Ein vertraut Gespräch. 1807

[66] Fr. Rat. Wo kommst du her, Mädchen, so erhitzt?

»Ich war vor dem Bockheimer Tor und hab Birn gestohlen in einem Garten«

Fr. Rat. Gestohlen? Die schmecken am besten, da wollen wir gleich eine verzehren, hol ein Messer und schäl die gelbe da. – Was brennst du? Wie bist du gelaufen! da eß – die kühlt. Die Birn schmeckt prächtig. Das ist eine italienische Art.

»Soll ich Ihr noch mehr schaffen? –«

Fr. Rat. Was das eine Frag ist? – Wann du noch mehr kriegen kannst, als her mit.

»Dann muß Sie auch mit mir sprechen, was ich will.«

Fr. Rat. Red ich dann nicht immer, was du willst? Du wetterleuchst eim schon in die Seel, was du wissen willst. – Da setz dich auf die Schawell und guck mich an! – Weißt du, wie alt die Schawell ist? – Auf der hat der Wolfgang gehockt hinterm Ofen und hat den Homer auswendig gelernt mit seiner Schwester. Er hat auch immer so gern niedrig gesessen, als er noch klein war, heißt das; wie er so alt war wie du, da hatte er eine stolze Haltung, da war er frisiert und hat einen Haarbeutel getragen!

»Das will ich nicht wissen vom Haarbeutel!«

Fr. Rat. Was willst du dann wissen? – Er wird dir zulieb doch nicht ohne Haarbeutel haben gehn sollen? – So gut der dir jetzt nicht gefällt, so gut hat er damals andern Mädercher gefallen.

»Das will ich auch nicht hören.«

Fr. Rat. Hätt er vielleicht auf dich warten sollen, und keiner andern sollen gefallen wollen, bis du kommen wärst! – gelt, jetzt schweigst du! – jetzt bring was vor! – Was hast du getrieben seit gestern?

»Heut hab ich gelernt, daß in der Physik die Stoffe Wirkungen in die Ferne haben; dann hat gewiß auch der Geist Wirkung in die Ferne!«

Fr. Rat. Sind des die Wissenschaften, an denen du dir den Kopf zerbrichst? – Du wirst mit einem starken Kostenaufwand von Lebenszeit deinen wissenschaftlichen Unsinn bezahlen müssen. Hoffnung und Erinnerung sind auch zwei spiegelnde Fernen, aus denen webt sich der Mensch seine Lebenstage zusammen. Was aber geschehen ist, das kann er nicht wieder herbeizaubern, und was geschehen muß, kann er nicht umwandeln.

»Daran liegt mir auch nichts. Das Geschehen ist mir einerlei, ich sprech vom Zaubern.«

Fr. Rat. So! das kommt ja ganz apart heraus![67]

»Wenn ich nun einen Zauberspruch kann, der zu den Geistern durchdringt?«

Fr. Rat. Was hilft dein Zauberspruch, wenn die Geister keine Ohren für dich haben. Aber laß hören, wie du's machen willst, um mit den Geistern zu verkehren? –

»Fürs erste hab ich gedacht und bin's auch gewiß, daß eine große Sehnsucht mit einem starken Willen alle Räume durchfliegt, – die Zeiten und die Weiten!«

Fr. Rat. So! – du meinst, von hier aus könntest du so sanft hinüberschweifen ins nächste Jahrhundert, um auf der linke Erdseit dein Zauberhandwerk zu treiben, weil die recht Seit schon zu verpelzt ist?

»Ja, das mein ich! Meine Gedanken wollen nicht bloß ausgebrütet sein, sie wollen auch durchgefühlt und durchgesetzt sein! – Und im nächsten Jahrhundert wird der Schall durchdringen. Sie wird mich in der Zukunft deutlich widerhallen hören, wenn Sie aufpaßt!«

Fr. Rat. Lebensfeuer hast du dazu! laß dich nicht einschmelzen in den Alltagsschlendrian. Nehm dich zusammen, komm angeschossen wie eine Bomb, die alles auseinandersprengt, wenn's nicht in diesem Jahrhundert ist, dann im nächsten, was tut ein Jahrhundert zur Unsterblichkeit! – Gelt, unsterblich willst du sein, darauf verwendest du deine Zauberkräfte! gesteh's. »Ach, was weiß ich? Die Bienen, die so auf den Wiesen herumschwärmen, hängen sich ganz verdurstet an die Blumen, und dann stürmen sie fort ins Blaue. Ich fühl mich auch als matt vom ungewissen Treiben ins Blaue hinein, ich bleib auch an jeder Blüt hängen und sammle Blumenstaub, ich will ihn auch in die Zukunft heimtragen, dem Geist zur Nahrung, auf den mein Zauberspruch paßt. Der muß davon seine Unsterblichkeit nähren, ja! mit meim Blumenstaub nähr ich den Geist der Zukunft und mach ihn unsterblich, ich bin nicht zu Geringem da, einmal, eh man sich's versieht, aber so bald noch nicht, werd ich die Welt umgedreht haben. Und Sie auch ist so eine große Tuliban, von Ihrem Nektar tu ich manchen Zug, um mich für die Zukunft zu befeuern.«

Fr. Rat. So! Du willst die Welt umdrehen, du führst ein Zauberleben, in der Trunkenheit vom Blumenduft, und ich soll eine langhalsige Tuliban sein! hättst du mich noch eine Kaiserkron sein lasse oder eine Feuerlilie.

»Ich kleine Bien kleb Honig und Wachs zusammen aus Ihrem superfeinen Blumenstaub und aus Ihrem bittersüßen Nektar, ich verschwärm mich in Ihren Blumenglocken, aber Sie stolze Kaiserkron wird mit Ihren doppelten Blumen-Etagen der Zukunft gewaltig in die Augen leuchten.«

Fr. Rat. Summ und brumm, und saug dein Rüsselchen voll, es macht der Kaiserkrone Pläsier. – Die Ewigkeit ist rund, die Welt ist rund und alle Weisheit ist auch rund. Spiegel deine Weisheit im Weltglobus, so wird die Ewigkeit deine Unsterblichkeit auch in ihren Spiegel aufnehmen. Bis wir nun zum nächsten Jahrhundert kommen, wo deine Weisheit in Erfüllung gehen soll, werd ich einstweilen die meine am Herrn Pfarrer erproben, der gleich kommen wird. Horch! – er kommt heraufgedappt. Schmeiß die[68] Birnschäle zum Fenster hinaus, da ist er, jetzt hock dich hier auf die Schawell hinter mich und schneid keine Gesichter, und lach nicht, wenn ich hochdeutsch spreche. So ein geistlichen Herrn muß man mit Anstand anreden. Hm! – Ah, Herr Pfarrer! Das freut mich! –

»Die Frau Rat haben erlaubt! – Ihre letzte interessante Erzählung! – Ich komme, mir Aufschlüsse zu holen.«

Fr. Rat. Ja ja, meine Erzählungen! – Mädchen, setz dich da hinten hin und gaukel mir nicht vor den Augen herum. – Meine Erzählungen, die rennen als mit mir durch, Herr Pfarrer! Wie ein kecker Reiter komm ich im Galopp daher gesaust, während mein Ingenium schon unter mir durchgangen ist. Dazu machen die Zuhörer so langweilige nichtssagende Gesichter, wie die ehemals lustig herumspringende Kälber und Lämmer, die jetzt geschlachtet im Scharrn hängen, man kann ihnen Nieren und Leber prüfen, es gibt keins ein Lebenszeichen! – Hab ich rasender Ajax mit meinen Speerwürfen alle Rinder und Schafe um mich her kaputt gemacht, denk ich? – Und verzeihen Sie, Herr Pfarrer, wenn ich als von meine wunderliche Behauptungen keine Rechenschaft geben kann. Niemand kann mich davor mehr ausfilzen als ich selber!

