CIIC. Die Jüdische Weißheit.

[424] Ein Rabbi hatte drey Söhne / denen verliesse er grossen Reichthum und eine Kiste / welche sie nicht eröffnen solten / als in der grösten Noht / und solches musten sie ihm versprechen; Nach seinem Todt verschlemmte der Jüngere Bruder alles / was er hatte /und begehrte / die andern solten die Kisten öffnen /und ihm seinen Antheil geben? Sie aber wolten nicht /sondern leiheten ihm zu unterschiedlichmalen Geld /welches er auch verzehrte / und wie sie die Kisten wechselweiß verwahrten / liessen sie ihm denselben nach 3 Jahren[424] auch zu Händen kommen / er sperrte sie aber mit dem Diebsschlüssel auff / nahme das Geld heraus / und füllte sie mit Steinen; Nachdem er auch solches Geld durchgebracht / nöhtigte er seine Brüder / daß sie die Kiste öffneten / und als sie die Steine darinnen fanden / beschuldigte er sie / das sie ihn bestohlen / und kamen für den Richter / welcher ihnen sagte / daß er die Sache für schwer befinde / sie solten ihm aber ihre Meinung in nachgehender Begebenheit / die ihm aus Egypten zugeschickt worden /entdecken. Zween reiche Juden / sagte er / haben ihre Kinder in der Wiegen verlobt / und hat sich nach ihrem Todt begeben / daß der Bräutigamb gantz verarmet / und deßwegen zu seiner reichen Braut nicht heurahten wollen / ob sie ihn gleich zum drittenmahl gebeten / ihrer Eltern Willen zu vollführen; als er nun nicht gewolt / und sie mit seiner Armuth zu belästigen beständig geweigert / hat sie sich mit einem andern verlobt / ist aber an ihrem Hochzeit-Tag mit allem ihren Schmuck den Räubern in die Hände gerahten /welchen sie beweglich zugesprochen / daß sie ohne Verletzung ihrer Ehre / mit allen kostbahren / Zierraht / wieder nach Hause gelassen worden. Nun ist die Frage / welcher Tugend erwiesen / der arme vermeinte Bräutigam / die reiche Braut / oder die barmhertzigen Räuber; Der erste Bruder sagte / daß der Jüngling die gröste Tugend erwiesen / indem er seines gleichen freyen wollen / und habe nicht auf Geld und Gut gesehen / seine Freyheit zu verkauffen; Der andere Bruder sagte / daß die Braut die gröste Tugend sehen lassen /indem sie ihrer Eltern Willen mit ihrem Nachtheil /gehorsamen wollen; der Dritte sagte / daß die Räuber die gröste Tugend sehen lassen / weil sie noch dieser Hochzeiterin Ehre / noch ihren Schmuck geraubet /welches sie doch wol hätten thun können. Darauf sagte der Richter:[425] Gelobet sey Gott! Der nichts verborgen lässet den Schmuck / welchen du junger Bösewicht nicht gesehen hast / lässest du dir begierigst wolgefallen / wie soltest dann du nicht derjenige seyn / welcher die Kisten geleeret. etc. Als nun dieser jüngere Bruder sich verrahten sahe / bekante er dengan tzen Verlauff.

Quelle:
Schau-Platz der Betrieger: Entworffen in vielen List- und Lustigen Welt-Händeln [...]. Hamburg, Frankfurt am Main, 1687, S. 424-426.
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