CXXX. Der listige Ehebrecher.

[281] Nachfolgende Geschichte ist zwar etwas lang / aber man würde ihr den Glauben und Connexion benehmen / wann man das Geringste von den Umbständen /so darin erfodert werden / auß lassen würde. Anno 1559 hatte Bertranda Rolsia / auß der Stadt Artigues /in dem Gebieth Rieux / dem Seneschal de Rieux /oder obersten Richter selbiges Orths / vermittelst einer Klag Schrifft zu verstehen gegeben / was massen sie vor ungefehr zwantzig Jahren einen / Nahmens Martin Guerre / geheurahtet / und mit demselben in die neun oder 10 Jahr im Ehestand gelebet / und von ihme einen Sohn / Nahmens Sauxium überkommen habe / der annoch im Leben sey / gemelter Martin habe hernachmals / weil er auß leichtsinniger Weise seinem Vater etwas Weitzen entwendet / sie und sein Hauß-Wesen verlassen / und in die 8 Jahren von ihr gewesen / in welcher Zeit sie nicht das Geringste von ihm vernommen. Unterdessen aber sey einer zu ihr gekommen / der sich vor ihren Mann den Martin Guerre außgegeben / in der That und Warheit aber Arnaud Tillier / mit dem Zunahmen Pansette / ein Sangienser sey / welcher ausser allem Zweiffel sich im Krieg bey dem Martin auffgehalten / mit ihme gute Freundschafft gepflogen / und vermittelst derselben viel von seinem Hauß-Wesen / nebenst andern geheimen,[281] so wohl ihn alß sein Weib betreffenden Sachen erforschet / und weil er sich auff die mit dem Martin habenden Angesichts-Gleichheit verlassen / habe er alles Freundschaffts-Recht gebrochen / einen neuen Betrug erdacht / sich zu vier Schwestern / einem Vettern und andern Freunden / ja so gar zu ihr / der Rolsia selbst und den sämptlichen ihre bekandten Einwohnern zu Artigues begeben / und ihnen so eigentliche und gewisse Kenzeichen gegeben / daß er nicht nur von denen jenigen / die nicht von ihren Geschlecht waren / sondern auch von allen Anverwandten / und der Rolsia gleichfals vor denjenigen gehalten und angesehen worden vor den er sich außgegeben. Es sey sich aber hierüber im geringsten nicht zu verwundern / daß sie ihren Mann zu sehen und wieder zu überkommen grosse Begierde gehabt / weil insonderheit der Tillier viel geheime und verborgene Sachen / welche zwischen Eheleuthen vorzufallen pflegen / mit außdrücklich gemelten Umbständen des Orths und der Zeit zu erzehlen pfleget. Also sey es geschehen / daß er Tillier der Persohn der Klägerin unter den Namen eines Eheweibs habhafft worden /und über die drey Jahr mit ihr ehlig gehauset / und alle Güter des Martins / welche er so wohl zu Artigues / als zu Andrea in den Cantabrischen Gräntzen besessen / von dannen er auch bürtig gewesen / in Besitz genommen. Sie habe ferner auß dieser ehelichen Beywohnung zwey Kinder überkommen / und weil sie endlich von den erschröcklichen Tücken und unerhörten Betriegerey des Tilliers vergewissert worden /habe sie immer fleissiger nachgeforschet / und zwar auff Vorschub des obersten Richters zu Artigues / biß sie nunmehro hinter die rechte Warheit kommen / da sie dann annitzo inständig bitte / daß dem Betrüger möge eine doppelte Straffe / davon eine den Leib / die andere das[282] Gut betreffe / angethan werden; also / daß er mit blossen Haubt und barfusigt / in blossem Hembd eine brennende Kertze in die Hand haltend bekenne / daß er wieder Gott / den König und die Rolsia sich gröblich versündiget habe / und wegen dieses verübten Bubenstücks öffentlich demühtige Abbitte thue; auch noch über das angehalten werde eine Geld-Straffe von 2000 Pfunden zuerlegen / und entlich der Rolsia alle Unkosten und Schaden / die Zeitwehrender Streitigkeiten vorgefallen / zu erstatten. Der Tillier hingegen / als Beklagter / brachte seine Verantwortung / wider die Rolsia / und ihre Verwandten und Blutsfreunde auff solche Weise vor: Wann einer jemahls / sagte er / von seinen Verwandten unbilliger Weise mit Lästerworten beleget und gequälet worden / so bin ich ausser allen Zweiffel derselbige; Dann obgleich alle und jede genugsam wissen / daß ich Martin Guerre von Artigues sey / so hat doch mein Vetter Peter Guerre wieder mich ein neues / und vorhin unerhörtes Laster erdacht / nur einig und allein mit diesem Absehen / damit er möchte nemblich befreyet sein / wegen meiner bißhero in Besitz gehabter und zu seinem Nutzen verwendeter Güter / einige Rechnung abzulegen. Darauff erweiterte er seine Rede und ein merckliches / und fieng an zu erzehlen / wie er beyläufftig in die 8 Jahr als ein Soldat unter des Königs Völckern gedienet / und hernach aus Antrieb die Seinigen einmahl heimzusuchen / wieder nach Artigues gekommen wäre. Und obgleich die geraume Zeit in seinem Gesicht einige Veränderung veruhrsachet / weil er von Hause abreisend gantz unbärtig gewesen / so sey er doch in seiner Wiederkunfft sowol von andern / als auch insonderheit von seinem Vettern erkant / und auff das freundlichste empfangen worden / biß er entlich angefangen auff seine Sachen zu dencken / deßwegen[283] Rechnung zu fordern / und die in Zeit seiner Abwesenheit genossene Abnützung von dem besagten Vettern zu begehren. Dann weil ich ihn (fuhr er forth) deßwegen zum öfftern freundlich erinnert / und doch dabey Handgreifflich verspühret / daß er mich nur mit süssen Worten auffzuziehen begehrte / bin ich entlich gezwungen worden / ihn zu verklagen / und gerichtlich das Meinige zu suchen. Dann ich konte ihn / zu Erstattung des empfangenen Nutzens /und Schliessung einer richtigen Rechnung / durchaus nicht bringen / sondern er und seine Eidame wurden deßwegen auf mich sehr erbittert / und trachteten mir zum öfftern nach Leib und Leben; Ja sie hatten mich einsmahls feindlicher Weise angegriffen / mit einem Prügel tödtlich verwundet / und zu Boden geworffen /auch ohne Zweiffel gar ermordet wo nicht mein gegenwärtiges Weib sich darzwischen geleget / mich mit ihren Leibe bedecket / die auff mich gerichtete Schläge abgewendet / und mich vom Augenscheinlichen Untergang befreyet hätte. Nachdem Tillier vor den Richtern sich also verantwortet hatte fieng er an weitläufftig und warhafftig (wie es sich hernach gewiesen) zu erzehlen / was es mit der Landschafft Cantrabria / als des Martins Vaterland / vor eine Beschaffenheit habe / ja er meldete eines und anders von seinen Eltern / Brüdern und Schwestern und andern Blutsfreunden in was vor einem Jahr Monaht und Tag er Hochzeit gehalten / von seinem Schwehr und Schwieger / von den Jenigen / welche dazumahls zugegen gewesen / und die Ehe hatten schliessen helffen / von den Kleidern / welche sie beede selbigen Tages angezogen / und insonderheit von allen denen Dingen / welche so wol am Hochzeit-Tage als vorhero und hernach sich zugetragen / also / daß er auch so gar diejenigen nennete / die ihn umb Mitternacht in der Schlaff-Kammer[284] besuchet hätten. Ferner sagt er von seinen Sohn Sanxio / und dessen Geburts-Tag / von der Uhrsache seiner Abreise / und denen jenigen / die ihm dazumahls begegnet / und noch vielen andern Sachen / da er dann allezeit die gewissen Persohnen andeutete / welche er hernach fragte / ob sich die Sache also verhielte / damit seine Erzehlung vor desto wahrscheinlicher gehalten werden möchte. Durch diese so viele und unterschiedliche warhafftige