CCXXVI. Der übelgelährte Meister-Knecht.

[503] Es war ein junger Knab erst neulich zu Paris ankommen / und hatte sich zu 6 Landstreichern gesellet / es sey nun / daß er solchen Leuten zu folgen / gleichsam von Natur versehen / oder daß er von einer bösen Zuneigung sich unter ihre Fahnen zubegeben / getrieben war: er blieb wol 14 Tage unter ihnen / begehrte aber kein Stücklein ihres Handwercks zu lernen / noch zu vollziehen.[503] Entlichen aber / wie in allen Dingen ein Anfang muß gemacht werden / also beschloß die Versamblung der Nichtwürdigen / daß / dieweil er sich in ihr Zunfft-Buch wolte einschreiben lassen / muste er nohtwendig das Meisterstück machen. Man befiehlet dieses Ambt einem von den klügsten Meistern / und bund ihm ein / er solte nicht wieder nach Hauß kommen / es habe dann der besagte Jung seinen Meister-schnidt / verrichtet. Dieser / welcher aus Erfahrung /wie man sich in diesem Handel verhalten solte / gute Wissenschafft trug / führete ihn von einer Seiten der Stadt zu der andern / und dieweil er keine Gelegenheit / seinen Handel nach Belieben zutreiben / antraff /brachte er ihn letzlich in ein Kloster S. Innocentz /und wie er daselbst eine gute alte Frau / die sich auff einem Grab vor die Todten zu behten aufhielte / ersahe / sagte er zu seinem jungen Gesellen / der ihm auff dem Fuß nachfolgete / daß / wofern er Meister in seiner Kunst werden wolte / er unverwegerlich dieser alten Frauen den Beutel geschwind und leiß abschneiden muste. Der andere wandte vor / es wäre zumahl keine Gelegenheit sich zur besagten Alten zu nahen /weil sie allein wäre / muste derentwegen nohtwendig sich an einen andern Orth / da mehr Volcks wäre /sich des Messers / welches keine andere Scheid / als seinen Seckel hatte / zu gebrauchen / der aber / der ihn begleitete triebe ihn / so wol durch Dräuworte /als durch andere Mittel / daß er ihm in Sinn satzte /den Beutel der Alten abzuschneiden / und darmit sein Meisterstück zu erweisen. Dieß junge Bürschlein machte sich zu dem Grabe zu / und fiele auff seine Kny nahe bey der Frauen nieder. Sie / als welche an keinen Betrug dachte / fuhr in ihrem Gebeth fort. Der Beutelschneider / der sie Brummeln hörete / war gantz verwirret /[504] und wuste nicht / ob er sein Vorhaben fortsetzen solte. Sein Geleitsman / so in dem Kloster war / winckete ihm / daß er geschwind sein Arbeit verrichten solte. Dieweil dann nun dieser Tropff sahe / daß er nohtwendig umb Meister zu werden /solches verrichten muste / stellete er dergestalt seine Sachen an / daß / indem er sich je länger je mehr in der besagtē Alten nahete / er derselben subtiler weiß den Beutel abschnitt / darauff er sich allgemählich zurück begab / und seinen Gesellen / der seiner wartete /wieder mit freuden wegen beschehenen Handels antraff. Der andere / der in den Beutel sahe / und denselben gar schlecht gespickt befand / saget / daß er noch nicht wäre Meister worden / und wolte ihm hiermit recht ein Stücklein seines Handwercks zeigen / er hält ihn bey der Hand / und rufft der Alten mit Macht zu /Frau / sehet / da ist der Beutelschneider / der euch bestohlen hat. Die Alte sahe alsobald nach ihrem Seckel / und fand nichts mehr daran / als das blosse Band /daran er gehängt hatte. Das Volck versamblet sich alsobald / man verfolget den jungen Tropffen / und ward mit guten Faust-Streichen aus dem Kloster in S. Dionysii Gassen gebracht. Welches dann eben der rechte Orth war / dahin ihn sein Führer haben wolte. Dann er verhoffte unter dem Volck eine gute Beute zu ertappen. Als nun die Krämer der S. Dionys Gassen sahen / wie ein jeder diesem Lehr-Jungen nach lieff /machten sie sich auch aus ihren Läden mit ihren Kramstangen. Aber der alte Meister machte sich mitten unter das Volck / und schnitte 4 oder 5 Beutel den jenigen ab / die auff seinen Cammeraden zu schlugen. Inzwischen wurden die Krämer / die den Beutelschneider abschmiereten / gewahr / daß noch ein anderer Zunfft-Bruder unter ihnen wäre / sie suchten ihn / und wie[505] sie aus der Gestalt des alten Meisters / den sie im Gedräng sahen / urtheileten / fanden sie noch einen Beutel in seinen Händen / das Volck laufft ihm nach / man erwischt ihn bey S. Jacob / bey der Metzig / und als einer daselbsten ihme das rechte Ohr abzuschneiden / sich in die Postur stellete / und nunmehr dasselbe in der Hand hielte / blieb es ihm darinnen /und ward innen / daß es nur von Scharlach zugerichtet war. Der andere machte sich auff seine Füsse / und stellete seine Sachen so wohl an / daß / als er seine Flucht / zu dem Sand-Ufer / Greve genant / nahm / da eben wegen einer Verurtheilung eine grosse Menge Volcks war / er noch zween Beutel davon nach Hauß brachte. Hierüber fieng aber der Lehrjung einen Streit an / und verklagte ihn / alswann er ihn treuloser weiß verrahten hätte. Also war nun dieser Lehrjung zum Meister gemacht / nachdem er nach seinem Verdienst wohl gestriegelt worden.

Quelle:
Schau-Platz der Betrieger: Entworffen in vielen List- und Lustigen Welt-Händeln [...]. Hamburg, Frankfurt am Main, 1687, S. 503-506.
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