»Aber Frau Rat, Sie sind gänzlich im Irrtum, kein Mensch macht Ihnen Vorwürfe, im Gegenteil!«

Fr. Rat. Ihre Augen verneinen das, Herr Pfarrer, und Ihre Zunge wie ein guter Lanzenwerfer wartet nur auf den schicklichen Augenblick, um mich in den Sand zu strecken. Ich schreib mir die Ehr Ihres heutigen Besuchs aus diesem Grund zu. Nun bringen Sie mir Ihre Beschwerden vor! –

»Nicht Beschwerden, nur Bewundrung und Neugierde, wie Sie zu Ihren oft so abstrakten Ansichten kommen.«

Fr. Rat. Keine ausländische Worte! Meine Ansichten sind die Eingeweide meiner Seele. Für mich ist alles Affekt; eine Ungerechtigkeit im Feenmärchen erzürnt mich ebenso, als wenn sie für gewiß in der Zeitung ständ. Ich muß als die Hände überm Kopf zusammenschlagen über so einen armen verwünschten Prinzen, der wegen der Bosheit seiner Verführer und Schmeichler zu Marmelstein muß werden bis aufs Herz, das alles aushalten muß, aber nichts vermag, oder in der Haut von einem grimmigen Tier im Wald herum muß laufen, und sich hetzen lassen von seinen eignen Hunden, bis noch hoffentlich zu rechter Zeit eine gute Fee kommt, ihn zu erlösen. – Ach, die Schwachheit der Fürsten, ihre Eitelkeit, ihre Nachgiebigkeit gegen die Speichelleckerei, und was draus erfolgt: Verkennen vom wahren Verdienst, Verbannung der Getreuen, die einen Seherblick haben in die Zukunft; und dann die bösen Ränke, die einen edlen Fürstengeist umstellen, bis sein Seelenadel auf den Tod verletzt ist, wodurch ein elendig Trauerspiel herbeigeführt wird. All diese Weltbegebenheiten, diese falschen Wege der Politik, alles findet man in diesen Märchen, als wär's die heutige Tagsgeschicht, wo die Fürsten auch die Hilflosesten unter den Menschen sind, und das Weltregiment ihnen wie ein[69] bleierner Schlafrock umhängt, in dem sie sehr unbequem hocken, wo ihre Trabanten einen Nebelkreis von Lügen um sie ausdünsten und kein Wahrheitsheld ist da, diesem Übel zu steuern. Sie schütteln den Kopf? – Es sind die witzigsten Leute, Herr Pfarrer, nämlich Hofleute, und zwar französische, die diese Märchen erfunden haben! – Was war denn ihr Leitfaden anders als ihre Tagesgeschichte? – Die feinste Lebensweisheit stellen sie ins Licht. – Eine in die Augen springende Moral, ein Theater aller großen und kleinen Handlungen und ihrer tiefen Grundbewegungen sind diese Märchen! – Sie lachen? – Einem Fürsten die Hände befreien aus den Wickelbanden, in denen man die Selbstherrscher einfatschelt, damit sie nicht auffahren sollen im Traum, und sich selbst aufwecken. – das ist nicht zum Lachen, sondern feierlich und ernst. Da die Wahrheit vor lauter Anbetungszeremonien in ihrer göttlichen Nacktheit nicht vor diesen thronisolierten Menschenseelen auftreten kann, so tut es not, daß sie im Gewand der Fabel wie den unschuldigen Kindern sich zeigt. – –

Wie der Frühling rasch alles abgestorbne Verpelzte abstreifelt, damit die Sonnenstrahlen den neuen Keimen huldigen können, und ein Duft, der lauter Geist atmet, in die Lüfte steigt – so muß ein edel Regiment losgehn! – mit dem Harnisch angetan des Zeitgeistes sich auf die Hinterfüß gestellt, als ein feuriger Bewerber um die Zukunft, ihr kühn ins Aug gesehn! Tausendsapperment! Mit ungeschnürten Armen den Zepter hoch geschwungen alles mächtigen und neuen Beginns; – ein solch Regiment könnt mich verzückt machen.

»Sie machen der Begeistrung eine reiche Ernte in den Feenmärchen! Sollte dies Ihre einzige Lektüre sein?« –

Fr. Rat. Die Feenmärchen machen mich lebendig fühlen, wie die beweglichsten Schicksale und Trauerfälle Trost und Heilung empfangen von der Natur. Ich erkenne die Schicksalsgöttin der Politik darin, die Phantasie und Wirklichkeit ineinander webt, aus der die Ereignisse hervorgehn, aber es ist nicht meine einzige Lektüre.

»Was lesen Sie denn zum Beispiel jetzt?«

Fr. Rat. Morgens nach dem Kaffee – und dazu trink ich eine Bouteille Wasser, weil mir aus Eifer das Blut in den Kopf steigt – les ich zwei Stund und länger, aber alle Augenblick muß ichs Buch hinlegen und mich verwundern. Vorige Woche fing ich ein Buch an über die Inquisition von Goa. Da muß ich sagen, wenn auch mein Glauben mir bis zum Bergversetzen gelungen wär, so versetzt solch ein Buch mitsamt denen Bergen mich außer allen Glauben!

»Wär's da nicht besser, Sie lesen solche Bücher nicht? – die nur Ihr Gemüt beunruhigen und Ihnen keine Erheiterung sind.«

Fr. Rat. Was halten Sie von mir, daß Sie mir einen so schwächlichen Rat geben? – Sollt ich meinen Geist mehr schonen als meinen Leib? – Der kann auch nicht auf Rosen gebettet liegen! und die Seel würde samt ihm zugrund gehen, die kein ander Exerzitium hätt als bloß Wohlbehagen. – Der[70] Geist ist grad dazu gemacht, sich durch Dorn und Distel zu reißen, ich kann den Rat von Ihnen nicht gut heißen, ihn wie einen Schlemmer zu behandlen!

»Wenn auch der Geist sich durchreißt, so vermag es doch die Seele nicht, die nur zum Teil wach ist hier auf Erden, die unwillkürlich alles träumt, was der Geist dekretiert; sie muß weich oder starr werden, lachen und weinen, wie er es ihr zuströmt, ihre Rettung aus dem Erdenschlamm der Leidenschaften, ihr Hinüberschiffen in das göttliche Reich ist ja die Aufgabe unsers Lebens, selbst der Geist ist ja verpflichtet, sich alles dessen zu enthalten, was ihr Heil beteiligt.«

Fr. Rat. Hoppsasa, Herr Pfarrer! – auf diese Seelenanschauung war ich nicht gefaßt, ein ganz origineller Auswuchs Ihrer theosophischen Studien, die gleich mit dem Urteil der Gerechtigkeit wie das Pferd bei der Mähne zu ergreifen, das wär eine schöne Voltigierkunst, das vermag ich nicht.

»Die Erfahrung muß aber doch sich aus allen Anschauungen ergänzen, wenn sie nicht fehl gehen, sondern billig und gerecht machen soll und die Anlagen der Menschheit fördern! – Man könnt sie mit einem Diamant vergleichen, der in jeder Facette denselben Gegenstand in einer andern Umgebung spiegelt, weil von allen Seiten eine andere Weltgegend mit hinein leuchtet.«

Fr. Rat. Drum eben, Herr Pfarrer, sehen Sie mich nicht so borniert an. Diese Anschauungen, möchten sie doch zu einer bestimmten Willenskraft werden, andre Erfahrungen als unter der Zuchtrute der Vorurteile zu machen, die uns die Fesseln abstreifen helfen, mit denen wir uns jetzt noch so schwer schleppen. Ach, das wär eine Erleichterung für den Geist, wenn er die los könnt werden! –

