Elegie

[20] 1802.


Blätter wehen vom Baum, laut rauschet stürmender Regen

Auf die welken; sie fliehn mit ihm schwimmend hinab,

Mit ihm schwimmend zum Strom; fern trägt der starke zum Weltmeer,

Die im lustigen Grün säuselten Liebenden einst,

Die des Vögeleins Nest in stille Schatten geborgen,

Die des Vögeleins Lied weckten im spielenden Reiz.

Herbst, wie lehnst du dich ernst auf deine trauernde Urne!

Wie erweckest du neu, was in dem Busen schon schlief!

Scheint das fröhliche Leben nur grün im Spiegel des Todes?

Zeiget, was nichts ist, nur, was so lieblich einst war?

Stirbt in dem Leben selbst des Lebens schönstes Gedächtnis?

Gehn aus Verwesung allein Götter und Manen empor?

Süße Liebe, du klingst mit den Schwanenflügeln des Lenzes

Jugendlich hell um das Ohr, lange des Klanges entwöhnt?

Süße Liebe, du schlingst noch unverwelkliche Rosen

Jugendlich frisch um die Stirn, welche die Trauer umhüllt?

Ach! die holde Gestalt, womit du einst mich umfangen,

Liegt zerfallen als Staub unter den Modernden schon;

Blind wie lange das Aug', das mehr als Sterne des Himmels

Blickt' Entzücken und Ruh' einst in das stürmische Herz!

Und der Born des Gesangs, die Kehle, mit Erde gefüllet,

Die Philomelen gleich Frühling und Liebe besang!

Und die Lippen gebleicht wie lange, mit Küssen und Scherzen

Von den Grazien früh schon in der Wiege getränkt!

Ach! umsonst lauscht oft das Ohr, den Klang zu vernehmen;

Auch das göttliche Herz mußt' in das Dunkel hinab.

Komm' Erinnerung denn mit aller lieblichen Wehmut!

Urne, reiner entblüht deinem Staube die Huld;

Göttlich steiget das Bild hell leuchtend über den Lethe

Auf, wenn den irdischen Staub führte die Welle hinweg.


Aber meinen will ich in jedem blühenden Lenze:

Als die Rose verdarb, starb mir das liebende Weib;

Aber weinen will ich in jedem welkenden Herbste,

Denn im Herbst erscheint, Tod, dein vielfaches Bild.

Blumen will ich dir weihn, dir weihn die Gabe der Locken,

Und wenn Tränen auch euch weiß die elysische Welt,

Will ich das rieselnde Gras des stillen Hügels benetzen,

Wann der einsame Mond sieht nur mich und das Grab.[21]

Ach! du warst so hold, hingst lieb und liebend am Leben,

Doch der Lucina Pfeil traf dich mit bitterem Schmerz.


Daß die Knospe würd', erstarb die duftige Blume,

Für das liebliche Weib ward mir ein liebliches Kind.

Heil, ihr Toten, mit euch! ihr stillen, friedlichen Manen!

Heil euch! liebend und süß lockt ihr das Leben zu euch.

Wie die brünstige Brust der Rose schwillet zur Sonne,

Schwillt die sterbliche Brust, selige Liebe zu dir;

So umspinnt ihr stilles Geheimnis die Spindel der Parzen:

Wo das Leben beginnt, suche den liebenden Tod.

Quelle:
Ernst Moritz Arndt: Werke. Teil 1: Gedichte, Berlin u.a. 1912, S. 20-22.
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