wurzel und deinen Zweig! Ich rufe den Allmächtigen auf zum Zeugen wider mich, daß ich dich befreie von allem, was dir schaden kann.« Sie nun küßte ihm Hände und Füße und freute sich in höchster Freude und sprach: »Der Herr mache dein Leben lang und fördere dich in Würde und Majestät!« Und sie fügte hinzu: »Du stauntest ob dessen, was dir widerfahren war durch die Frauen; und siehe, ich habe dir dargelegt, was Kalifen und Königen und andern mit ihren Weibern widerfuhr, doch der Bericht ist langwierig, und das Zuhören wird langweilig, und hierin liegt eine allgenügende Warnung für Männer des Verstandes und eine Mahnung für die Weisen.« Dann hielt sie inne im Reden, und als König Schahriar ihre Rede vernommen hatte, nahm er die Kräfte seiner Vernunft zusammen, und er reinigte sein Herz und wandte seinen Verstand herum und kehrte sich zum allmächtigen Allah und sprach bei sich selber: »Da den anderen Königen Schlimmeres widerfuhr, als mir widerfahren ist, so werde ich, solange ich lebe, nimmer aufhören, mir Vorwürfe zu machen ob dessen, was geschehen ist. Dieser Schahrazad gleichen aber ist nicht zu finden in allen Landen: Preis also Ihm, der sie zum Werkzeug machte, um seine Geschöpfe zu befreien von Bedrückung und Mord!« Dann stand er auf und küßte ihr das Haupt, worob sie sich freute in höchster Freude, sie mit ihrer Schwester Dunyazad.