»Mit derlei Fesseln ist Ihr Geist, wie mir scheint, nicht beschwert!« – –

Fr. Rat. Ich schleppe meine Fessel auch nach. Mein einsames Denken ist ein fortwährend Raspeln und Feilen daran. Ach, was kann man in dieser Eingeschnürtheit des Geistes von sich wissen, was nie hat können erprobt werden? Wer einmal nur sich traumweise erlaubt, die Schranken aufzuheben alle, die seiner Natur, seinen Neigungen sind aufgebürdet worden, dem erscheinen auch gleich ahnungsweise die Geister, wie am Rand einer tiefen dunklen Schlucht, und locken so anmutsvoll mit ganz lieblichem Winken herauf ins Freie. Wer kann widerstehn? Ach, ein Jammer ist's! Der Geist selbst, im Aberglauben seiner Bande ist's, der abschwört seiner Freiheit, angesichts seiner himmlischen Waffenbrüder, die im Waffenschmuck hehrer Gedanken über seiner Verbannungshöhle schwebend, sich ihm zeigen. Ja, er möcht! – flehende Blicke zum Licht tragen unwillkürlich ein Teil seines gefangnen Selbstes aufwärts, aber wie ein Blödsinniggewordner scheucht er doppelt ängstlich wieder zurück vor den Vorurteilen, die wie schwarze Hunde im Augenblick seiner Flucht ihn anfallen. Er verzichtet aus Furcht. O Jammer! Ist das dein Los, du Fürstentum der Menschenwürde? – Hast dich den Gespenstern falscher Begriffe zum Leibeigenen hingegeben? – Kannst nicht mehr, wie du willst – dein Wille der[71] göttlichen Wahrheit, der ist gebrochen! – Also die göttliche Macht, die ist gebrochen in dir? – Und seufzest in schmerzlicher Überlegung, wie der Geist wieder beritten zu machen sei, um über das vermorschte Gedämm und Sparrwerk, über Palisaden und spanische Reiter hinauszusetzen. Ach, wenn der erst einmal aus der Stickluft am Rand dieser Mördergrube die Himmelsluft wittert, dann wird er seine Pegasusflügel schon in die Lüfte aufsperren, wo kein Bombenkessel des Aberglaubens ihn noch erreichen mag. – Und warum ich manchmal unwillkürlich an andrer Leute Fesseln zu raspeln versuch? – weil's mich mit niederdrückt, daß sie so schwer schleppen! –

»Die besondern Gründe für Ihre Ansichten machen mich natürlich begierig, sie genauer zu prüfen! – Was sind das für Vorurteile und Sünden, gegen die Sie die Menschheit durch den ungezügelten Geist wollen bewachen lassen? – Und zweitens: Wie kann ein Buch, welches bloß Berichte über die Inquisition in Goa enthält, Ihren Glauben, der Berge versetzen könnte, wie Sie selbst sagen, aus dieser schönen Bahn heraussprengen?« –

Fr. Rat. Herr Pfarrer, was Sie da mit höflichen Worten fragen, ist nur Ihre Lust, mich ins Garn zu ziehn. Ihre Fragen zu beantworten, wie es in meinem Geist sich ausdrückt, muß ich eben wieder Rücksicht nehmen auf den Unterschied der Lokalanschauung zwischen Ihnen und mir. –

Sie sind einen Berg hinangeklettert von Menschensatzung, aufgetürmt aus Weltgeschichte und Moral, wovon die widersprechendsten Bestandteile, Unschuld und Torheit, Spitzfündigkeit, Wildheit, Fehltritte aller Art, Mißgriffe, Irrtümer und Täuschung die Unterlage sind, und Teufelslist, die alle Leidenschaften in Bewegung setzt. Auch Verstand und Weisheit haben dazu ihre ordnende Kräfte so schön ineinander gepaßt, daß man nachsinnend stehenbleibt, wie so mancher ernste und sanfte Geist dem sich fügen konnte, darin das Heil der Menschheit anzuerkennen. Ja, und die grünende Moral hat wie ein sanfter Rasen den verborgnen Krater überdeckt, der immer wieder Flammen spie, die Zeugnis gaben von dem, was unter ihm begraben lag; aber die Unschuld der Menschheit, die zwischen diesen Flammen und Aschenlagen sich durcharbeitet, armiert ihre eignen Naturkräfte und bildet sie um zu göttlichen Kräften. Aber deswegen kann ich doch das Fundament jenes Berges nicht loben, auf dem die theologische Weisheit thront, und den Sie mühsam Station für Station erringen mußten, wie's von den Kirchenvätern vorgeschrieben ist. –

Also für Sie hat das Gesetz existiert, noch eh Sie es begriffen haben. – Ich aber! Ohne Nachdenken bin ich in der Welt herumgegangen wie in einem lieblichen Tal, wo ich hineingehör, ich hab nie überlegt, daß Gotteslieb, Menschengefühl, Erhebung und Gebet auf ein Glaubensbekenntnis passen muß, weil sonst alles nichts gilt! – Diese Behauptungen sind plötzlich mir vom Himmel gefallen. Und obschon ich keinen Mangel an Glaubenskräften spür, da alle Wunder der Feenwelt auf keinen Widerspruch in mir stoßen, so schreckt mich ein solches Argument, als wollte man mich aus meiner mir begreiflichen Welt losreißen, und mit Ketten beladen mich[72] verbannen, dahin, wo ich kein Gefühl und keinen Sinn dafür hab. Der Geist hat mich belehrt, er sei frei unter allen Umständen, Stein kann er nicht verdauen, den konnte nur der listige Teufel ihm bieten.

»Hebe dich weg!« spricht der Lebensretter in uns! –

Herr Pfarrer, ich würde an der Verdauung des christlichen Glaubens schon längst verdorben sein, wenn ich ihm keine bessere Nahrung hätte abgewonnen, als seine Priester uns bieten. Manchmal bin ich selbst wie versteinert über euch Textdreher. In allen Lebenserfahrungen, in allen Büchern, die mir der blinde Zufall in die Hände spielt, steht mir deutlich auf jedem Blatt geschrieben: Geistesfreiheit! und so auch in dem Buch von der Inquisition, und so auch in der Bibel, – allemal dieselbig auffallende Wahrheit: Der Geist muß Freiheit genießen, aber nicht Stein!

Was nützt die Lüge und wär sie auch der festeste Leim fürs Unmögliche? – Wie könnte Gott sich so verleugnen, daß er auf einmal nicht mehr wär? Wär eure Auslegung wahr, so wär Gott nicht. – Daß etwas für gewiß uns eingeprägt werde, das macht's nicht wahr. Daß der Prägstock in seine Form uns gezwungen hat, daß wir einmal nur sein Gepräge ausdrücken und sonst nichts, was hilft das? – Der totige Buchstab sei Gesetz und Glaube, das macht beides noch nicht wahr!

Ich verlange nicht, daß jene weltgeschichtliche Unterlage des Bergs von Menschensatzung aufgehoben werde. Nein, mag alles bestehen, solang es kann. Denn gleich wie auf dem Feld der Sterblichkeit ein angesäeter Wald nur um so kräftiger aufwächst, also wuchert auch auf jenem Felde des Gedankenmoders die grüne Saat der geistigen Lebensprinzipien. Laßt bestehen, was da will, es muß doch verderben, wenn's nicht mehr bestehen kann. Denn wolltet ihr auch eure Seelenkräfte alle dran setzen – –

»Aber Frau Rat, wo geraten Sie hin?«

Fr. Rat. Herr Pfarrer, schlagen Sie sich mit der Festigkeit Ihres Glaubens jeden Begriff aus dem Kopf, wenn das Ihnen eine genügende Vermittlung mit der Ewigkeit deucht. – Mir scheint es nicht so! – Mir scheint eine innere Verwirklichung zu sein zwischen Menschengeist und Gottesgeist! – Zettel und Durchschlag! Hören Sie an, was ich zu sagen hab; – die groß allmächtige Schöpfungskraft, gegen die wir uns nicht zu beklagen haben, weil wir gar für sie nicht da sind, – Warum? – Weil sie die lautere Kraft ist. Was durch sie nicht wird, was in ihr nicht aufgeht, das ist für sie nicht da. Anstalten und Ängste künftigen Seelenheils sind aus ihr nicht hervorgegangen; alles ist ihr Gegenwart, Unmittelbarkeit, sie strömt ganz nur Leben aus, ist ganz Unsterblichkeit des Augenblicks. Anderes kann sie nicht wollen, nicht erwerben, außer ihrem vollen Dasein im Moment. Die Sorgen des Heils, des zukünftigen, was ist das ihr, da wir die Gegenwart ihr nicht erfüllen?

