XLIV. Der überlistete Advocat.

[74] Ein überaus listiger Advocat nahmens le Bref aus der Picardie / verfolgte zu Paris ein Apellations-Sache /und als er einsmahls auff die neue Brücke ausspatzirte / neue Zeitungen zu vernehmē / fand er / was er nicht suchte. Dann als er dem Spiel / welches daselbst fürgieng / zusahe / stelleten sich ihrer zween ein / deren einer wie ein Spanier / der ander wie ein Frantzoß gekleidet waren. Diese als sie den Picard wohl besehen /und alles wohl betrachtet hatten dauchte sie / es wäre einer / der ihm die Seyl über die Hörner werffen lasse. Derohalben der Spanier diesen anredete: Mausaur /die Pistoll ist guht? Ich sie gebe dem Maussaur / er mich soll führen in Losament / dann ich Spaynol bin /ich weiß nicht / ich verlohren die Man / die Dolmetsch; Ich bin in Herberg zu drey weissen Thiren; er wolte aber sagen zu den 3 weissen Tauben.

L' Bref nimbt die Pistol / und sagte: Sie sey guht /es werde sich niemand beschweren sie für guht anzunehmen. Auff diese Wort stellete sich des Spaniers Geselle / als trieb er sehr an ihm / daß er mit ihm gehen[74] solte / und ob er Sorg habe / daß L'Bref ihme vorkomme sagt derhalben zum Spanier: kommet /mein Herr! ich wil euch in die Herberg führen.

Der Spanier nimbt sich äusserlich an / als habe er nicht Lust dem Frantzosen nach zu folgen / sagt derohalbē zu L'Bref heimlich / er sey schon vielmahl von Beutelschneidern betrogen worden / und traue deßwegen dem / der sich selber anbiethe ihn in die Herberge zuführen / nicht wol: Bitte ihn derohalben / er wolle mit ihm gehen / er wolte ihm gern eine Pistolen geben.

Dieser Frantzos / wiewol er sonsten ein durchtriebener Schalck war / konte doch nicht den Betrug merckē; sondern weil er ein mitleyden mit diesem vermeinten Frembden hatte / welcher sich Kranck stellete / gehet er mit / ihn in seine Herberge zu führen / bevorab / weil er gedachte / er könte eine Pistolen gewinnen. Also machen diese drey sich auff / und hatte einer gegen den andern gantz wiederwärtige Gedancken. Der Spanier erzehlet dem L'Bref auff dem Wege / wie man in seinen Land den Frembden so viel Treu erzeige / und daß es ein Werck der Barmhertzigkeit sey / wann man einen Frembden auß der Rauber Hände helffe / und ihn an sichern Orth begleite. Durch solche bewegliche Worte wurde L'Bref noch mehr zum Mitleiden gegen ihn bewogen.

Als sie nun den Weg herab zum Palais gingen /und durch die Schuflickerey wolten zu den 3 weissen Tauben gehen / kam zu ihnen ein anderer Filou / gekleidet wie ein Spanier / auß Gallicien: Und als er den Spanier sahe fält er ihm ümb den Hals / und spricht zu ihm: Monssaur! O lange Zeit ist es / daß ich nicht gesehen habe euch / wie euch gehet es / ich mir wol gehet / ich muß einmahl mit euch und die gantze Geselschafft trincken.[75]

Der andere bittet / er wolle ihn entschuldigen /dann er müsse in seine Herberge gehen; entlich aber verspricht er / mit ihm zu Mittag zu essen / doch daß die in seiner Geselschafft mit kommen solten: Der Bref und sein Gesell / welcher biß auff solche Zeit sich gar einfältig gestellet / und kein Wort geredet /gehet endlich mit. Hierauff bereitet man das Mittagmahl: Die zween Spanier stellen sich / als seyen sie hertzlich froh / daß sie sich ein mahl angetroffen; der Bref aber ist froh / daß er beneben einer Mittags-Mahlzeit auch eine Pistol bekommen / der Spanier aber / welcher zu erst den Frantzosē auff der neuen Brücken angetroffen / damit man ihren betrüglichen Anschlag destoweniger mercke / stellet sich / als sey ihm übel / und wolte ihm die Speise nicht schmecken; als es der andere Filou siehet / redet er ihm also zu: Ey mein Herr / ihr müsset euch lustig machen: Wann ihr schon ausserhalb eurem Land seyd / so seyd ihr versichert / daß ihr bey guten Freunden seyd; Spricht ihm auch ein Hertz ein / daß sie darauff anfangen zu Essen und zu Trincken / und vergisset der Breff seiner auch nicht. Als sie aber ein wenig gesessen / und von dem Wein warm worden / ließ der Spanier ihm Karten bringen / die Zeit ein wenig mit den Filou zu vertreiben: Unterdessen aber hatte der Bref sein Gespräch mit dem andern Spanier / welcher ihm von allerley Essen gab.

Der Spanier zu den drey weissen Tauben nimbt die Karten / und spricht zu dem Filou / dem Frantzosen /er wolle ihm ein Spiel weisen / mit welchem er neulich 50 Pistolen verlohren habe. Der andere Spanier gehet unterdessen hinauß / nimbt sich an / als habe er was im Hauß zu verrichten / und bleibet der Bref allein mit dem Filou dem Frantzosen / welcher sagte /er verstünde das Spiel / und wolte mit ihm umb eine Cronen spielen.

