Stammbuch

[265] 31. Dezember 1847.


»Frei das Wort aus voller Brust!

Aus der Scheide frisch die Klinge!

Das ist Jugendmut und Lust,

Das ist Leben guter Dinge.«


O du Glanz vom Morgenrot!

O du Jugendheldensage!

Ach! wie schleppt dich matt und tot,

Langsam tot der Gang der Tage!


Kälter rollt des Blutes Tanz,

Stiller wandeln hin die Jahre,

Und bald liegt der ganze Glanz

Welk und farblos auf der Bahre.


Nein doch! ruf' ich, aber nein!

Weg mit deinem Hohn, Erfahrung!

Lasse nimmer weg mir schrein

Heilige Herzensoffenbarung.


Schiltst du, daß im Nebeldunst

Meine bunten Vögel fliegen,

Weis' ich dir die hohe Kunst,

Die sie lehrt das Licht ersiegen.
[265]

Schüttelst du nur faule Frucht

Von dem kahlen Lebensbaume,

Mitten in der Tage Flucht

Halt' ich fest am Jugendtraume.

Quelle:
Ernst Moritz Arndt: Werke. Teil 1: Gedichte, Berlin u.a. 1912, S. 265-266.
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