»Diese Besonnenheit des Geistes über die Zukunft, das edelste Zeugnis seiner unsterblichen Natur, verwerfen Sie?«

Fr. Rat. Tugend ist Gegenwart, sie ist nicht Zukunft! Tugend kennt kein[73] Schachergesetz, keinen Gerichtshof, an dem sie ihre Klagen anbringe, sie spricht für sich nicht, sie ist ganz nur himmlische Schöpfungskraft. Sorgen um die Zukunft sind außer ihrem Sein, und alles ist Schimäre, was außer diesem ist. Unser fortwährend Zetergeschrei um Barmherzigkeit, wo klingt das an? – Zu wem rufen wir? – Jetzt frag ich Sie, zu wem meinen Sie, daß unsere Litaneien steigen? –

»Ich fürchte nur, daß, wenn ich Ihnen auch nach bestem Gewissen und nach allem Begriff eines christlichen Fundaments antworte, so würde das doch Ihrer idealisierten Moral nicht entsprechen, und Ihre feurige Einbildungskraft nur noch mehr empören.«

Fr. Rat. Empörte Einbildungskraft und idealisierte Moral wird freilich nicht zu Gott flehen: Erbarme dich unser! Aber Ihr, wenn Ihr Euer Gebet auch zwanzigmal wiederholt, warum horcht der Gott nicht auf Euch? Zu dem bis zum letzten Tag dieselben Gebete aufsteigen. Ei, warum antwortet der Gott nicht mit Erhörung des Flehens? –

»Ja, da muß man die göttliche Gnade walten lassen, die uns führt und lenkt, und die wohl weiß, warum sie unsere Bitten nicht erhört!«

Fr. Rat. So! Und während mit Erschrockenheit unserer Eingeweide unser ganz zukünftig Heil auf dem Spiel steht, sind uns von der Religion falsche Würfel in die Hand gelegt und werfen in unsrer Hitz allemal eine Niete. Nein, entweder Ihr bittet um gar nichts, – nun, dann ist es albern zu bitten, oder Ihr fleht ums Erhörtwerden, dann ist das Nichterhören des Flehens, und doch dulden und fordern, eine Schmähung und eine Schmach – – Gehn Sie her – trinken Sie ein Gläschen Danziger Goldwasser! – – Erlauben Sie, – ich schenk noch einmal ein, das können Sie schon vertragen!

»Es möcht mir zu viel werden!«

Fr. Rat. Ach, was wird's Ihnen zu viel werden! – Ja, immer den Bittenden hinhalten und nicht erhören, das ist eine Schmach, eine Verachtung der Menschenwürde, und auf so was gehört eine Ohrfeige.

»Aber – – – Ei, von wem sprechen Sie denn?«

Fr. Rat. Nun, von wem sprech ich! – von dem ochsigen Menschenverstand, der da so ledern an der Krippe steht und das ungeeignete Futter sich vorwerfen läßt, wobei er hungert und doch sich nicht vom Strick losreißt, um nebenbei auf dem grünen Anger zu weiden. Ja, der verdient mauschelliert zu werden!

»Ach, nun atme ich auf!«

Fr. Rat. Nun, was haben Sie dann gemeint?

»Ich hab wahrhaftig geglaubt, – –«

Fr. Rat. Haha! jetzt räsonnieren Sie noch einmal über meine empörte Einbildungskraft! – Nein, die Ihrige ist empört, sich einzubilden, ich wollt über die Schnur hauen. – – Nun werden Sie nicht unruhig. Ich will's Ihnen alles auseinandersetzen. Ja, ich meine den Gott in uns, dem geb eine Ohrfeig oder einen Rippenstoß, daß er aufwacht in dir! Denn wie Teufel, wollten Sie eine Antwort erlangen auf das fortwährende Gestöhn um[74] Barmherzigkeit, wenn Sie den Götterjüngling in sich nicht bei den Ohren kriegen, und sagen: steh, Kerl! und guck deinem Schöpfer ins Angesicht und zeig, daß du wallend Blut in den Adern hast, und stell dich nicht an mit deinen flehenden Gebärden, mit deinem Aschensack, wie ein verrückter Peter, daß dein Schöpfer dich für einen Bastard zu halten gezwungen ist, weil er sich deiner schämt. – Wenn Sie dem Gott in sich nicht die Ohrfeig zudenken und wollen lieber bei dem lächerlichen Satz verharren demutvoller Selbstverachtung, so ist die Dämelei noch größer mit dem Flehen, denn da Sie selbsteigner Herr sind von dem Ihnen so verächtlichen Ich, so würde ich an Ihrer Stelle es hinter mich zu bringen suchen und zu viel Würde haben, als es in seinem schäbigen Naturell da vor dem Schöpfer Himmels und der Erde treten lassen, daß es ihm immer über seine eignen Verbrechen vorgreint. – Ei, denken Sie doch, daß Sie ein Geschöpf Gottes sind, das glauben Sie fest. Ist das der Dank davor, daß er Sie aus dem Nichts hervorgezogen hat? Daß Sie nun sich vor ihm beklagen über Ihre Nichtigkeit. – Geben Sie Antwort, daß ich aus Ihnen klug kann werden!

»Aus dem Nichts, meinen die Frau Rat, wären wir entstanden! und doch meinen Sie, wir sollen in unserm Busen den Gott erwecken? Erlauben Sie, die doppelten Widersprüche in Ihren Argumenten, die in ihren kleinsten Teilen sich selbst widerlegen, darauf kann ein Theolog oder Philosoph (wenn Sie mit diesem lieber zu tun haben) nicht antworten, ohne den Gegner ad absurdum zu führen.«

Fr. Rat. Führen Sie mich, wohin Sie wollen, führen Sie mich zur Urdummheit der Menschen, ich geh willig mit, wenn Sie mir das beweisen können, daß der Mensch aus der Urdummheit, die der bekanntliche festgetrocknete Urschlamm sein muß, entsprungen ist, und nicht aus dem Nichts, wer glaubt's lieber wie ich. – Sie finden das lächerlich? – Ich auch! ha ha ha! – »Sie sind eine vortreffliche Frau! und die Modifikationen Ihrer Denkweise sind vom höchsten Interesse für den Denker, und Ihre Beweggründe sind Indikationen, die nicht ohne Wert sind für die philosophischen Systeme jener großen Forscher, die jetzt auftreten und der geistigen Welt einen gewaltigen Umschwung zu geben verheißen.«

Fr. Rat. So ein Forscher, so ein alter lahmer Raubvogel, der aus seim langweiligen Verdauungsschlaf sich aufrappelt, um alles gelehrte Federvieh in Einklang zu bringen mit seinem allesverschluckenden System, mit dem er es aus der philosophischen Sackgasse herauszuführen verspricht aufs Feld der Freiheit; der vermag sich ja selbst nicht über den alten Zaun vom Hühnerhof zu schwingen, wo er also ruhig hocken bleibt und den verheißenen gewaltigen Umschwung höchstens an irgendeinem alten Zinshahn versucht, dessen Überwinder er sich nennt, und dazu singt er triumphierend: Namen nennen dich nicht! – Was meinen Sie, Herr Pfarrer, daß der sollte dem Erdball den gewaltigen Umschwung geben, der über seinem Selbsterdenken nicht gewahrt, wie die geistige Welt sich ruhig über ihn hinaus geschwungen hat.[75]

»Ihnen nachzukommen, Frau Rat, bei der großen Reizbarkeit Ihrer Phantasie ist unmöglich, bald mein ich, Sie reden im Traum, bald scheinen Sie ordentlich in die Zukunft zu wittern, verzeihen Sie den Jagdausdruck!« –

Fr. Rat. Was liegt am Ausdruck! – Geistige Spürkraft ist's, der Jagdhund hat sinnliche Spürkraft. Der Geist ist in allen Wesen mit der Natur in Berührung, geht ihm die nicht aus, so kann er auf sein Genie sich verlassen. In allem sich fühlen, das ist genialische Kraft. Ich fühl selbst im Kalb, das mit gebundenen Pfoten sich muß auf den Markt fahren lassen, meine Glieder wie zerschlagen von der Albernheit des Menschengeschlechts, das dem Kalb ganz ähnlich sich binden und zu Markt fahren läßt. Da flößt jed unschuldig Tier, das im Freien herumspringt, mir wieder Lebensmut ein, jede Pflanze, die ihren Balsam aushaucht, macht mich gescheut! – Was ist da zu verwundern? Geheime Kräfte liegen in der Menschenbrust! Kommt's dazu, daß die geweckt werden, so stehen sie gleich gewappnet da. – Was Sie als Traum und reizbare Phantasie achten, das sind wahrscheinlich Offenbarungen, die Ihren Vorurteilen entgegen erleuchten, was Sie freilich nicht begreifen.