Sie fangen hierauff zu spielen / der Bref aber zu[76] zu sehen / und das Spiel auch zu lernen / sobald als er das Spiel verstund / fing er an zu beweinen das Glück dieses Frembden; dann er dachte / er würde all sein Geld verlieren.

In dem sie nun spielen / kommen zween ihres Handwercks in ihre Kammer / und nahmen sich an /als wann einer den andern nicht kennete: Nach deme nun die beyde einem Spiel oder zwey zugesehen / sagten sie zu dem Spanier: Mein Herr / wir wiederrahten euch zu spielen dann ihr werdet all euer Geld verspielen. Als Breff dieses hörete / die beyde erst ankommene hätten auch ein Mitleyden mit den Spanier / wie er; war Er zu frieden / daß es ihm diese gesagt hatten /dann er dorffte ihn nicht warnen. Der Frembde sagte /er wüste das Spiel wol / und wolte noch 30 Pistolen auff setzen: Dann es war also angestelt.

Des Bref Gesell / welcher lange Zeit kein Wort gesagt / wendet sich zu dem Bref / und spricht zu ihm: Wann ich Geld genug hätte zu solchem Spiel / wolte ichs auch spielen; Derohalben wann ihr das halbe Theil wollet einsetzen / so will ich geschwind bey einem meiner Freunde so viel entlehnen / als mir wird vonnöhten seyn: Ey es wäre doch eine Lust / wann unser jeglicher dem Spanier könte abgewinnen / daß er ihm ein stattliches Kleid davon könte machen lassen.

Die zween frisch angekommene erbaten sich auch /sie wolten halben Theil einsetzen / als es der Bref sahe / daß nicht allein diese / sondern auch der vermeinte Frembde so hertzhafftig war / dachte er / es wäre eben so guth / da er / als die andere / der Frembden Geld hätte / sagte derohalben / er wolte in das Spiel setzen / alles was er hätte: So bald gehet sein Gesell zur Kammer hinauß / und nimbt sich an / er wolle Geld entlehen / damit der Bref den Betrug desto weniger mercken könte; Unterdessen[77] suchte der Bref auß seinen Hosen-Sack 20 Cronē. Der Filou kompt so bald wieder / und wirfft auff den Tisch 15 Pistolen für seinē Theil / aber der Bref sagte er habe nicht mehr als zwantzig Cronen: wie wol aber jener sich beschwerte umb so wenig zu spielen / sagte er doch / er wolte wieder sie nicht weniger als 40 Cronē setzen /unn solten sie beyde mit einander 40 Cronen einsetzen: Er zehlete hierauff seine 40 Cronen / und thut sie in ein Wischtuch / ihr Geld aber in ein anders / daß ers desto leichtlicher möchte hinweg nehmen. Der Filou sagt zu dem Bref: Nehmet ihr die Karten / ihr spielet ebē so wol als ich / dann ich weiß / wir beyde werden gewinnen. Der Bref dachte nicht / daß er verlieren solte / nimbt die Karten / und nach dem er sie in 3 Theile getheilet / und die erste Karte gesehen /siehet er die andere an / welche die Sand-Uhr war /daß ist / daß alßdann / wann die ersten wurden kommen / sie ihm wurden anzeigen / daß die darauff folgen wurde: Und damit ers nicht vergesse / sahe er sie nicht mehr als dreymahl an: Sein Gesell sagt hierauf: weiset mir die Uhr / daß / wann es komme / ich es euch sage; und nimbt die Karten / stellet sich / als sehe er die Sand Uhr an / unterdessen aber stecket er unvermerckt eine Karte zwischē die zwo / nemblich zwischen die Sand-Uhr / und die erste Karte / und gibt sie ihm darauff wieder: Der Bref / als er die 3 Karten genommen / legte er sie unter die Sand-Uhr /daß sie sich nicht zwischen den zweyen finde / darauff fänget er an die Karten / eine nach der andern ümb zu schlagen / und schluge zweymal auff jede wie man thun muste / also sagend: Daß ist sie nicht / biß er die Sand-Uhr gefunden / da sagte er: Daß ist sie; dann er meinete / er hätte das Spiel gewiß / aber da die Sand-Uhr eins schlagen solte / schlug sie Fünf / und für ein Asdecoeur / bekam er eine cinq de Carreau.[78]

Darüber verstummete er: Der Spanier aber nam die zwey Wischtücher mit dem Geld / und kunte den Weg in seine Herberge ohne einige Nachfrage finden. Der andere Filou / der Frantzoß fing an wieder den Bref zu rasen / sagte / er hätt gemacht / daß sie das Spiel verlohren hätten: Dann / da er die 3te Karte unter die ander legen sollen / hätte er sie zwischen die beyde gelegt / dann die dritte Karte war auch ein Cinq de Carreau / war aber dem Frantzosen nicht umb Schaden zu thun / sondern begehrte nur dem Bref angst zu machen. Dann er traff die Thür so wohl als andere /aber Bref blieb gantz allein bestürtzet: Dann er hatte das Recht seiner Recht fertigung / daß ist / sein Geld verlohren.

Quelle:
Schau-Platz der Betrieger: Entworffen in vielen List- und Lustigen Welt-Händeln [...]. Hamburg, Frankfurt am Main, 1687, S. 74-79.
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