Zeichen / die er weitläufftig erzehlet / geriethe die Sache dahin / daß die Richter ihnen einbildeten / es sey Tillier an der Bezüchtigung gantz unschuldig. Dann ob sie gleich höchsten Fleiß anwendeten / ihn auf seiner Lügen zu erwischen / richteten sie doch nichts aus / konten ihn auch nicht einmahl irr machen / oder verschaffen / daß er ungeschicklich oder falsch auf eine und andere Frage geantwortet hatte / ob sie gleich insonderheit und zu unterschiedlichen Zeiten ein und anderes von ihm forscheten. Hernachmahls wurde noch fleißiger in dieser Sache gearbeitet / also / daß man viel Zeugen deswegen abhörte. Unter denen 30 oder 40 auf des beklagten Seite waren / die da bejaheten / er sey der warhafftige Guerre / weil sie mit ihm von Jugend auff gute Freundschafft gepflogen / und an ihm etliche gewisse Merckzeichen beobachtet / welche der Martin an sich gehabt hatte. Es wahren im Gegentheil ihrer vielmehr vorhanden / welche solches durchaus läugneten / und ihn vor den Arnold Tillier hielten. Weil nun deren Zeugnis durch andere Kenzeichen / die des Martins Sohn Sanxius / und die Schwestern bey brachten / beystättiget wurde / als ward er vor dem Seneschal de Rieux / oder obersten Richter von Rieux durch Urtheil und Recht zum Tode verdammet. Hiermit ware er aber nicht zufrieden / sondern appellirte an das Parlament zu Tholose. Die Herren desselben[285] Parlements liessen hierauf / nach ihrer beywohnenden Klugheit / und wegen Wichtigkeit dieses Handels /den Vettern Peter Guerre / und die Klägerin Rolsia vor Gericht fordern. Da wurden sie gegeneinander gehöret / und zwar das Weib zu erst. Dazumahls nun ware Tillier so unerschrocken und standhafftig / ja er liesse mehr Beständigkeit / als die Klägerin selbst /von sich blicken / daß wenige von den Gerichts-Herren ihn vor einen Betrieger hielten. Weil aber die Sache noch nicht lauter und klar ware / als gefiele dem Parlement von Ambtswegen / wegen anderer Dinge einige Inquisition anzustellen / und andere Zeugen vorzufordern / als der vorige Richter verhöret hatte. Allein als man auch auff solche Weise verfahren / und es an keinem hierzu dienlichen Mittel ermangeln lassen / wurde hierdurch die Sache noch dunckler / als zuvor niemahls. Unter dreyßig Zeugen wahren ihrer zehen / welche ihn warhafftig vor den Martin außgaben / achte aber davon hielten ihn vor den Arnold Tillier. Die übrigen waren wegen wiedriger Umbstände in grossem Zweiffel. Daraus denn gar leichtlich abzunehmen / wie verwirret hierüber die sämptlichen Richter worden / indem sie die Schwerigkeit und Gefahr dieser Sache / wie auch den zweiffelhafften Fall beobachteten / da zu beyden Seiten so wichtige Merckzeichen sich ereigneten. Dann daß der Beklagte nicht der wahre Martin Guerre / sondern der Arnold Tillier / oder sonst ein Ertzbetrieger sey / ware aus 5 oder 6 nicht geringen Ursachen abzunehmen. Erstlich / waren mehr als 45 Zeugen vorhanden / die frey und offentlich außsagten / er sey der Arnold Tillier / und beobachten die Uhrsache dieses ihres Zeugnisses / daß sie nemblich so wol mit dem Guerre / als dem Tillier / gute Freundschafft gepflogen. Allhier ist auch zumercken / daß etliche merckwürdige Umbstände[286] bey diesen Zeugen sich ereigneten. Dann unter dieser Zahl ware auch des Tilliers Mutter Bruder / Nahmens Carbo Barrautius / auff den man keinen Verdacht werffen konte / weil niemand glauben konte /daß ein Blutfreund eine so schändliche Lügen erdichten würde / umb ohn einige offenbahre Ursache diesen Vettern zum schmählichen Todt befördern zu helffen. Wie dann der Carbo sein Mitleiden zur