»Nun, die philosophische Schule mit einem Hühnerhof zu vergleichen, das kommt mir allerdings etwas fabelhaft und überraschend vor. Die Leichtig keit hat meine Seele nicht im Wachen, gleich in jedes Objekt einzudringen, und sich in jedes sogleich zu verwandeln, wie dies die Eigenheit des Traumes mit sich bringt.«

Fr. Rat. Sollt ich mich einmal im Traum in Sie verwandeln, was würd ich da wohl in denen Ecken Ihrer Personalität finden? –

»Gewiß würden Sie manches finden, was Ihren Ansichten entgegenkommt, aber übereinstimmen mit Ihren Behauptungen, die schnurstracks dem kirchlichen Prinzip zuwiderlaufen und sich der entziehen, kann unsere Zeit nicht, dazu gehört noch ein langer Weg der Vollendung! ja vielleicht wohl tausend Lehrjahre der Geistesbildung, man muß die täglichen Erfahrungen benützen, wohin die auslenken. Das Leben des gebildeten Menschen ist ein beständiges Lernen, ein Kampf für die Zukunft. Je mehr man lernt, je mehr verliert sich die hastige Unruhe, und die herrliche Geduld, eine notwendige Folge unserer Religion, steigert unsere sittliche Würde, und was uns auferlegt ist im Leben, das soll uns erinnern an eine höhere Heimat, wo eine Religion triumphieren wird, um deren Seligkeit willen, die uns in ihr versprochen ist, jedes irdische Leiden, jedes Ausharren unter ihren Bedingungen (wenn diese uns auch nicht ganz hell und deutlich vor Augen liegen) nur gering ist. Das ist es, Frau Rat, was Sie in den Winkeln meines Geistes und meines Gemütes finden würden.«

Fr. Rat. Man sollte meinen, Herr Pfarrer, der Götterjüngling, den ich Ihnen in sich zu wecken geraten hab, stünd mitten in dem selbsttätigen Feuer Ihrer Lebensfunktionen, so begeistert scheint Ihr gottesfürchtig Naturell. Meine hellsehende Kraft entdeckt aber, daß der ein fauler Heins ist, der wie ein Herrnhuter seine Vernunft gefangen gibt, und mit seiner empfindsamen[76] Moral dabei Ihren Verstand außer Funktion setzt, der sich wieder auf Ihrem Herzen seine Kosten an der Wahrheit rächt. Was Sie mir da vorbringen von tausend Jahren der Geistesbildung, um anzuerkennen, was mir, seit ich denken kann, als Wahrheit einleuchtet, das bricht Ihnen den Stab. Ihr Eigensinn und willkürlicher Glaube vertreten Ihrem Begriff den Weg ins Paradies der Freiheit, wo die Weisheit einheimisch ist und wo auch alle reißende oder demagogische Tiere zahm und frei herumwandern, weil im Freiheitsparadies des Geistes keine Parforcejagd ist gegen diese gewaltigen Naturen; wenn die nicht gezerrt und toll gemacht werden, so sind sie wie die Lämmer, woraus eigentlich die wahre Heldenmiliz des Staats zu bilden wär. Was wollen Sie sich fürchten vor denen? Sie sind denen kein schmackhafter Bissen. Es gibt wesenlose Anschauungen, die sich unsichtbar machen selbst schon in der Kehle des Würgers. Will ich was verschlingen, so muß es Dasein für mich haben.

»Wenn nun auch die Frau Rat mein Ingenium einen faulen Heins zu nennen belieben, so kann ich Ihnen doch beteuern, daß ich immer und ohne Aufschub in der Idee der Aufklärung fortwirkend strebe und daß sowohl mein Blick ins Innere der Menschheit als auch der, welcher nach dem Himmel gerichtet ist, die Wahrheit nicht leugnet.«

Fr. Rat. Ei, das ist eben der faule Heins in Ihnen, sich da tausend Jahr dazu auszubitten, um jene ursprünglichen Reflexionen zum Durchbruch zu bringen. Darüber kann und muß der Geist untergehen, denn was heut wahr ist, das hat in tausend Jahr schon andre himmelwölbende Stürme der Wahrheit erzeugt. Was heut begriffen wird, das werden die dereinstigen Begriffe nicht mehr als alten vermoderten Geschichtenstaub achten. Wenn der faule Heins in Ihnen sich recken wird und meinen: »Hat mir's doch geträumt, es sollt nach dem tausendjährigen Dussel der Menschheit etwas Gewisses wahr sein!« ja, da wird's Ihnen gar nicht einmal einer mehr sagen können. Was wird's gewesen sein? eine Lüge, denn die Wahrheit, nach der braucht man nicht zu fragen, die verwirklicht und verwandelt sich von selbst. – Nun, was belieben Sie darauf zu antworten? –

»Eine allzugroße Dienstfertigkeit der Geistesorgane würde dem Bestehenden gefährlich werden, der Geist würde eine zerstörende Anwendung von seiner Eroberungssucht machen, seine allzu willkürliche Tätigkeit würde die bindende Kraft der Mitwirkung dieser Welt, an die wir doch einmal gebunden sind, zerfallen machen. Wir würden unsere Fortbildung zerstören, ja zerstören würden wir sie und als unvollkommne Geschöpfe dem Gott uns entfremden, der durch seinen Geist die Weltseele bestimmte und unzertrennlich sie mit der Natur, die ihr Körper ist, verbunden hat, bis er sie einstens auch auflösen wird, und da möge sie doch eines sanften Übergangs in jenes höhere Leben gewürdigt sein, und der kann doch nur dann zu erwarten sein, wenn eine allmähliche und milde reifende Kraft ihre höhere Entwicklung besorgt. Das ist, was ich Ihnen zu antworten vermag und die mein Gewissen ganz vor mir selber rechtfertigt.«

[77] Fr. Rat. Was? – ich betitle Ihr Ingenium einen faulen Heins, und das stellt sich auf die Hinterbeine und erschreckt mich mit seinen riesenmäßigen Gedankenverknüpfungen. Vom Sterbestündlein des Weltalls sprechen Sie, wie einer, der oft schon derartige Seelen mit Trostsprüchen hat zum Übergang geleitet, und Sie fürchten sich nicht vor dem Ausstöhnen einer solchen Seele, und ich muß mich fürchten bloß vor denen seltsamen Erscheinungen Ihrer Einbildungen. Eine ganze Welt, die da liegt in letzten Zügen und nach Erlösung lechzt! da muß ich verzagen!

