CCXXV. Die hintergangene Kauffmännin.

[496] Zu Paris war ohngefehr umbs Jahr 1613 eine Frau /die alle Vollkommenheit / so man jemahls an dergleichen Persohnen zu sehen wünschen mögen / hatte /diese Marinette war kurtz verwichener Zeit einem ehrlichen wohlbegüterten Kauffmann ehelich beygesellet. Aber gleich wie sich Streit und Uneinigkeit allgemach in die Ehe mit ein schleicht / an statt / daß das strenge Band der Freundschafft die Hertzen der Verliebten /sonderlich deren / so sich mit ehelicher Liebes-Neigung an einander verknüpffet / sehr fest zusammen fügen und binden solte: Also sahe man in kurtzem Marinette in ihres Ehewirths Ungunsten / wiewohl sie ihm hergegen alle Zeichen einer Gegenlieb erwiese /war es doch nichts als Gleißnerey. Diese junge Frau befand sich zum öfftern in dergleichen Gesellschafft /die sie billig hatte meiden sollen / wann sie nicht bereits beschlossen hätte / ihrer Ehr Urlaub zu geben. Wie sie nun eines Abends bey einem Ballet umb die Gegend S. Opportuns sich befand / nahete sich ein Brittanischer Edelmann zu ihr / es sey nun / daß er sich darvon außgeben / oder aber / daß ers in der That gewesen / und führete sie zum Tantz. Nach verrichtung dessen / wie ein jeder eine Prob der Höffligkeit zuthun befliessen ist / also unterhielt sie auch eine Zeitlang dieser junge von Adel / welcher[496] ein sonderbahres Ansehen hätte / und schöpfte auß ihren Fragen und Antworten so gute Gedancken / daß er gäntzlich ihre Gunst zu erlangen vermeinete. Nichts destominder würde es nicht recht gewesen seyn / wann man so geschwind den Rechten der Ehrbahrkeit Gewalt angethan hätte. Derowegen wolte auch vor diß erstemahl die vernünfftige Ursache und der Wolstand der Marinette nicht weiter zugeben / daß sie dem Edelmann einen näheren Zutritt gestattet hätte. Nimbt demnach Urlaub von ihm / und er von ihr. Aber ihrer beyder Hertzen / die einander / wie sichs anließ / auff ein längeres freundliches Unterreden gleichsam einluden /brachten nicht lange Zeit zu / daß sie nicht solten die verdrießlichkeit solches Abwesens empfunden haben. Jedoch war auch dieses in etwas durch öffters Ansehen eines des andern gestillet / bevorab / weilen der Edelman sich zu unterschiedenenmahlen in der Frauen Wohnung / sich beyde mit Gespräch zu ergetzen /hatte finden lassen. Zeit währender solcher Besuchung und Unterredung / begab es sich / daß zu Paris auch ankam einer / in Gestalt eines Edelmans Rodencourt genant / ein verschlagener / arglistiger Mensch / und hatte schon eine lange Zeit Kundschafft zu dem gehabt / von welchem wir reden / derohalben machten sie sich zusammen / und brachten etliche Tage in Spatzieren gehen zu Paris zu / unter welcher Zeit Rodencourt den gantzen Zustand seines Freundes erfahren / vornemblich / was vor ein Glück ihme bey Marinette zu Handen kommen / und wie sie ihn mit Geld und allem dem / so ihm von nöhten war / versorgete. Rodencourt / der solches anhörete / ließ kein Wörtlein von solchen Zeitungen zur Erden fallen / er bildete ihm ein / dieses Raubs auch zugeniessen / und daß hierzu nichts / als sie auff den[497] Handel zu verstehen /nöhtig sey. Dannenhero lag er seinen Gesellen hart an / ihme Marinette Behausung zu offenbahren. Der ander zeigete es ihm / und erklärete ihm über das eines Tages in geheim / welcher Gestalt er dieselbe zu besuchen / sich verhalten muste / zu ihm sagende /daß er die Zeit / wann ihr Mann nicht zu Hauß wäre /erwehlete / und käme des Nachts heimlich durch eine falsche Thür in das Losament zur Marinette. Als nun solches Rodencourt wol eingenommen / beschloß er bey sich selbst / daß er etwas von