LXXXIX. Die betrogene Alt-Mutter.

[175] Es fügte sich einsmahl / daß ein Gaudieb in der von Amsterdam nach Harlem fahrenden Jacht-Schuyt sich nieder setzte / seinen Vortheil / oder Glück / wie es sothane Leute nenne / zusuchen / allda kam Er neben einer alten Frauen zusitzen / die ziemlich viel Geld bey ihr hatte / weil sie zu Harlem einige Wahren[175] einkauffen wolte; Diese alte Frau hatte ihr Geld in einer Taschen / die sie vor ihrem Leibe unter dem Schürtztuch hangen hatte. Als nun dieser lose Gast also bey dieser Frauen saß / hatte er viel Gesprächs mit ihr /hieß sie allezeit Groß-Mutter / da die andern Leute meyneten / daß diese Frau seine rechte Groß-Mutter were / unterdessen gerieth die Groß-Mutter in Schlaff / da sagte dieser gegen die andern Leute / die in der Schuite waren / ich muß meiner Großmutter einmahl einen Possen machen / ich wil ihr die Tasche eins lausen / und sehen ob sie es auch mercken wird. Er steckte seine Hand sachte unter ihr Schürtztuch / und nam eine Hand voll Ducatonnen herauß / und sagte zu dem Volck / das solches mit Verwunderung ansahe /sie müsten nicht lachen / zeigete den Leuten die Ducatonnen / und sprach / ich muß doch sehen ob es meine Großmutter auch wird gewahr werden / die Leute untereinander meynten / daß es seine eigene Großmutter were / und dachten / daß Er es aus kurtzweil thäte; Alß nun die Schuyte auff den halben Weg kam / und die Leute auf eine andere außsteigen müsten: ward die Großmutter von den Leuten aufgeweckt aus der Schuyte zu gehen. Dieser Gast / der nebenst der alten Frau gesessen und das Geld gezeigt / machte sich eylend aus der Schuyte / und an statt / daß Er in die andere Schuyte gehen solte / machte Er sich aus den Staub und ließ die Großmutter mit ihrer ledigen Tasche allein fahren. Als nun die Leute ihn nicht in der Schuyte mit sahen / sprachen sie zu der alten Frau / wo ist euer Cousin? was für ein Cousin? sagte die Frau; der neben euch gesessen antworteten die Leute; das ist mein Cousin nicht / sagte sie / ich kenne ihn nicht mehr als ihr ihn kennet / worüber sie alle anfingen zu lachen / und sprachen: kennet ihr ihn nicht / er sagte ja / daß ihr seine[176] Großmutter wäret / und hat immittelst da ihr schlieffet / euch die Tasche gelauset / und hat uns eine Handvoll Ducatonnen / die Er daraus genommen / gezeiget / mit vorgeben / daß er solches euch zu kurtzweil thun wolte / worüber die alte Frau sehr erschrack / fühlete nach ihrer Taschen / und fing an laut zu schreyen und zu heulen und sprach /daß ihr alle ihr Geld gestohlen sey / davor sie zu Harlem wahrē vor ihrem Kram hatte kauffen wollen / daß sie die Persohn / die sie ihres Alters halben / Großmutter geheissen ihr lebtage / nicht gesehen / also daß die Frau ohne ihren Cousin und Geld nach Harlem fuhr / und die Waaren so sie für baar Geld einzukauffen gedacht / auff Borg nehmen muste: die andern Leute so es mit angesehen / musten sich verwundern /daß dieses mit solcher List und Geschicklichkeit geschehen war.

Quelle:
Schau-Platz der Betrieger: Entworffen in vielen List- und Lustigen Welt-Händeln [...]. Hamburg, Frankfurt am Main, 1687, S. 175-177.
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