»Sie scherzen, Frau Rat, Ihnen ist nichts zu gewaltig zu bedenken und haben gewiß schon Reflexionen gemacht, die mancher große Philosoph sich nicht getraut zu machen. Und wenn ich es wage, Ihnen die Wege zu zeigen, auf die mein Geist einlenkt, so ist das bloß, daß Sie nicht glauben sollen, wir theologische Philosophen gingen nur den gewohnten Trab nach der Mühle! Unsere Predigten enthalten Betrachtungen Gottes und Experimente Gottes, unsere Lebensübungen sind angewandte christliche Religionslehre, und die ist wiederum eine wissenschaftliche Poesie. So durchschmilzt das göttliche das irdische Werde, das All! und wer wollte da vorgreifen? Nein, sich losmachen davon, das wär ein Verbrechen, und insofern provoziere ich jeden Widerspruch meiner inneren Überzeugungen, daß gewiß noch tausend Jahre dazu gehören, ehe unser Geist in jenes Paradies eingeht des freien Geistes, in das Sie mich eingeladen haben, Ihnen zu folgen, und wohin ich Ihnen doch beweisen könnte, daß Sie mit all Ihrem Freiheitssinn auch nicht eingegangen sind in diese demagogische Himmelssphäre des Geistes, der alle Rücksichten überspringt.«

Fr. Rat. O, Herr Pfarrer, Sie demütigen mich gewaltig, ich muß befürchten, daß ich den kürzern ziehe; der einzige Trost, den ich in meiner Niederlage noch empfinde, ist, daß, wer einstens unsre Gespräch belauscht, um es auf die Nachwelt zu bringen, ein guter General und Feldmarschall ist, und in meiner verzweifelten Lage mich nicht stecken lassen wird; es ist einmal schon im voraus beschlossen, Sie müssen fallen, mitsamt aller idealischen Ausbildung Ihrer Religionsüberzeugungen, mit Ihren gottesdienstlichen Werkarmaturen und Versammlungen, mit Ihren philosophischen Epigrammen auf mich Naturkind, in meiner Blöße dastehend. Ja, meine hellsehende Kraft belehrt mich und gibt mir daher den Mut, Ihnen zu sagen: nochmals und abermals ja, Sie sind ein fauler Heins! aber ein solcher, wie ein Stockfisch allenfalls ist, der zu lang gewässert hat, wie mir das vorige Woch passiert ist, die Kapuziner hatten versäumt, ihn zu salzen, man konnt ihn nicht genießen, er war faul geworden. O, Herr Pfarrer, werden Sie nicht kraus über den Vergleich und sehen darin nur Ihre eigne vorteilhafte Position mir gegenüber, und mein augenblickliches Verzagen, in meiner Angst schlage ich mit Kolben drein! und sage Ihnen grade heraus, so wohlklingend, so tiefdenkend Sie auch da Gesichtspunkte aufstellen, von welchen aus Sie die moralische Welt beurteilen, erschrecken Sie nicht, wenn ich das einen falschen Nimbus nenne, einen Strahlenkranz eines geistigen Pietismus,[78] der Sie selbst blendet, daß Sie sich wohlgefallen darin, mehr als von lebendiger Überzeugung derselben ergriffen zu sein! Falscher Glanz blendet, macht vergessen und verleugnen die eigne Natur, sie macht tyrannisch und bewegt zu dem, was man mit klarem Bewußtsein sich nie verzeihen würde. Grausamkeiten sind es, die jenen der Inquisition von Goa nichts nachgeben. Grausamkeiten, die meinen Glauben mitsamt den versetzten Bergen wieder auf den alten Fleck bringen. Denn es ist grausam, dem Begriff, diesem wahren geistigen Leben, sein Gut vorzuenthalten, und ihn in den dumpfen Bleikammern despotischer und unfruchtbarer Argumente festhalten zu wollen. Wenn Sie jetzt schon voraussehen, daß in tausend Jahren keine künstliche Maßregeln mehr den Menschengeist zurückhalten werden von der doppelten Umarmung des göttlichen Bewußtseins in der Wahrheit, und wollen ihn mit Gewalt noch strafen und es ihm als Verbrechen anrechnen, daß er früher seine Abstammung entdeckt hat, als Ihre Prophezeiung es zugibt, so verfluchen Sie Ihre eigne höhere Bestimmung, Anteil an diesem Erbe zu haben. Das ist Unglaube an die Wahrheit, gibt's ein ärgerer Frevel als dieser geistige Selbstmord? – Haben wir ihn nicht tausendmal begangen in dieser Zwangsherrschaft der Religion, und war's nicht immer eine falsche Politik, eine Nebenhauptabsicht, die dazu bewog? – Wie können und wollen Sie die Grausamkeit der Inquisition rechtfertigen? Jedes Antasten der Geistesfreiheit ist Inquisition, Ersticken des freien Bewußtseins aus einem verborgnen falschen Grund, den man sich selbst nicht wagt zu bekennen. – Das soll aber nicht sein. Frei und ganz offen! dies ist die bezauberte Waffe, die unverletzbar macht und nie ihren Gegner fehlt. Was ist denn Glaube? Er ist der unschuldige Quell, aus dem Busen der Gottheit sprudlend, die Gottheit allein ergießt ihn; was braucht's da der Fabel, der politischen Verkürzungen seines Begriffs, er spiegelt den Widerschein aller Dinge in der Natur, aller Erscheinungen im Geist. Das ist der Glaube, der sich fesselt an diesen Widerschein des Wahren im Gottheitsquell des Geistes. Wo will er hin, dieser Quell, als bloß in den Busen seines Erzeugers sein innigstes Leben wieder ergießen. Was habt ihr, daß ihr ihn verfolgt mit Ruten? – und nennt ihn Frevel an eurer Staatsreligion, diesen reinen Gottheitstrieb zur Weisheit, zur Wahrheit. Ja, Glaube ist, was ihr Unglaube nennt, und Unglaube ist euer Zwangsglaube. – Glaube ist eine physische Geisteskraft, er ist die Reizbarkeit für Wahrheit, es sind die fünf Sinne des Geistes, es ist das Hören des Geistes, sein Fühlen, Sehen, Schmecken und Wittern. Ich glaub, wenn ich nicht weiß, aber einer meiner Geistessinne muß mich dazu bewegen durch seine Wahrnehmungskraft, sonst wär es Aberglaube, selbst wenn es die Wahrheit wär, die mir außer dieser Vermittlung aufgebürdet würde. – Also im Glauben liegt eine Naturerscheinung, ein Genießbares, weckende Kraft für einen der Geistessinne, der diesen Glauben erzeugt. – Ich glaub nicht mehr, wenn ich weiß. Denn Überzeugung nimmt nicht mehr den Glauben in Anspruch. Wenn ich aus innern und äußern Merkzeichen mutmaße, daß die Festung, die wir heut mit dem[79] Glauben erstürmen, einst nicht mehr ein wesentlicher Gegenstand der Verteidigung gegen den Teufel sein wird, da ihre eingefallne Mauern samt ihrer Unbestrittenheit, die Besatzung unnütz und lahm und als der Verwesung verfallen keineswegs mehr werden berücksichtigt werden, so ist einer meiner Geistessinne auf der Spur des Glaubens dahin, und doch will ich das frühzeitige Einleuchten dieser Zukunftswahrheiten mit meinen dunklen Vorurteilen erlöschen? – Jene Kraft, die mir die Natur und Sonnenhelle und aller Himmel Lichter in meinen Lebensfluten spiegelt, leugnen, ist das nicht die Wesenheit des Glaubens, die Kraft, die allein zum Himmel führt, geleugnet? – – O Herr, antworten Sie mir nicht, die Aufmerksamkeit auf die Sonnenblicke in diese Lebensfluten des Geistes, das ist echte Religion. Aber Sie sehen, die Fluten strömen vorwärts und spiegeln andre Ufer und nehmen andre Reflexe der Himmelslichter auf. Ich hab mir sagen lassen, es gibt Regionen, wo die Himmelslichter, die Gestirne, so tief in klarer Luft hängen, daß sie dem Aug den Eindruck machen, sie mit Händen berühren zu können, das tut denn der Geist auch, er berührt sie mit Händen. Was sehn Sie mich ungläubig an? – ob ich vielleicht närrisch bin? – Was tut der Geist nicht? – er sieht in klarer Luft die Sterne hängen und reicht an sie heran! – Woher könnte er sonst die Bemerkung machen, sie seien als mit Händen zu greifen? – Durch dies ganze Naturverhältnis zum Geist strömt Lebenswirkung! weckt und nährt der Mond das Pflanzeleben, nun, so ist kein Hälmchen im Geist, was nicht mit dem Mond im Rapport stände. Sie lächeln? –

