CCII.

[254] 1. Wach auff mein hort, vernimb mein wort,

merck auff was ich dir sage,

Mein hertz das schwebt nach deiner bitt,

schöne fraw las mich nit verzagen,

All mein begier, trag ich zu dir,

das glaub du mir,

der trew las mich geniessen.


2. Dein stoltzen leib du mir verschreib,

und schleus mir auff dein hertze,

Schleus mich darein, zart frewlein fein,

und wend mir meinen schmertzen,

Den ich jetzt han, und doch nit kan,

bey dir stets sein,

ist wider meinen willen.


3. Ach junger knab, dein bitt las ab,

du bist mir viel zu wilde,

Und wenn ich thet nach deiner bitt,

ich förcht du schweigest nit stille,

Ich danck dir fast, mein werder gast,

der trewe dein,

die du mir ganst von hertzen.


4. Ach fraw, mit nicht bin ichs bericht,

das ich euch wolt betriegen,

Ob einer kem, der das vernem,

dennoch so müst er liegen,[254]

Darauff du baw, und mir vertraw,

du reines weib,

las dich den schimpff nit rewen.


5. Ach junger knab, nun zeuch dich ab,

schlaff heint bey mir ohn sorgen,

Kein freundlich bitt sol sparen nit

bis an den hellen morgen,

Dein freundlich wort an diesem ort

die gehn mir nach,

und erweichen mir mein hertze.


6. Da lagen die zwey ohn sorgen frey

die lange nacht in freuden,

Bis uber sie schein der helle tag,

der helle liechte morgen,

Aus aller noth schrey ich zu dir,

das glaub du mir,

der trew las mich geniessen.


7. Der wechter an der zinnen stund,

liegt jemands hie verborgen,

Der mach sich auff und zich darvon,

das er nicht komb in sorgen,

Nimb urlaub von dem schönen weib,

wenn es ist zeit,

es scheint der helle morgen.


8. Die fraw da an dem fenster stund,

jhr lieb wolt sich scheiden,

Sie küst jhn an sein roten mund,

freundlich thet ers umbfangen,

Da gab sie jhm ein krentzelein

von perlen weis,

mit brauner seiden umbwunden.


9. Von dannen sprang, hub an und sang,

wie es jhm wer ergangen

Mit einem weib, jhr stoltzer leib,

hett jhn mit lieb umbfangen,[255]

Hett sich verpflicht, hub an und dicht

ein tageweis,

von einer schönen frawen.

Quelle:
[Anonym]: Das Ambraser Liederbuch vom Jahre 1582. Stuttgart 1845, S. 254-256.
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