besagter Marinette erhalten muste. Es gehen viertzehen Tage vorbey /daß er auff und abgehet / und spatzieret insonderheit vorbemelter Kaufmannin Laden vorüber / dadurch er dann auch zugleich bewegt wird / ein Theil der Gunst und des Reichthumbs Marinette zu erlangen. Nun begab es sich / daß einer von ihren Nachbahrn /indem ihr Mann abwesend war / sich in den Ehestand setzen wolte / und solches gab Gelegenheit / daß Marinette beweget ward / sich bey dem Tantz einzustellen / dem aber destobesser in Fröligkeit abzuwarten /hatte sie ihrem Liebhaber die Stund / sie auzutreffen gegeben / und dieser wolte hierbey dem Rodencourt von allem eine gute Prob zeigen / davon er wegen besagter Bürgerin mit ihm geredet hatte / führete ihn deßwegen mit sich / und verschaffte damit / daß er die Schönheit der Marinette wohl genug anschauen möchte. Unterdessen wird Rodencourt durch die Straalen ihrer Schönheit entzündet / und durffte jedoch seinem Gesellen / dem vom Adel kein Wort davon sagen. Nichts destoweniger war in diesem Fall vonnöhten /dem bequemsten Raht zu folgen; Also daß er sich unvermerckter Sachen zu Marinette und seinem Gesellen / die sich beyde in geheim und in einer Ecken des Saals mit gutem Gespräch[498] unterhielten / hinzu machte / und hörete / daß Marinette den Edelman / wie daß er des andern Tages zu ihr kommen solte / bittlich ersuchte / mit vermelden / daß ihr Mann nacher Rovan /wegen etlicher Waaren / so er aus Hispanien hatte bringen lassen / reisen würde. Der Edelmann gab zur Antwort / er wolte ihrem Befehl nach zusetzen in keine wege fehlen / aber doch wolte er sie auff seiner Seiten gebethen haben / ihm in seinen höchsten Nöhten mit hundert Cronen bey zuspringen. Marinette versprache ihm dieselbe fertig zu machen / doch befahle sie ihm auch / das Werck geheim zuhalten. Rodencourt / der solch Gespräch / wiewol er sich dessen nicht annahme / gehöret / gehet im Saal spatzieren /und berahtschlagte bey sich selbst / wie er sich bey dieser Gelegenheit zuverhaltē / fassete endlich den Schluß / sein Glück forzusetzē / und eines mit dem andern zu tauschē ihm einbildend / es wäre in dieser Sach nichts mehrers erfordert / als den Edelman abzuwendē / daß er die Marinette des morgenden Tages nicht besuchte / und er dessen Stelle versehen wolte. Aber wann er ihm diese seine resolvirte Meynung vor Augen stellete / wuste er nicht / was er vorzuwenden /erfinden solte / seinen Gesellen auff Seit zuschaffen /als welcher eben auch über der schönen Gestalt dieser jungen Kauffmännin entbrand war. Wie er nun über dieser Sache Gedancken hatte / kam ihm in Sinn ihn mittelst eines Brieffs aus der Stadt zu bringen / als ob er von einem seiner Verwandten geschrieben wäre /daß er ihm zu Melun zusprechen solte. Dieser Fund ging ihm so glücklich ab / daß nach dem er den Brieff / (als ob er von einem seiner Vettern käme / an den Edelman gestellet) er aus Paris reisete. Siehe / dieß sind die eigene Wort / so er an ihn geschrieben: Mein Herr Vetter / ich habe[499] euch diesen Brieffträger in Eyl zugeschickt / umb euch zu ersuchen / daß es euch /mich Morgen nach Mittag in hiesiger Stadt zu besuchen / belieben wolle. Dann ich euch eine wichtige Sach / so viel die neue Werbung euer Frau Mutter betrifft / und dardurch wir von den Creditoren sehr angefochten werden / zu communiciren / besagter Brieffträger wird euch in mein Losament / und darinnen ich jetzund herberge / führen. Unterdessen / und so lang ich des Glücks / euch zu sehen / erwarte / verbleibe ich nach bestem Vermögen / und Willen

Meines Herrn Vetters

zu dienen geneigter und williger

N.N. von Roqueville.


