Gesang der Christenlerche

[217] 1837.


Es klingt ein Klang der Klage

Rings durch die Welt umher:

»Kurz sind der Menschen Tage

Und ihre Mühen schwer,

Nach leichtem Jugendspiele

Treibt Arbeit, Müh' und Not

Sie rastlos fort zum Ziele,

Und dieses Ziel ist Tod.«


O Klang voll bittrer Wehen!

Uralter Heidenklang!

Aus Tiefen rings und Höhen

Wie klingst du grausig bang!

Mit Zweifeln, Zittern, Zagen,

Mit ungestilltem Schmerz

Stellst du die scharfen Fragen

Ans arme Menschenherz.


So mag ein Sandkorn schweben

Auf hoher Meereshöh',

Wie Menschen stürmisch beben

Auf wilder Lebenssee:

Ach! Zwischen Fürchten, Hoffen

Wie hielten sie's wohl aus,

Stündst du zum Trost nicht offen,

Du Grabesfriedenshaus?
[217]

Fort, Heidenklang! Verklinge!

Verkling, uraltes Weh!

Komm, Christenlerche, singe

Ein Lied aus höhrer Höh',

Ein Lied vom schönern Glauben,

Von süßern Friedens Ruh',

Komm, trag mit Noahs Tauben

Uns grüne Hoffnung zu.


Komm, Christenlerche, singe,

Was du so selig weißt,

Die Lust des Himmels singe,

Die Held und Heiland heißt,

Die Wahrheit heißt und Leben

Und Licht der Erdennacht,

Daß nun kein Leid mehr beben,

Kein Tod mehr grauen macht.


O süßer Klang der Freude!

O Klang der Seligkeit!

Nicht mehr der Stunden Beute,

Ich heiße Ewigkeit.

Verlisch, du Erdensonne!

Tu, finstres Grab, dich auf!

Hell flieget meine Wonne

Zum höchsten Stern hinauf.

Quelle:
Ernst Moritz Arndt: Werke. Teil 1: Gedichte, Berlin u.a. 1912, S. 217-218.
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