CLXIV. Der ungebetene Gast.

[374] Ein sehr schlauer und geübter Gaudieb oder Filou /der endlich nach vielen begangenen Schelmstücken zu Ravan hingerichtet worden / hielte sich vor einigen Jahrn zu Pariß auff / als welcher Orth der grosse Rendevous allerhand Gesindleins ist. Wie er nun / damit er die erst ankommende Frembdlinge in sein Diebs Netz erhaschen möge / in der Stadt hin und wieder gieng / wird er unterandern zweyer Bürger / die sich eine lange Zeit nicht gesehen / und beyderseits freundlich besprachen / gewahr. Dieser Filou siehet / daß sie besonders von ihren Geschäfften sich unterreden / und nahet sich unvermerckter Sachen zu ihnen / doch daß er sich nichts annahm / als wolte er einigerwegen etwas von ihrem Gespräch vernehmen. Solches geschahe an einem Eck der Gassen S. Innocents. Entlich / nach unterschiedlichen Reden / sagte der eine Bürger zum andern / daß er ihn hiermit gantz freundlich bäte / er wolle Morgen umb 11 Uhr zu ihm kommen / und mit einer schlechten Mahlzeit vor lieb nehmen / und zugleich auch einen guten Freund mit sich bringen; Der ander sagt ihm zu / in besagter Stund ihn zu besuchen. Der Filou / welcher dieses in Acht nahm / fassete diesen Schluß bey sich / dem / der den andern zu Gast gebeten / von weitem nachzufolgen / die Gasse und das Hauß / darinnen er wohnet / zuvernehmen /damit er andern Tages sich so wol / als der andere Bürger einstellen könte: Nachdem er dieses erforschet / fehlete er nicht / den andern Tag umb 11 Uhr umb selbige Gegend auf und ab[374] zu spatzieren / erwartende / biß der / so zur Mittags-Mahlzeit geladen / käme. Nachdem nun der Filou seiner wahrnahm / fügt er sich zu ihm / eben da dieser zur Thür eintretten wolte. Der geladene vermeynete / der Filou wäre vom Gastherrn ebenermassen beruffen / stritte derhalben ein wenig mit ihm umb den Vorgang. Wie sie nun hinein kommen / schickt man sich zur Mahlzeit / immittelst unterhielte man sich mit allerhand neuen Zeitungen /und vornehmlich dessen / so zu Hoff passirt. Der Filou hielte die Augen nicht viel an einem Ort still /sondern läst denselben den Zaum schiessen auf alle Seiten zu sehen / ob er nicht / ehe er wieder weichen muste / sich mit einer guten Beut versehen könte. Als nun die Taffel mit Speisen besetzt / wäschet man die Händ / und allda wird der Filou des Handbeckens ansichtig / daß 200 Cronen werth war / nimbt auch in Acht / daß man dasselbe in der Küchen stehen lassen. Der Haußherr stehet in der Meynung / es habe denselben sein geladener Freund mit sich bracht / der ander vermeinet / der Haußherr hätte den Filou / wie ihn /zur Mahlzeit erbeten. Hier muste nun der Dieb grosser Vorsichtigkeit sich befleißigen / sintemahl er von beyden befragt ward / und jedem von allem / jederzeit gebührlich Antwort geben muste; Die Mahlzeit gehet dergestalt vorüber / es werden entlich die Speisen aufgehaben / man hält sich mit Gesprächen wieder auf /in dem wird der Bube gewahr / daß die Magd aus der Küchen / und die Frau in eine Kammer gangen war /meine günstige Herren / sagt er / ich bitte / ihr wollet mir verzeihen / daß ich euch mit meiner Persohn überlästig gewesen / ich wil von den Herren einen Abtritt vor dißmahl nehmen / aber zum längsten in einer Viertelstund mich bey denselben abermahl einstellen /und wie er dergestalt von beyden Erlaubnüß genommen / machte er sich[375] im vorüber gehen in die Küch /ergreifft obgedachtes Handbecken / und laufft davon: Als der Gaudieb kaum vor die Haußthür hinauß kommen war / fiengen die zween einer den andern an zu fragē / wer doch dieser bescheidene Edelmann sein möge? Der Gastherr sagt / er habe seiner keine Kundschafft / und vermeynte / er wäre von seiner Gesellschafft. Worauff diese bestürtzt waren / ruffen die Frau herunter / erzehlen ihr den gantzen Handel: Unterweilen aber nehmen sie ihres Handbeckens nicht alsobald gewahr / daß das gestohlen / biß nach einer Stund die Magd wieder auß der Stadt nacher Hauß kombt / wird sie innen / daß solches hinweg ist. Also hat dieser Filou beneben seinem Diebstahl eine gute Mahlzeit ohne einige Kosten / vor diesen Gang nach seinem Wunsch erlanget / aber nachmahls desselben Interesse sambt dem Haubtgeld zu Rovan / da er nach seinem Verdienst justificirt worden / sattsam entrichten und mit seinem Halß bezahlen müssen. Wie die Arbeit / so ist auch Lohn.

Quelle:
Schau-Platz der Betrieger: Entworffen in vielen List- und Lustigen Welt-Händeln [...]. Hamburg, Frankfurt am Main, 1687, S. 374-376.
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