Dieser Brieff war bemeltem Edelman in Eyl zugebracht / aber der Bott hatte Befehl / seinen Mann / so bald er zu Melun würde ankommen seyn / zu verlassen / und ihm das Losament keineswegs zu zeigen. Solches machte / daß der Edelman alsobald zu Pferd saß / und dermassen übereylet war / daß er bey seiner Marinette abschied zunehmen / die Zeit nicht hatte. Wie er nun zu Melun ankommen / hatte er keine Nachricht von seinem Vettern / er durch suchte bey nahe alle Wirtshäuser / und traff nirgends an / was er begehrte / das machte auch / daß er gleichsam ausser sich selbst kam. Dann über das / daß er seinen Vettern zusehen / das Glück zu haben verhoffte / so war er auch über die massen bestürtzet / daß er eine so gute Gelegenheit vorüber gelassen / und Marinette ihres Verlangens beraubet hatte. Doch ist hieran nicht viel gelegen. Wir lassen ihn zu Melun / und betrachten das / was vor eine Persohn Rodencourt unterdessen zu Paris gespielet hatte. Die Nacht[500] hatte bereits mit ihren dunckelen Wolcken den Erdkreiß bedecket /als Rodencourt an der Thür Marinette anklopffete /die Magd / welche gewöhnlich dem Edelman die Thür aufmachte / und bereits von ihrer Frauen wegen der Ankunfft desselben Bericht empfangen / darumb auch fleißig ihre Wacht versehen / da sie höret anklopffen /nahm alsobald das Licht / und lieff die Thür aufzumachen. Rodencourt / der an diesem Orth das Licht oder dessen Glantz hassete / bliese es auß / steckte seine Nase in Mantel / und gienge der Marinette Kammer zu / da sie seiner erwartete. Nun wil mir nicht geziemen von den liebreichen Stücken des Rodencourt /und was er mit Marinette vorgehabt / zu reden; es sol mir genug sein anzuzeigen / daß / nachdem er eines theils alles / was er wünschen möchte / erhalten /machte seine innerliche Begierde / daß er die 100 Cronen zu begehren und noch Hoffnung zu empfangen / einen Muht fassete: Er verrichtete aber solches mit solcher Klugheit / daß / so wol Marinette / welche sich über die Manier und ungewöhnliches Stillschweigen ihres Liebhabers verwunderte / auch alle Kunst unn Fleiß / ihn außzuforschen / anwendete /man ihn jedoch nicht erkennen konte / baht er derwegen / ihm die Summ des Geldes zulieffern / und solches umb so vielmehr / dieweil er wichtiger Geschäfften halber / bey früher Tagszeit seinem Vorgesetzten nach verreisen muste. Diese Wort / so er heimlich der Marinette ins Ohr redete / wie er dann aus Furcht /sich zu erkennen zu geben / nicht laut hätte reden dürffen / brachten die Kauffmannin ausser allen Zweiffel / worin sie die gantze Nacht durch gestecket hatte. Dann sie ihr zumahl nicht einbilden konte / als wann ein anderer / als der obbesagte Edelman / ihr diesen Bossen gegeben hätte. Darumb ruffte sie ihrer Magd mit leiser Stimm / gab ihr den Schlüssel zum Tresur-Schranck /[501] und befahl vor allem ihr den Sack /so sie ihrem Bericht nach / abseits geleget hatte / mit zu bringen. Die Magd fehlete nicht solches zu holen. Rodencourt aber / so bald er den Sack empfangen / erfreuete sich