genüge bezeugte / als der Beklagte so wol vor dem obersten Richter zu Rieux / als auch vor dem Parlement zu Tholose erschiene. Dann so bald er ihn gebunden /und an den Füssen mit starcken Fesseln beschweret erblickte / fieng er alsobald an zu Weinen / und sein Elend zu beklagen. Der ander Umbstand war / daß fast alle Zeugen hierinnen überein stimmeten / es sey der Martin Guerre von grösserer Statur / habe eine braunere Farbe / einen schlanckern Leib und magere Füsse / eingebogene Schultern / einen eingezogenen Hals / ein zweigetheiltes und auffwerts gekrumtes Kien / die Unterleffze etwas herunter hangend / wenig Zähne / eine breite und auffgeworffene Nase / sey auch mit einer Narbe im Angesicht bemerckt / dahingegen der Beklagte einen kurtzen untersetzten Leib /dicke Füsse / und die übrigen Ken-Zeichen / an den Schultern / der Nasen und des Angesichs gar nicht an sich habe. Der dritte Umbstand war / daß der Schuster / der dem Guerre seine Schuhe verfertiget / vorgabe /er habe Schuhe von zwölf Stichen zu tragen pflegen /dahingegen diesen seine Schue von neunen bestunden. Viertens berichtet einer / der Guerre sey in der Fecht-Kunst trefflich wohl abgerichtet / darinnen aber der Tillier gantz unwissend war. Fünfftens wahren zween Zeugen verhanden / deren einem / Nahmens Johann Hispant bekant / daß der Tillier sich stracks[287] anfangs bey seiner Ankunfft zu erkennen gegeben / und gebeten / die Sache verschwiegen zu halten / dabey berichtend / es sey der Guerre gestorben / und habe ihn Testaments-Weise zum Erben seiner Güter eingesetzet. Den andern unter diesen Zeugen / der Valentius Rubius hiesse / hat der Tillier / da Rubius ihn bey seinen Nahmen Arnold rieffe / und erkennet hatte / mit den Finger gewuncken / ihn nicht zu verrahten / wie dann eben dergleichen mit dem Tillier und Peregrino Liberossio vorgegangen. Sechstens / tratten noch zween andere Zeugen auff / die da berichten / es sey ein Soldat von Rochefort bürtig / vor kurtzer Zeit durch Artigues gereiset / der habe sich verwundert / daß der Tillier sich vor den Guerre außgebe / der doch noch im Leben sey / sich in Flandern auffhalte / das eine Bein im Krieg verlohren habe / und an dessen statt sich nunmehro eines höltzernen Fusses bediene. Die andere Ursache / vermittelst derer erwiesen würde / daß der Beklagte / der Guerre nicht sey / bestunde in der gegen einander Stellung des Tilliers und des Sanxii /Guerre Sohns / dadurch der Ober-Richter zu Rieux abnahme / daß sie einander im geringsten nicht gleicheten / wie dann solches auch von vielen bestättiget würde. Die dritte Ursache war / weil Martin Guerre aus Cantabrien entsprossen war / welcher Nation Sprache von der Frantzösischen und Gasconischen umb ein merckliches unterschieden ist; Der Tillier aber diese wohl reden kunte / in jener aber gantz unerfahren wahre. Die vierte Ursache war / weil fast alle Zeugen beständig außsagten / daß der Tillier von Jugend auff ein lasterhafftes Leben geführet / allerhand Dieberey getrieben / und sich vielfältiger Betrügerey beflissen / dannenhero auch ausser allen Zweiffel diesen unverschämten[288] schändlichen Betrug also erdacht /und angestellet habe. Im Gegentheil aber / daß der Beklagte nicht der Tillier / sondern der wahre Martin Guerre sey / bestättigen fast in die viertzig Zeugen /unter denen die vier Schwestern waren / die solches gleichfals bejaheten / und deßwegen gute und wichtige Ursachen beybrachten. Es waren aber gedachte vier Schwestern unter den ehrlichsten / und wohlgeachtesten Matronen in gantz Gasconien. So brachten auch gemelte Zeugen meistentheils