20.

Frühlingslied

[59] Frischauf! liebe Kinder! Es ist Maientag.

Heute sei fröhlich, wer froh sein mag!

Frisch! alle zu den Blumen hinaus!

Der Himmel öffnet sein Sonnenhaus,

Alle Engelein kommen mit Prangen,

Sie wollen den Frühling empfangen.


Frischauf! liebe Kinder! Es ist Maientag.

Seht, wer das Schönste sich pflücken mag:

Demut, das Veilchen, lächelt so blau,

Die Unschuld winket als Lilie im Tau,

Und die Rose, die himmlische Liebe,

Auf Dornen trauert sie trübe.
[59]

Frischauf! liebe Kinder! Es ist Maientag.

Horcht, was der Engelgespiele sprach:

Schön bist du Erdenmaitag und süß,

Das holde Bildnis vom Paradies,

Aber auf himmlischen Blumenauen

Da sollt ihr Schöneres schauen.


O du süßer Himmel und dein Maientag!

Seliger himmlischer Maientag!

Droben verwelket Demut nicht mehr,

Die Unschuld klagt nicht: Die Welt ist leer,

Und die Rose, die himmlische Liebe,

Sie steht auf Dornen nicht trübe.


O du süßer Himmel und dein Maientag!

Glücklich, wer schon deine Blumen brach!

Frisch! alle zu den Blumen hinaus!

Der Himmel öffnet sein Sonnenhaus,

Und die Engel wollen mit Prangen

Die frommen Kinder empfangen.

Quelle:
Ernst Moritz Arndt: Werke. Teil 1: Gedichte, Berlin u.a. 1912, S. 59-60.
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