Hast du des Daseins ...

[99] Hast du des Daseins tiefste Qual empfunden?

Kam über dich einmal der milde Schmerz,

Der zu dir schreit aus deiner Seele Wunden?


Es krampft sich in Titanenweh das Herz,

Vom Daseinsekel angepackt, zusammen,

Und von der Lippe stiehlt sich Hohn und Scherz,


Verweht von deines Schmerzes Riesenflammen.

Du sinnst und sinnst ... In tollen Tacten fliegt

Dein Puls – – – als müßtest du den Fluch verdammen,


Der felsenschwer auf deiner Seele liegt –

Den Fluch verfluchen – ja als müßtest du

Die Welt verfluchen, die dich eingewiegt


In deiner Jugend süße Mährchenruh' –

Um dich zu hartem Qualendienst zu wecken:

So ist es dir! – Das Auge schließt sich zu –


Der Schmerzen Wogen glätten sich und strecken

Gebändigt sich, wie fromme – Tigerkatzen,

Zu deinen Füßen hin – bis sie sich recken –


Empor sich recken und mit Riesentatzen

Dich niederschlagen, daß du wie ein Sclav'

Um Gnade betteln mußt bei – Götterfratzen! ...


– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Komm über mich, o traumlos ew'ger Schlaf! ...

Quelle:
Wilhelm Arent (Hg.), Moderne Dichter-Charaktere. Leipzig 1885, S. 99.
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