Und als der Morgen da war, ging der König hinaus, setzte sich auf den Thron seiner Königsherrschaft und berief die Herren seines Landes; und die Kämmerlinge und Nabobs und die Hauptleute des Heeres traten zu ihm ein und küßten vor ihm den Boden. Er zeichnete den Vezier, den Vater Schahrazads, mit besonderer Gunst aus, verlieh ihm ein kostbares und prunkvolles Ehrengewand und behandelte ihn mit der höchsten Güte; und er sprach zu ihm: »Allah schirme dich, dieweil du mir deine edle Tochter zum Weibe gabst, die das Mittel war, daß ich bereute, die Töchter des Volkes erschlagen[554] zu haben. Wahrlich, ich habe sie erfunden als rein und fromm, als keusch und edel, und Allah hat mir durch sie drei Knaben gewährt; deshalb Preis Ihm für seine überschwengliche Gnade!« Dann verlieh er seinen Vezieren und Emiren und Würdenträgern Ehrengewänder, und er legte ihnen in Kürze dar, was ihm begegnet war mit Schahrazad, und wie er sich abgewendet hatte von seinen alten Wegen, und bereute, was er getan hatte; und wie er ferner gedächte, die Tochter des Veziers, Schahrazad, zur Königin zu nehmen und den Ehevertrag mit ihr entwerfen zu lassen. Und als die Anwesenden das vernahmen, küßten sie vor ihm den Boden und segneten ihn und seine Braut Schahrazad; und der Vezier dankte ihr. Dann beschloß Schahriar in allem Wohlsein seine Sitzung, und die Leute zerstreuten sich in ihre Wohnungen, und die Kunde lief um, daß der König sich der Tochter des Veziers, Schahrazad, zu vermählen gedächte. Er aber rüstete das Hochzeitsgerät und schickte nach seinem Bruder, dem König Schah Zaman; der kam, und König Schahriar zog ihm mit seinen Truppen entgegen. Ferner schmückte man die Stadt aufs herrlichste, und Düfte entströmten den Räucherpfannen, und Aloenholz und andre Wohlgerüche brannten auf allen Märkten und in allen Straßen; und die Leute rieben sich ein mit Safran, während die Trommeln schlugen und die Pfeifen und Flöten schrillten und die Spielleute und Marktschreier spielten und ihre Künste übten und der König Gaben und Spenden über sie schüttete; und wahrlich, es war ein besonderer Tag unter den Tagen. Und als sie zum Palast gelangten, befahl König Schahriar, die Tische mit unzerteilt gebratenen Tieren zu decken, und mit Süßigkeiten und mit allerlei Gerichten, und er ließ den Ausrufer ausrufen unter dem Volk, daß alle in den Diwan kommen und essen und trinken sollten; und dies sollte das Mittel der Versöhnung sein zwischen ihm und ihnen. Hoch und niedrig also, groß und klein strömten zu ihm hinein, und sieben Tage samt deren Nächten blieben sie so schmausend und zechend beisammen. Dann schloß der König sich mit seinem Bruder ein und berichtete ihm, was ihm während der verstrichenen drei Jahre widerfahren war mit der Vezierstochter, mit Schahrazad; und er erzählte ihm,[555] was er von ihr vernommen hatte an Sprichwörtern und Gleichnissen, Chroniken und Historien. Und König Schah Zaman staunte in höchstem Staunen und sprach: »Gern würde ich ihre jüngere Schwester zum Weibe nehmen, auf daß wir zwei leibliche Brüder mit zwei leiblichen Schwestern wären, und sie wären auch uns in gleicher Weise Schwestern; denn das Unheil, das mir widerfuhr, war die Ursache, daß wir entdeckten, was dir widerfuhr.« Als nun König Schahriar seines Bruders Worte vernahm, freute er sich in höchster Freude; und er stand auf der Stelle auf, ging hinein zu seinem Weibe Schahrazad und machte sie bekannt mit der Absicht seines Bruders, daß er nämlich ihre Schwester Dunyazad zum Weibe begehrte; und sie erwiderte: »O König der Zeit, wir verlangen von ihm nur eine Bedingung, daß er nämlich seinen Wohnsitz bei uns aufschlage, denn ich kann es nicht ertragen, mich auch nur eine Stunde von meiner Schwester zu trennen, da wir zusammen aufgezogen und die Entfremdung voneinander nicht erdulden können. Wenn er diesen Bund annimmt, so ist sie seine Sklavin.« König Schahriar kehrte zu seinem Bruder zurück und machte ihn bekannt mit dem, was Schahrazad gesagt hatte; und er erwiderte: »Wahrlich, das hatte ich schon im Sinn, dieweil ich nicht wünsche, je wieder von dir eine Stunde getrennt zu werden. Das Königreich aber möge Allah verleihen, wem er will; denn mich verlangt es nicht länger nach der Königsherrschaft.« Als König Schahriar seines Bruders Rede vernahm, da freute er sich in höchster Freude und sprach: »Wahrlich, das ist, was ich wünschte, o mein Bruder. Also Preis sei Allah, der die Vereinigung zwischen uns herbeigeführt hat!« Dann schickte er nach den Kasis und den Olema, den Hauptleuten und Vornehmen, und sie vermählten die beiden Brüder den beiden Schwestern. Die Verträge wurden aufgesetzt, und die beiden Könige verliehen allen, die zugegen waren, Ehrengewänder aus Seide und Satin, während die Stadt sich schmückte und die Lustbarkeiten von neuem begannen. Der König befahl einem jeden Emir und Vezier und Kämmerling und Nabob, seinen Palast zu schmücken, und das Volk der Stadt war fröhlich ob der Vorzeichen des Glücks und der Zufriedenheit. Der König Schahriar[556] befahl auch, Schafe zu schlachten; und er errichtete Küchen und rüstete Hochzeitsfeste und speiste alle, die kamen, hoch wie niedrig; und den Armen und Bedürftigen gab er Almosen, und er dehnte seine Güte aus auf groß wie klein. Und am Morgen nach der Hochzeit trat der Vezier zu den beiden Königen ein und küßte vor ihnen den Boden; sie dankten ihm und erwiesen ihm reiche Güte. Dann gingen sie hinaus und setzten sich auf die Lager der Königsherrschaft, während alle Veziere und Emire und Großen und Herren des Landes sich vor ihnen einstellten und den Boden küßten. König Schahriar wies ihnen Ehrengewänder und Spenden an, und sie beteten für die Dauer und das Gedeihen des Königs und seines Bruders. Dann ernannten die beiden Könige ihren Schwiegervater, den Vezier, zum Vizekönig in Samarkand, und sie wiesen ihm fünf der höchsten Emire als Begleiter zu, denen sie befahlen, ihm zu dienen und aufzuwarten. Der Minister küßte den Boden und betete, daß ihnen Länge des Lebens verliehen würde; und schließlich ging er hinein zu seinen Töchtern, während die Eunuchen und Türhüter vor ihm herschritten; und er begrüßte sie und nahm Abschied von ihnen. Sie küßten ihm die Hände und wünschten ihm Glück zu der Königswürde und verliehen ihm unendliche Schätze; dann nahm er Abschied von ihnen, brach auf und reiste Tage und Nächte lang dahin, bis er sich Samarkand näherte, wo ihm die Städter auf drei Tagemärsche entgegenkamen und sich seiner in höchster Freude freuten. Er also zog ein in die Stadt, und sie schmückten die Häuser, und es war ein denkwürdiger Tag. Er setzte sich auf den Thron seiner Königswürde, und die Veziere huldigten ihm, und die Großen und Emire von Samarkand und alle beteten, daß ihm Gerechtigkeit und Sieg und Länge des Lebens verliehen würden. Er also gab ihnen Ehrengewänder und behandelte sie mit Auszeichnung, also daß sie ihn zum Sultan machten.

