CXI. Der listige Jude.

[241] Ein vornehmer Jüdischer Rabbi in Deutschland / genant Elias Levita der Deutsche / referirt zu Ende seines Büchleins / welches er Sepher Harcabha nennet /folgende Historie: Man findet in dem Buch der Thaten des Weisen Abraham Abben Esra / daß er auff eine Zeit mit 15 seiner Schülern und 15 leichtfertigen Buben[241] übers Meer gefahren / also / daß deren in allem 30 waren. Es geschahe aber eins Tages / daß sich ein grosser Stinn erhube / daß man besorgte / das Schiff würde zerschmetten und zu Grunde gehen / deßwegen der Schiff Patron den halben Theil von den 30 Personen ins Meer zu werffen befahl / damit das Schiff solchergestalt in etwas erleichten würde / da sahe der weiser Aben Esra / daß es anders nicht / sein möchte /antwortete demnach: Dieser Befehl ist weißlich und wohl / allermassen es besser / daß der halbe Theil /als daß alle Menschen umbkommen: Wir wollen aber also drumb losen; Die 30 Mann sollen in einem Cirem nach ein ander gestellet werden / und man soll allemahl den Neunten davon ins Meer werffen / so lange / biß noch 15 davon übrig sind. Die 30 Männer giengen solches ein / und übergaben die Ordnung zu machen / dem Aben Esra / welcher die Ordnung so künstlich anstellete / daß seine Schüller alle erhalten /die leichtfertige Buben aber allesambt ins Meer springen musten. Die Ordnung machte er also: Erstlich stellete er 4 Schüler / nach solchen 5 leichtfertige / als dann 2 Schüler und darauff 1 Leichtfertigen / ferner 3 Schüler und 1 Leichtfertigen / weiter 1 Schüler und drauff 2 Leichtfertige / wiederumb 2 Schüler und 3 Leichtfertige / und alsdann 1 Schüler und 2 Leichtfertige / letztlich 2 Schüler und 1 Leichtfertigen. Wann wir die Schüler nun mit A. und die Leichtfertigen mit B. bemärcken / stunden sie in folgender Ordnung:

AAAA. BBBBB. AA. B. AA.A.B.A. BB. AA. BBB. A. BB. AA. B. Wann man nun von fornen biß hinten hinauß zehlen / und allemahl nach dem Ende wiederfornen anfängt / jedoch den 9ten außschiesset / und[242] denselben alsdann nicht wieder mit zehlet / so werden alle B. außgestochen werden / und die A. stehen bleiben. Die Hebræer haben in ihrer Sprache darüber einen Merckwürdigen Vers gemacht / aber bey dem Lateinischen Vers


Populeam virgam mater Regina tenebat.


kann man diese Ordnung gar füglich behalten / darin die 5 Vocals A.E.I.O.U. gelten die Zahlen 1. 2. 3. 4. 5. nehmlich A. gilt 1 / und U. 5 die Mitler auch das ihrige nach der Ordnung. Wolte man aber die siebende Person allemahl außschiessen / hätte man sie stellen müssen nach diesem Lateinischen Vers


Rex anglicum Gente bona dat signa serena.


Vor den ersten Vers / könte ein Teutscher nachfolgende Teutsche:


So du etwan bist gefallen hart /

Steh widr / Gnade erwart /


Vor den andern Lateinischen aber / die Teutsche Reimen gebrauchen


Es war in uns Elend ohn maß /

Aber Christ hat geendet das.


Andere Autores geben dergleichen für mit 15 Christen und so viel Türcken oder Juden. Die Regel dazu zu finden ist nicht schwer / und zwar in allerhand Zehlen und Zahlen. Zum Exempel / der Personen wären 12 /und der 11te solte allemahl sterben / so mache 12 Strichlein in einen Circul / und fange an zu zehlen wo du wilt / durchstreich allezeit das Eilffte / biß 6 davon außgetauscht sind / so wirstu folgende Ordnung überkommen.


1 Schuldiger2 Unschuldiger

1 Schuldiger3 Unschuldiger

4 Schuldiger1 Unschuldiger


Dieses kan man im Kriege gebrauchen / wann das Loß komt / damit die Unschuldigsten erhalten wurden. Es ist mir[243] aber nicht glaublich / daß der Jüdische Kriegsheld Josephus im Jüdischen Kriege sich durch dieses Mittel beym Lebē erhalten / zu Zeit / da er mit 40 Juden / aus Furcht vor dem Feind / sich in eine Höhle verkrochē / wie Egesippus und Josephus berichten / jener im 18 Cap. seines 3 Buchs von der Zerstörung Jerusalem / dieser aber weitläufftiger im 6 Buch des Jüdischen Kriegs am 71 und 72 Cap. Es verhält sich also: Als Josephus aus Furcht für dem Tito Vespasiano mit 40 Halßstarrigen Juden in eine Höle / sich zu bergen / stiege / und sich darin aufhielte / biß sie von Hunger nicht länger bleiben kunten /da gab Josephus den Rath / sie solten neben ihm Mannlich unter den Feind setzen / und lieber vor demselben ritterlich sterben / als in der Höhle vor Hunger verschmachten. Wie aber das Jüdische Volck allezeit halßstarrig gewesen / kunte sie auch itzo Josephus mit aller seiner Geschickligkeit nicht bewegen; sondern ihre Meinung war / es solten durchs Loß allemahl 2 auß ihrem Mittel erwehlet werden / welche einander stechen solten / solches gottloses Begehren muste Josephus / weil er gar nicht wolte gehöret werden /nothwendig mit den andern eingehen. Er ordnete aber die Sache so geschicklich / daß er nebst einem gar schwachen Juden zu letzt überblieben / dessen er sich auch gar leicht hatte bemächtigen können. Nun sagt ein Frantzösischer Autor / er habe solche Ordnung gemacht / daß der dritte allezeit solte umbkommen /weil er aber den 16 oder 30 Orth eingenommen / habe er sein Leben salviret / aber so mans probirt / daß die zwo Zahlen nicht angehen / sondern der dreyßigste sterben müsse / hatte er dafür den 31 setzen mögen. So aber allezeit der Neunte hatte sterben müssen /hätte er den 22 oder 30 Orth einnehmen können / so der siebende dran gemust / wären der 27[244] und 31 Oerther die besten und sichersten gewesen. Was aber Josephus mit dem letzten Juden angefangen / kan bey Egesippo und Josepho an vorbesagtem Orth nachgelesen werden.

Quelle:
Schau-Platz der Betrieger: Entworffen in vielen List- und Lustigen Welt-Händeln [...]. Hamburg, Frankfurt am Main, 1687, S. 241-245.
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