hefftig / nunmehr zu haben / was er eine lange Zeithero gesuchet hatte. Hierauff nahm er Uhrlaub von Marinette / wiewohl mit ihrem grossen Wiederwillen / angesehen / sie nicht gewohnet war / daß sie ihrē Liebhaber so früh von ihr gehen sehen solte. Als er aber mit seiner Beute aus dem Hauß gieng /war er dermassen von dem Geld entzündet / daß er ihm vornahm / noch ein mehrers durch Mittel des Beutels zu erhaschen. Dahero er auch noch desselben Tages sein Spiel zu Ende bringen wolte / zu welchem Ende er die Zeit / da die Kauffmännin im Laden war /erwehlete / und kam mit einer hurtigen und wundersahmen Gleißnerey hinein / etliche wahren von den besten / so sie hätte / uebersehen / vor allem aber /hielte er sich an einem Stück Siegeltuch auff / als welches in seinen Augen sehr schön scheinete. Inzwischen / als sie sich des Kauffs wegen unterredeten /stieg der Marinette das Geblüt allmählig ins Angesicht / und / wie sie von einem Ehrbahren / doch zweiffelhafften Gemüht beweget war / wuste nicht /was sie sagen solte. Doch kam sie ein wenig zu ihr selbst / so bald sie Rodencourt reden hörete / wiewol ihr noch ein kleiner Argwohn / ob solte sie ihn etwa wo gesehen habē / in der Seelen stecken bliebe. Rodencourt sahe wol gantz scheinbahr alle solche Verwandelung auff dem polirten Marmel ihres Angesichts / er ließ jedoch auch nicht nach / seinen Kauff fort zutreiben / und stellete die Sach dergestalt an /daß er des Kauffs mit ihr einig wird. Das war aber ein wunderlich und seltzames Ding / der Marinette zusehen / da er anfieng / den Beutel / so sie ihm des Morgens gegeben / aufzuthun / und da sie alle Sorten des Gelds /[502] so sie vermeinete / ihrem Edelman gegeben zu haben / erkante. Da fiele sie erst recht in eine Erstarrung ihres gantzen Leibs / also daß sie gantz ohnmächtig ward / und dieweil sie sich entdeckt und verrahten sahe / fassete sie einen Muht in solcher Sache /das beste Mittel / zur Erhaltung ihrer Ehr zu gebrauchen / nahm deßwegen Rodencourt auf Seit und baht ihn zum höchstē / daß er bewuste Sache in geheim halten wolte / auch daß sie ihm / nachdem sie sich betrogen zu seyn verspührete / so wohl den Beutel / als die Waaren von grund ihres Hertzens verehrete / wofern ihm belieben würde / sie an keinem Orth in Spott zubringen. Rodencourt nachdem er an ihr der grossen Furcht / der Ruchtbahrkeit wegen / wahrgenommen /that ihr diese Verheissung / daß man unfehlbahrlich solches nimmermehr von ihm wissen noch erfahren würde. Wie dann auch in Warheit geschehē / massen er nachgehends in guter Gesellschaft bekant / daß er niemahlen davon / biß nach dem Todt Marinette / so zwey Jahr nach diesem Streich verschieden / geredt habe. Siehe / also erhaschete Rodencourt / vermittelst seiner listigen Rencken so wohl den Beutel / als den Lusten / zu sambt besagten Waaren.

Quelle:
Schau-Platz der Betrieger: Entworffen in vielen List- und Lustigen Welt-Händeln [...]. Hamburg, Frankfurt am Main, 1687, S. 496-503.
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