XI. Der betrogene Richter.

[15] Zu der Zeit als der Weltbekante hochgelährte Thomas Morus annoch würcklicher Cantzeler in Engeland war / brachte man etliche Diebe und Beutel-Schneider für Gericht / die man ihrer behenden Bubenstück wegen gar hart und peinlich anklagte. Einer aber von den Gerichtlichen beysitzern / ein alter ansehnlicher Mann / schalt die Ankläger / warumb sie nicht acht auff ihre Beutel und Taschen gehabt / und auß Unachtsambkeit solchen Leuten gelegenheit gegeben / ihnen die Beutel abzuschneiden. Man könte deswegen mit den Beklagten nicht so hart noch strenge verfahren. Den dabey Gegenwärtigen Cantzler verdroß diese Rede / daß der alte Herr den Beutelschneidern noch über zu helffen bemühet war / und hies demnach die Beschuldigten wieder abtreten. Auff den Abend aber schickte er nach einem von diesen / den man vor den schlimsten und fertigsten in seinen Diebsgriffen hielte / und sagte zu ihm / Ob er sich nicht getraute / bewustem alten Herren auch seinen Beutel / wann er gelegenheit dazu hette / abzuschneiden? So fern er dieses könte Werckstellig machen / solte es ihm zwar keine Gefahr bringen / doch müsse er ihm dem Beutel wieder geben. Er solte auch umb dieser Behendigkeit willen / wegen seiner begangenen andern Thaten ein Gnädiger Urtheil empfangen. Und der Cantzelrr gab ihm darneben selber Gelegenheit / wie er es solte machen und angreiffen.

Folgenden Morgens lies er eben diesen berüchtigen Beutelschneider fürs Gericht fodern / der dann umb vieler losen Händel willen hart beschuldiget ward. Er[15] antwortet aber / welcher Gestalt er der zuversichtlichen Hoffnung lebte / ein gnädiges Urtheil zu empfangen / wan ihm nur vergönnet wurde / dem Herrn Cantzler / oder sonst einem beysitzenden Richtern etwas heimlich ins Ohr zu sagen. Darauff gab der Cantzlar ihm die Wahl / er möchte ihm nur selber einen auß ihnen erwehlen / dem er solche Heimlichkeit vertrauen wolte. Da bath er umb den Alten / der vorigen Tags sein und seiner Diebischen Cammeraden Wort trefflich geredet. Dieser stehet auch alsobald auff / und gehet mit dem verschlagenen Buben an die Seite / zu vernehmen / was er ihm heimliches entdecken wurde. Der Beutelschneider zischete ihm zwar was heimliches ins Ohr / nahm aber daneben des Richters Taschen fleissig wahr / die derselbe an seiner Seiten hangen hatte / und schnitte ihm selbige mit grosser Behendigkeit gantz ohnvermerckt ab. Der Alte / der hievon nichts wuste / setzte sich drauf wider nieder / und Thomas Morus beginnet alsobald zu erzehlen welcher Gestalt etliche Gefangene umb eine Beysteung hetten anhalten lassen / weil sie nichts zum besten hetten / und sonst Hungers sterben / und elendiglich verderben musten. Er zog hiebey alsobald etwas auß seinem Beutel / ihnen solches zu contribuiren / mit bittlichem Ersuchen / die andern Herrn möchten ihm darinn nachfolgen. Wie solches geschah / kam die Reige auch an den Alten der geschwinde nach seiner Taschen griff / aber dieselbe nicht mehr an seiner Seiten antraff / darauff er ganz erzürnet außfuhr / was dieses vor ein bößhaffter Frevel wäre? Es hatte dieser gottlose Bube an diesem öffentlichen Gerichts-Orth / in Gegenwart aller Gerichts-Persohnen ihm seine Tasche abgeschnitten. Solchen Gestalt könte ja ein ehrlicher Mann nirgends das seine mit Frieden behalten. Darüber lachte der Cantzler mit den übrigen Herrn / und sagte: Ein andermahl solte er[16] den Beutelschneidern nicht mehr das Wort führen / und die Ankläger damit abweisen / daß sie besser hetten sollen auff ihre Beutel acht haben / allermassen er itzo selber dieser behenden Diebes. List nicht hatte entgehē können.

Quelle:
Schau-Platz der Betrieger: Entworffen in vielen List- und Lustigen Welt-Händeln [...]. Hamburg, Frankfurt am Main, 1687, S. 15-17.
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