»Weil Sie mich auf einen Weg des erhabensten Idealismus wollen geleiten, wo dem Menschengeist die Luft zu fein und schneidend ist, und wollen mich gleich einem Fisch aus dem Wasser ziehen, und mich in sonnedurchhitzter Luft zapplen lassen, was kann ich dann noch Argumente vorbringen? Froh bin ich, wenn ich dann im kühlen Element der Besonnenheit kann fortschwimmen, und nicht in Ihrer Hand nach Luft schnappen muß.«

Fr. Rat. Ich versteh Sie, Herr Pfarrer, Sie sind über mich hinaus, und belächeln meinen Taumel, meinen geisttrunknen, und meine Trunkenheit kann von ihren Schauungen nicht Rechenschaft geben. Sie verlassen mich, höchst gleichgültig darüber, was aus mir werden kann, und ziehen in Ihrem kühlen Element der Besonnenheit, wie Sie's nennen, weiter! Lieber Herr Pfarrer, Sie haben viel Geduld mit mir. Aber merken Sie auf! – Ein Engerling oder Erdkrebs liegt unter der Erd, unterdessen brechen die Knospen und die Blüten auf, vorab das weiche saftige Laub der Linde, und trinkt Sonnenlicht, das auch dringt bis zum Erdkrebs und macht einen Maikäfer aus ihm, so ein Maikäfer, wenn Sie ihn beobachtet haben, hat nichts Unähnliches mit einem geistlichen Herrn, erst sein schwarz Käppchen, seine kluge Augen, die drunter hervorgucken, dann sein gefälteter Kragen und sein brauner Rock, das ist eine geistliche Couleur, er hatte mir immer eine Ähnlichkeit mit einem kleinen Pfarrer, nun, das Sonnenlicht ist mit seinem geistigen Strahl da eingedrungen und hat aus dem Erdkrebs einen theologischen[80] Geist gemacht, der einen ganzen Frühling erkennt, wo der Engerling nur die Erd vor der Nas hatte. Was barmen Sie dann um das glühende Sonnenelement, mit elektrischen Gewalten gesättigt. Ach! will der Geist auch sich fürchten und beschwert fühlen? will der Geist durchaus nichts von der Luft wissen und durchaus ein Engerling bleiben? – große Wehmut spür ich darüber! – Ich hab unrecht gegen Sie und Sie haben recht, mir nicht mehr zu antworten und mich in meinem Talar von Großsprecherei da mir selbst zu überlassen. Was hab ich mit so verzweifelten Bemerkungen ins Feld zu rücken, die sich nicht durchfechten können. Ich werde lieber einfacher vermittlen, was mich drückt, es Ihnen darzulegen, weil ich gar zu gern einen Maikäfer wollt aus Ihnen machen. – Ich glaub, wenn ich nicht weiß, ich glaub, aber nicht mehr, wenn ich weiß, das war der einfach Glaubensartikel, den ich wollt entfalten! –

Der Truffaldin und seine Schwester Schmeraldine waren ein paar arme Bettelkinder, die sehr hungerten, es war ein harter Winter, sie froren in ihren Lumpen jämmerlich. Einmal, da sie in ihrer elenden Hütte unter das Stroh gekrochen waren, hatten sie einen Traum von einem herrlichen Palast, in dem sie wohnen. Als sie morgens aufwachen, da hat sich alles Elend verwandelt, und der Traum war wahr geworden; Marmorsäulen, Betten aus himmlischen Schwanedaunen, Scharlachpelz, und Prinzessenragout auf goldene Schüsseln: Die Sach muß wahr sein, es steht in alle Geschichtsneuigkeiten von Feenmärcher, nun! ich glaub's, weil viele Märcheshelden es wollen wahrgenommen haben, und weil eine ganze Geschicht draus entstanden ist, die durch glaubwürdige Dokumente und gleichzeitige Geschichtschreiber, wo einer dem andern immer die Hand hat gearbeit, bis auf unsere Lebzeite reicht; und durch Tradition und Beglaubigung großer weiser Märchens-Väter als gewiß angenommen und geltend bis zum Lebensend dieser beiden Glückspilze, wenn sie allenfalls nicht schon gestorben sind, wie das in den Märchen eine bedeutende wahrheitliebende Bemerkung ist. – Ja! siehe da! Ich setze den Fall, in diesen verfloßne Februari, der recht sehr kalt war, klopft's an meiner Tür – ich sag: Herein! Da erscheine ein paar Kinder, blaß und abgezehrt von Hunger, mit große schwarze Wacholderkernsaugen, daß man gleich sieht, es sind Italiener, kein ganze Strumpf am Fuß, Schuh ohne Sohlen, und so viel Fenster auf dem Leib, wo die lieb Natur ganz ungeniert herdurchguckt, daß, wann die auch denen Abgaben unterworfen wären, die wir für jed Fenster als Kriegssteuer zahlen müssen an den Napoleon, so wären sie auch mit den besten Umständ ruinierte Leut. – Ich frag: Wer seid ihr dann, ihr liebe Kinder? – ›Truffaldin und Schmeraldine.‹ – Ei was? wie seid ihr dann so heruntergekommen? Ich hab ja gehört, ihr lebt wie die Fürsten? – ›Nein, Frau Rat, wir hungern bis auf den heutigen Tag noch!‹ – Nun! ich laß ihnen eine Schüssel mit Erbsen auftragen, sie machen sich dahinter, und der Augenschein ergibt's, daß sie leere Mägen hatten. – Nun! frag ich, wo ist denn euer Palast von Marmor, euer Wundergarten mit den Paradiesäpfel und die Scharlachjacke und die Herrlichkeiten[81] all miteinander geblieben? – ›Das haben wir freilich alles ganz perfekt geträumt, so daß wir selbst dran geglaubt haben, aber wie wir aufgewacht sind, da ist's nit wahr gewesen.‹ No! – sag ich, wahr ist's allemal gewesen, denn was einer ganz perfekt träumt, das hat seine Wahrheit fürs Leben, aber freilich seh ich ein, daß, weil jetzt der Traum aus ist, so könnt ihr unmöglich mehr euern angenehme Morgenschweiß abwarten unter jene geträumte Federbetten, auch könnt ihr unmöglich mehr an jene geträumte, so köstlich riechende Delikateßwürstercher euch erlaben, die in euerm geträumte Rauchfang hingen. Wir müssen hier reinen Tisch machen mit denen geträumte Siebensachen, und müssen uns an die unschätzbare Wirklichkeit halten; es ist zwar nicht so ergötzlich, als was ihr bei nachtschlafender Zeit im Dusel erlebt wollt haben, aber ihr müßt bedenken, daß das helle Tageslicht auch was wert ist, und daß ihr doch von euch selber überzeugt sein könnt, was so mancher glückstraumtrunkner großer Weltmann, der so ganz von sich selbst eingenommen ist, nie sein wird, ohne auf die Nas zu fallen. Aber ihr – kneip sich jeder in die Nas, so wird er spüren, daß er's selber ist. – Nun, sie zupfen sich freilich an ihre verfrorene Näsercher und gucke mir mit ihre Glotzaugen ins Gesicht, als: was denn das bedeute soll? – Die Wirklichkeit soll's bedeute, ihr gute verfrorene Schelmen! die ist auch was wert. – Im Traum standen die Obstbäum in schönster Blüt, die Engel mit golderne Salveten über der Schulter flogen herum, schneuzten mit einer diamanternen Lichtputz die Himmelslichter, sie räumten euch mit eignen heiligen Händen die Knöchelcher von eurem Schüsselchen ab, um Platz für neue köstliche Speisen zu machen. Jetzt seid ihr aufgewacht und seht, daß alle Herrlichkeit nur Traum war, ihr seid noch ganz verdusselt und möcht euch auf die andre Seit schlafen legen, und greint und ärgert euch, daß ihr nicht weiterträumen könnt und daß der Traum euch ein Possen gespielt hat. Ich will euch aber die große Wahrheiten mitteilen von diesem Begebnis.

