Das Gespräch

[22] 1803.


Ich sprach zum Morgenrot: Was glänzest du

Mit deinem Rosenlicht?

Ich sprach zur Jungfrau schön: Was kränzest du

Dein junges Angesicht?

Morgenrot, du einst erbleichen mußt,

Jungfrau schön, du einst auch sterben mußt;

Drum schmücket euch nicht.


Ich schmücke mich, so sprach das Morgenrot,

Mit hellem Rosenlicht;

Ob mir dereinst ein andres Schicksal droht,

Das weiß und frag' ich nicht.

Der dem Mond, den Sternen gab den Schein,

Auch gefärbt hat rot die Wangen mein,

Drum traure ich nicht.


Ich kränze mich, so sprach die Jungfrau schön,

Weil noch mein Frühling blüht.

Sollt' ich darum in stetem Trauern gehn,

Daß einst die Jugend flieht?

Der beschirmt und hält der Vöglein Nest,

Der die Blumen blühn und welken läßt,

Dem traut mein Gemüt.

Quelle:
Ernst Moritz Arndt: Werke. Teil 1: Gedichte, Berlin u.a. 1912, S. 22-23.
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