Auf der Piazza Michelangelo

[263] Es ist ein Läuten und Weinen

Der Abendstunde im Thale,

Florenz, von deinen Glocken.

Gluthvoll sah ich verscheinen

An Wolken die Purpurmale

Der Sonne. Tieferschrocken

Vereinsamt schweigt die Seele.


Was will dies Läuten und Locken?

Was will dies träumende Rufen

In Sehnsuchtsmelodieen?


Ich seh mich heimwärts ziehen

Hinan, wie auf geweihter Tempel Stufen!


Und stünd' in dunklem Drange

Ich suchend auf der Höhe

Des Appenins in Wolken stumm und bange!

Verschwände nun versinkend

Dort hinter deinem Scheitel

Im Mondlicht milde blinkend!

Verschollen wär' dies Läuten,

Melodisch aller Töne fernes Singen –

Tonlos durch Wolken ringen

Müßt' ich bei dir zu sein.

Wer kann den Pfad mir deuten?

Ich seh mich weiter schreiten

Auf Bergeshöh'n erscheinen

Und wieder nieder wandern,

In stummen Seligkeiten

Mit dir mich zu vereinen

Und niemals wieder einsam dich zu lassen.


Im Wiedersehn, Umfassen –

Was will mein Herz mir stocken?

Verstummt sind deine Glocken

Florenz, im dunklen Thale –

Und ach, wie jäh erschrocken

Bin ganz vereinsamt ich zum andren Male! –

Quelle:
Wilhelm Arent (Hg.), Moderne Dichter-Charaktere. Leipzig 1885, S. 263-264.
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