Sowie nun Schahriars Schwiegervater aufgebrochen war nach Samarkand, berief der König die Großen seines Reiches und gab ihnen ein ungeheures Gastmahl von allerlei köstlichen Speisen und erlesenen Süßigkeiten. Und er verlieh ihnen Ehrengewänder und belohnte sie, und er teilte das Reich vor ihnen allen zwischen sich[557] und seinem Bruder, worauf das Volk sich freute. So blieben die beiden Könige beisammen, und ein jeder herrschte abwechselnd einen Tag, und sie lebten stets in Eintracht miteinander, während in gleicher Weise ihre Weiber fortlebten in der Liebe zum allmächtigen Allah und in der Danksagung gegen ihn; und die Völker und die Provinzen lebten in Frieden, und die Prediger beteten für sie auf den Kanzeln, und ihr Ruhm lief um in der Welt, und die Reisenden trugen Nachricht von ihnen in alle Lande. Im Laufe der Zeit berief dann König Schahriar die Chronisten und Schreiber, und er befahl ihnen, alles aufzuzeichnen, von Anfang bis zu Ende, was ihm widerfahren war mit seinem Weibe; und sie schrieben es nieder und nannten es: Die Erzäh lungen aus den tausend Nächten und der einen Nacht. Das Werk umfaßte dreißig Bände, und die legte der König in seinen Schatz. Und die beiden Brüder lebten mit ihren Weibern in aller Lust und Freude des Lebens und seinen Wonnen, dieweil Allah, der Höchste, ihren Verdruß wahrlich verwandelt hatte in Genuß; und also fuhren sie fort, bis zu ihnen kam der Vernichter der Wonnen und der Trenner aller Gemeinschaft, der Entvölkerer der Städte und der Sammler für die Totenäcker, und sie entrückt wurden in das Erbarmen des allmächtigen Allah, also, daß ihre Häuser verfielen und ihre Paläste in Trümmern lagen und die Könige ihre Reichtümer erbten.

Dann herrschte nach ihnen ein weiser Herrscher, der war gerecht, scharfsinnig und gebildet, und er liebte Erzählungen und Legenden, und besonders die, so berichten von den Taten der Herrscher und Sultane, und er fand im Schatz diese wunderbaren Geschichten und erstaunlichen Erzählungen, die in vorbenannten dreißig Bänden enthalten waren. Er las also von ihnen ein erstes Buch und ein zweites und ein drittes und so weiter bis zum letzten, und jedes Buch erstaunte und entzückte ihn immer mehr als das vorhergehende, bis er zum Ende kam. Dann bewunderte er, was er darin gelesen hatte an Schilderungen und seltenen Zügen und Anekdoten, an lehrreichen Beispielen und Erinnerungen, und er befahl den Leuten, sie abzuschreiben und zu verbreiten über alle Länder und Striche; und also lief ihr Ruhm durch die Welt, und die Menschen nannten[558] sie: Die Fabeln und Wunder der tausend Nächte und der einen Nacht. Das ist alles, was uns überliefert wurde vom Ursprung dieses Buches, und Allah ist allwissend.

Ruhm also sei ihm, den der Wechsel der Zeit nicht angreift, und keine Änderung und kein Wandel tut seiner Herrschaft Eintrag; das eine lenkt ihn nicht ab vom andern, und er ist einzig in den Zeichen der Vollkommenheit. Gebet und Friede aber ruhe auf dem Priester des Herrn und auf dem Auserwählten unter seinen Geschöpfen, unserm Herrn Mohammed, dem Fürsten der Menschheit, durch den wir ihn anflehen um ein gutes und gottgefälliges Ende![559]

Quelle:
Die schönsten Geschichten aus 1001 Nacht. Leipzig [1914], S. 553-560.
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