V. Der unverschämbte Dieb.

[6] Zu Paris wohnete ein sehr berühmter Doctor / der wegen seiner grossen Wissenschafft von jederman gebraucht ward / ein durchtriebener Bube / laurete auff ihn / da er wuste / daß er mit einer Summe Geldes / so er auß etlichen Häusern zusammen gebracht / bey sich hatte. Es war Abends umb 9 Uhr / da begegnete er dem Doctor auff der Strassen / machte grosse Complementen nach Frantzosischer Mode und sprach: Mein Herr / ich muß itzo so kühn seyn / daß ich euch auff der Strassen anspreche / ich bin in eurem Hause gewesen / und habe eine gute Zeit eurer heimkunfft erwartet: Ich bitte euch umb des Himmels willen /kompt mit mir / dann meine Hauß-Frau hat solche Bauchschmertzen / daß sie alle Minuten zu sterben meinet. Der Doctor versahe sich alles gutes / gieng mit den Buben / und wie er ins Hauß kommen / machte sein Führer die Thüre fest hinter ihm zu. Langt darauff einen langen ledigen Beutel her / und spricht: Herr Doctor / diese ist meine Frau / sie hat grosse Bauchschmertzen: Wollet ihr mir diesen Beutel mit Geld füllen / so sollet ihr von mir nach Hause begleitet werden. Der Doctor erschrack und wolte schreyen /als er aber die Pistol vor dem Kopf sahe / füllete er dem Schelm den Beutel und wolte seines Wegs gehen; Der Dieb sprach / Herr / ich will euch geleiten / damit euch nicht ein neuer Posse gespielet werde. Er gehet also mit der Pistol in der Hand neben ihm her /und wie sie vors Hauß kommen / klopfet der Dieb an / und spricht zum Doctor-Herr / es will regenen / ihr müsset mir euren Mantel leihen; Hiemit nahm er ihm denselben vom Halß / und gieng seines wegs. Am folgenden Tage erkündigte[7] sich der Doctor wegen des Hauses / darinn er am vorigen Abend seltzame Bauch-Schmertzen curiren müssen / er fuhr aber / daß der Dieb schon weg und nicht mehr zu finden war.

Quelle:
Schau-Platz der Betrieger: Entworffen in vielen List- und Lustigen Welt-Händeln [...]. Hamburg, Frankfurt am Main, 1687, S. 6-8.
Lizenz:
Kategorien: