4.

[215] Hoch steh' ich entrückt dem Erdengetümmel,

Durchschauert vor stürmender Wonne erhabener Einsamkeit;

Zu niederem Kraut zusammengebückt grünt drunten

In tiefentlegener Thaleseinsenkung

Des stattlichen Buchwalds hochkronige Ebne;

Rings in der Runde schwellen empor die Bergesaltäre,

Des Himmels Schale mit trotzigem Nacken zu durchbrechen begehrend,

Und um ihre stolzen Glieder lichtweiß geschlungen

Wallen hernieder des ewigen Schnees prangende Strahlengewinde.

Aber wie ich so schaue durch schimmernd krystallene Aethergefilde,

Verlorenen Blicks hinträume, auf Flügeln sonnigen Strahlengefährtes

Unermessene Räume himmlischer Lüfte durchwallend,

Ist derweilen ein sturmgeprüftes, düster gefaltetes Wolkenmeer

Aus ferner Tiefe des Thales emporgebrandet hinter der Bergwand

Und schlägt sein wild entfesseltes Wogengewand

Rings um zeittrotzender Felsen erzene Panzer.

Bald furchen des Blitzstrahls flammende Schwerter die zitternden Lüfte,

Mit tosendem Donnerschlage die Wetterlawinen zusammen.

Und zum angsterbebenden Erdball sauset

Des Hagels schneidender Geiselhieb nieder. –

Wahrlich, o Menschheit, durch deine Tempel, durch deine Seelen

Muß auch also jagen ein machtvoll zertrümmerndes Wettergewölk,

In den Staub mußt du sinken

Und niederbeugen die hoffart-eitele Stirn;

Beim Sündenmahle jauchzest du,

Blüthenumkränzt, duftberauscht,[215]

Als ekle Dirne wird verfeilscht

Jed' himmelentsprossenes Gut

Und schwerer Tag um Tag

Wälzest du die Frevellast dir auf die Seele.

– Aber ich will dich reißen aus matter Sündenverkommniß,

Hebe empor dein erdwärts gewendetes Auge,

Heb' es empor zu den wankenden Bergen,

Siehe, wie die Blitze zerschmelzen der Felsen eiserne Gürtel; –

Ja, mit Sturmgebrause werd' ich über dich kommen,

Mit Sturmgebrause aus verfluchter Sündennacht dich zwingen,

Mehr sollst du zittern dann als das schwankende Rohr

Am windgeöffneten Ufer!

Durch mich wird dir das Heil das Herz durchleuchten,

Doch weisen nur will ich dir den himmelanführenden Lichtpfad

Erklimmen ihn sollst du mit eigenem Willensflug,

Des kühnen Kampfes Noth kann erst die rechte Weihe geben,

Und nimmer eröffnet sich mühlos dir die himmlische Pforte!! – –

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Quelle:
Wilhelm Arent (Hg.), Moderne Dichter-Charaktere. Leipzig 1885, S. 215-216.
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