solche Kenn Zeichen auff die Bahn / welche das Ansehen hatten / alß ob sie unmöglich könten wiederleget werden; Es habe nemblich der Guerre in dem obern Kinnbacken einen doppelten Zahn / an der Stirn eine Narbe / eingedruckten Nägeln an den vordern Fingern / drey Wartzen an der rechten Hand / und einen rothen Flecken im lincken Auge gehabt / welche Zeichen insgesampt an dem Beklagten zu sehen waren. Darzu kamen noch vielmehr andere nicht schlechte Beweißgründe. Der erste war /daß viel von den Zeugen offenbahrten / was Peter Guerre vor einen schlimmen Anschlag gehabt / daß er endlich mit seinem Weib und Eydamen sich verschworen / den Beklagten auß dem Weg zu räumen /ja so gar / daß er mit Johan Lozäo / dem Palesien-Burgermeister einen Vertrag auffrichten wollen /wann er eine gewisse Geld-Summa / zu seiner / des Tilliers Unterdrückung / herschiessen möchte / so wolle er das Ubrige gleichfalls darreichen; Es habe aber Lozacus geantwortet / er wolte lieber seine Gelder zu Erhaltung als Vertilgung solches Menschen anwenden / den er vor seinen Blutfreund erkennet / und die Bestättigung dessen auß seinen / des Peters / eigenen Mund öffters verstanden hätte. Der ander Beweißgrund war / daß fast alle Zeugen bejaheten / es habe[289] dieser Beklagte / als er nach Artigues gekommen / alle diejenigen / welche dem Guerre bekand gewesen / und die ihme zuerst begegnet / mit ihren eigenen Nahmen gegrüssen und empfangen; Ja als einer und der andere ihn nicht so fort gleich erkennen wolte /habe er ihnen / was zwischen ihnen vorgegangen wieder zu Gedächtniß gebracht / und einen Jeden von ihnen also angeredet: Weistu nicht mehr daß / da wir vor 10 / 12 / 20 Jahren an dem und dem Ort waren /wir das und das verrichteten / bey dieser und jener Gesellschafft uns befanden / und diese und dergleichen Reden führten? Der dritte Beweißgrund ware /daß er der Klägerin Rolsia viel geheime und verborgene Dinge / welche die Eheleuthe allein wissē konten / zu Gedächtnüß gebracht; daß so bald er wieder zu Hause angelanget / er so fort der Rolsia befohlen / ein Niederkleid von gewisser Farbe herzuholen / welches er bey seiner Abreise in einer gewissen Kisten hinterlassen hatt / welches dann die Rolsia nicht läugnen kunte. Der vierte Beweißgrund wurde hergenommen von der Gleichheit und Aehnligkeit zwischen dem Beklagten und des Guerre Schwestern / welche so groß ware / daß kein Ey dem andern so gleich sehen kunte /als er und dieselben. Der fünffte Beweißgrund ware /daß er das Gericht ersuchte / man wolte der Rolsia einen Eyd zuerkennen / daß sie solte schweren / daß sie ihn nicht vor ihren rechten Mann erkennete /worzu sich aber die Rolsia nicht verstehen wolte. Diese Umbstände machten dem Beklagten eine solche Gunst bey den Gerichten / daß sie ihn bey nahe hätten loßgesprochen und vor unschuldig erkant / insonderheit weil die Loßzehlung dem Ehband / und denen /durch geschehene Beywohnung erzeugten Kindern /vorträglich wahre. Es verschaffte aber Gott /[290] umb zu zeigen / wie gerne er der untergedrückten Warheit zu Hülffe erscheinen wolle / damit ein so abscheuliches Bubenstück nicht möchte verborgen bleiben / sondern zu gebührender Straffe gezogen werden / daß eben zur selbigen Zeit / da der Außspruch in dieser Sache erfolgen solte / der rechte Martin Guerre sich wieder einstellete. Selbiger nun kame aus den Niederlandē mit einem höltzernen Bein (wie oben angedeutet worden) zurücke / überreichte den Richtern eine Klagschrifft wieder den Betrieger Tillier / und bate inständig / ihn in dieser Sache zur genüge zuvernehmen. Die Richter beschliessen hierauff / den Tillier und Martin gegen einander einen Betrieger und leichtfertigen Gesellen / und versprache klärlich zu erweisen /daß solcher von Peter Guerre hierzu mit Geld bestochen / und solche Lügen vorzubringen abgeordnet worden. Er erzehlte hierauf ein und anders / fragte auch den Martin von vielen Sachen / worauf aber selbiger nicht so hurtig und schicklich antwortete / als der Tillier gethan hatte / und noch zuthun fortfuhre. Als die Richter dieses alles gehöret und gesehen / befragten sie den neu ankommenden Martin allein /ohne einige andere darzu gebrauchte Zeugen / und forscheten von ihm die allergeheimbsten Sachen / die vorhin gar nicht waren vorgekommen. Darauff liessen sie ihn wieder abtretten / und den Tillier fordern / von dem sie eben dergleichen forscheten / der dann auff alle Fragen eben dergleichen Antwort gabe / wie vorhero von Martin geschehen. Diese Sache machte die gantze Versamblung zum höchsten bestürtzet / und vermeinten die meisten / es sey Tillier ein Ertz-Zauberer. Damit nun die Richter ein desto gewisseres Urtheil fällen möchten / liessen sie die Vornehmsten von den jenigen Zeugen / die den Tillier vor den Guerre[291] hielten / wie auch des Martins Schwestern / sambt ihren Ehemännern / item / des Tilliers Mutter Bruder /sambt seinen Brüdern und Bluts-Freunden / herzukommen / daß beydes der Martin und Tillier ihnen möchten vorgestellet / und also auff solche Weise der wahre Guerre erkennet werden. Sie erschienen alle /ausser des Tilliers Brüdern / die weder durch Brieffe noch Drohwort / noch Gewalt konten darzu gebracht werden / wieder ihren Bruder zu zeugen. Die erste Persohn / so vorgelassen wurde / ware des Guerre älteste Schwester; selbige nun sahe den aus Flandern neulichst angekommenen Martin ein wenig starz an /erkennte ihn so forth vor ihren Bruder / fiel ihm umb den Hals / und redete die Richter also an: Dieses ist mein rechter Bruder Martin Guerre / denn jener leichtfertige Verrähter (auff den gegenwertigen Tillier deutend) verlogner Weise bißhero vorgestellet / und mich nebenst meinen andern Schwestern schändlicher weise mit seinen falschen Kenzeichen biß auf diese Stunde betrogen. Worauff auch die andern Schwestern und Zeugen / die vorhero auf des Tilliers Seiten gewesen waren / mit dieser einstimmeten. Entlich wurde auch die Rolsia herzugelassen / welche alsobald ihren Mann erkente / und mit Thränenden Augen umb Verzeihung ihres begangenen Fehlers bate / sich damit entschuldigend / daß sie aus Unwissenheit / und des Tilliers verschlagenen Betriegerey gesündiget habe. Also wahre nun des Tilliers Betrug gantz und völlig kundt worden / dannenhero der Beklagte / wegen seines begangenen Frevels / Ehebruchs und Weiber-Raubs / etc. von dem Parlement zu Tholose zu folgender Straffe verdammet wurde / daß er nehmlich vor der Haubt-Kirchen zu Artigues / mit gebogenen Knien / im blossem Hembd / mit[292] unbedecktem Haubt und blossen Füssen / einem Strick am Hals / eine Fackel in der Hand haltend / Gott / den König / Martin Guerre / und die Bertranda Rolsia umb Verzeihung bitten / hernach dem Hencker in die Hände gelieffert /von demselben mit dem Strang am Hals durch die Gassen und Strassen der Stadt Artigues umbher geführet / und entlich vor dem Hause des Martins an einen daselbst aufgerichteten Galgen gehencket /letztlich aber der Cörper zu Asche verbrennet werden solte.

Quelle:
Schau-Platz der Betrieger: Entworffen in vielen List- und Lustigen Welt-Händeln [...]. Hamburg, Frankfurt am Main, 1687, S. 281-293.
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