CXXVIII.

Ein schön Lied vom verlornen Son.

[146] 1. Es was ein mal ein ungeratnes kind,

wie man deren leider noch viel find,

Sein eltern wolt er gehorchen nit,

es halff an jm kein straff noch bitt.


2. Er führt ein seltzam wüstes wildes leben,

auff niemands straff er wolt geben,

Er soff, er spielt, er lebt im sauß,

lag selten ein nacht in seins vaters haus.


3. Er trieb viel mutwil und büberey,

wo es recht zugieng was er nit darbey,

Damit macht er viel trawrigkeit,

sein eltern groß hertzenleid.


4. Letzlich must jm sein vater geben,

sein erbtheil heraus bey seinem leben,

Darmit zog er in frembde land,

trieb viel mutwil, sünd, laster und schand.


5. Fraw Venus und das kartenspiel,

gut gesellen kosten jn sehr viel,

Darmit wird er sein gütlein an,

in kurtzer zeit es bald zerran.[146]


6. Wie er alles verschlemmet hat,

zog er allenthalben umb in der stadt,

Seine gute gesellen liessen jhn für gahn,

den spot mußt er zum schaden han.


7. In des fiel auch ein thewrung ein,

und denn must er hüten der schwein,

Und mit jn aus dem kübel fraß,

träber und des groben graß.


8. In des so trat jn auch die schwarze kuh,

kam der alte keil auch darzu,

Da fieng er an und schlug in sich,

seufftzet und weinet gar bitterlich.


9. Er sprach in meines lieben vaters haus,

da gehn viel taglöner ein und aus,

Die haben die völle zu essen brot,

ich aber leid gros hungers not.


10. Er sprach, ich wil heim zu meinem vater ziehen,

und wil mich demüthig vor jhr (so) neigen,

Taglöhner er sunst haben mus,

ich wil heim und jm fallen zu fuß.


11. Er gieng und kam zum vater dar,

als bald der vater sein ward gewar,

Da lieff er bald entgegen jhm,

sein elend hertzlichen jammert jn.


12. Gröblich hab ich versündiget mich,

erzörnet hab ich Gott und dich,

Vater das ist mir hertzlich leid,

erzeige mir gnad und barmhertzigkeit.


13. Verschwunden ist mir mein hertzenleid,

jr knecht bringt her das beste kleid,

Bringt fingerring an seine hend,

bringet schuh an seine füs behend.


14. Nun frewe sich mit mir jederman,

mein son ich wider funden hab,

Er was gestorben und gar verloren,

jetzt lebt er, und ist new geboren.[147]


15. Im abendt, da vom feld heimkam,

den eltesten bruder wunder nam,

Wie man im haus so singt und springt,

fraget wie man so thumb und klingt.


16. Ein knecht anwort jhm auff sein frag,

hör meine meinung ich dir sag,

Dein jüngster bruder ist kommen zu haus,

der lang ist gewesen aus.


17. Deshalb ist dein vater also fro,

darumb singt man und springt also,

Ein feistes kalb hat man jhm geschlacht,

und jm ein herrlich abendmal gemacht.


18. Die red jm lauter nicht gefiel,

ward zornig und ins haus nit wil,

Fleissig bin ich gewesen in deinem gebot,

am morgen frü und spat.


19. Doch hastu mir nie ein böcklein,

gegeben das ich möcht frölich sein,

Und haben mit meinen freunden gut,

und mit jnen ein guten mut.


20. Nun hat jhn auch der teuffel an dem strick,

der führt jn durch dünn und dick,

Hett er sich nicht wider gewandt,

so wer er worden zu einem hellenbrandt.


21. Und er dargegen hat sein gut verthan,

dafür er den rechten lohn,

Jetzt nemen sol wer billich,

und solt dich sein erbarmen nicht.


22. Eines vaters hertz erbarmet sich,

darumb mein sohn erzörn dich nicht,

All mein gut ist auch dein,

darumb hilff mir jetz frölich sein.


23. Dabey gedenck ein böses kind,

die jren eltern ungehorsam sind,

Thund wider kehren in kurtzer eil,

es schad sunst der seelen heil.[148]


24. Hiemit endet sich das geschicht,

wiewol ich niemand urtheil nicht,

Doch wend ein jeder selber sich,

das er nicht fall in Gottes gericht.

Quelle:
[Anonym]: Das Ambraser Liederbuch vom Jahre 1582. Stuttgart 1845, S. 146-149.
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