Erstlich, Gott ist nicht ungerecht im Austeilen von aller Weltherrlichkeit, denn die ist nur ein solcher Traum, wie der eurige war. Es wird doch keiner dem andern sein Traum mißgönnen? er wird drüber lachen und sagen: Wenn der Schläfer aufwacht, wird er sich auch besinnen über sein Traum und sehen, daß es nichts ist. – Ihr meint zwar, bei Gott ist alles möglich: – O ja! – Ei, warum wird denn nichts aus diesen Glücksmöglichkeiten? Weil ihr euch selbst noch nicht dazu erzogen habt. –

Herr Pfarrer, alle große Wahrheiten der Menschengesellschaft kann man aus kleinen Fabelbegebenheiten heraus beweisen. Der Gott und das Tier, die im Menschen immer sich hin- und herzerren, bearbeiten da mit gegenseitigem Humor das Feld der Weisheit. Den Übermut, die falsche Moral und Lüge pflügen sie unter als Mist und streuen eine Schicksalssaat hinein, aus der man eine Frucht gewinnt, die auf der Tenne nicht reiner kann geworfelt sein.

Das ist die sollicitatio perpetua, die mich zu meinen Erzählungen anfeuert,[82] daß ich aussprechen kann und gleichsam damit die fruchtbare Erde im Menschenherzen wie mit dem Spaten auflockern für den Samen, der Wurzeln drin fassen kann. – Was ich nun zu denen Kindern gesagt hätte, das will ich Ihnen sagen, Herr Pfarrer; die hätten unmittelbar dran glauben müssen, und geantwortet, wie ich wollt. Sie aber haben eine Menge ausstudierte Argumente zu verteidigen, und da wird's Späne geben. – Ich behaupte nämlich gegen meine Bettelkinder, daß Gott in der Schöpfung noch vieles vorbehalten hat, was bis jetzt nicht konnt sich bilden, weil der Platz dazu im Menschengeist verschlossen ist durch Vorurteile. – Ja, es hat sich was mit jene sieben Schöpfungstagen, sag ich zu Ihnen, Herr Pfarrer. Ei, ich parier mit Ihnen, daß der Gott wie ein Abcschütz hat studieren müssen, eh er die Weltschöpfung so weit gebracht hat, die bloß der fruchtbare Boden ist für alle Wissenschaften, die sich darin als Wurzeln ausstrecken für den Menschengeist, denn der ist der Stamm, der seine Nahrung mit diesen Wurzeln der Wissenschaft aus dem Boden seiner Wirklichkeit saugt, und seine Blüte und Frucht gedeiht dadurch im Licht, im höheren Element; sehn Sie, der Keim dieser Wissenschaften hat ursprünglich in Gott gelegen, wer sich mit abgibt, der rührt den Geist Gottes an, drum soll er sich nicht mit ungewaschne Hände dran geben, nicht mit Vorurteil und geheimen unwürdigen Zwecken. Jetzt lassen Sie uns weiter gehn! – Gott ist ein Genie! – er hat sich zusammengenommen, hat diese geniale Kräfte in sich so hoch gespannt und spannt sie noch, hat nicht nachgelassen, hat keinen siebenten Ruhtag sich gegönnt, und von der Durchdringung von dem göttlichen Bewußtsein gibt eben die Welt Zeugnis. – Der Menschengeist aber gibt Zeugnis, wie das mit der Schöpfungsgewalt nicht so rasch geht, denn so stark die ist, so stark ist auch die menschlich Widerspenstigkeit, denn – Gottesgewalt ist unendlich unermeßlich, vor was wär sie's aber, wenn der Menschengeist nicht eben so hartnäckig und unüberwindlich wär? Könnte der Gott das Regiment der Welt mit dem Finger abschnellen, vor was wär denn Gottes Gewalt, nein, er ist der Überwinder, wir sind die, die ihm heißmachen, und dabei ist für den Seher die Unmittelbarkeit des göttlichen Geistes keineswegs zurückgesetzt. Ich bin ein Seher zuweilen, ich fühl und seh, wie er alle Elemente mit seim Lebensfeuer zersetzt und Geist draus macht und weder Werkeltags noch Sonntags eine Minute nachläßt. – Zu was tut er das? Wär die Schöpfung am End, so könnte der Gott höchstens wie mit einem Ball damit spielen, zu was sollt er sie brauchen sonst? – Aber sie ist seine Werkstätte, er arbeitet unaufhörlich drin, sein Unglück würde da beginnen, wo er, wie wir uns die Seligkeit denken, ausruhen müßte von seiner Anstrengung. – Ja, an die Anstrengung Gottes glaub ich, aber nicht an seine Abspannung, denn warum? es lehrt mir's die Natur – noch außer mannigfachen Beweisen. – Am Sonntag wachsen die Gräsercher so gut wie am Werkeltag – ja, bald möcht ich zu meinem Pläsier die Bemerkung hinzufügen: grad am Sonntag tummelt sich die Natur so, daß, wer das Gras will wachsen hören, der kann sich nur im Sonnenschein am frühe Sonntagmorgen[83] mit dem Ohr auf den Grasplatz vor der Kirchentür hinlegen, so wird er's knistern und krachen hören und als drauf losarbeiten mit seim Wachstum, während in der benachbarten Kirch alle Register gezogen werden, um den heiligen Ruhetag zu verbringen, und alle Menschen einstimmen in einen langgedehnten Kirchengesang, von dem die Geduld selbst das End nicht abwarten kann, sondern reißt aus mit der Einbildung über alle Berge; kehrt sie zurück, so hat die ganz heilige Ruhegemeinde immer noch den Vers von der Langmut Gottes nicht zu End gebracht, und erläßt ihr auch von dieser Prüfung nichts; jetzt ist augenscheinlich wieder, daß Gottes Langmut um ein Geringes größer ist als die menschliche Langeweil, und sie so auspariert, daß er noch vielleicht um ein einzige Vers länger Geduld hätt allemal, als die in der Langenweile ersterbende Menschheit ihre Sonntagsruh aushalten kann, also seh einer, wie Gottes Geduld gleichsam wie ein glühend Eisen von der Menschheit auf dem Amboß zurechtgehämmert wird. Soll ich das Sabbatsruh heißen? – Nein, sagt was Ihr wollt, im Schweiß seines Angesichts muß er die Trägheit der Kirchenlichter in ihren Predigten erleiden; und kurz: Sonntags hat er ein schwereres Tagwerk wie je. – Ich hab zwar was anders noch sagen wollen, aber lassen Sie mich in dem Gleichnis fortfahren. Also der Menschengeist läßt sich's angelegen sein am Sonntag zu ruhen. Was hat er dann die ganze Woch über getan als geschlafen? – Nun schläft er aber einen doppelten Schlaf in der Kirch; was ist das vor ein Gegensatz zu Gott? – zur Natur, die aus einer heiligen Anstrengung in die andere übergeht, denn die Jahreszeiten sind nichts anders als der Natur ihre ewige rastlose Arbeit. Die Zeit? – was ist die, wenn die Natur sie nicht bildet? – sie hält alle Ordnung in ihrem Schoß, sie läßt Tag und Nacht mit denselben notwendigen Verrichtungen aus ihm hervorsteigen und erledigt auch den Sonntag nicht einmal von einem zufälligen Geschäft; im vorigen Sommer hatt ich eine pläsierliche Bemerkung gemacht, daß die meiste Gewitter auf den Sonntag fielen. Ich sagte immer: laßt uns nur auf den Sonntag keine Landpartie verabreden, denn wir werden ein Donnerwetter kriegen; und hat das doch an so einem stillseinsollende Tag in die Stille hineingerumpelt und gebollert, und ist doch das Volk gelaufen, mit dene Röcke über dem Kopf, um den Sonntagsstaat zu schützen, und war das ein Gerenn über die Gasse! In eim Galopp durch den Platzregen sah man die ganz Bürgerschaft dahergesprungen kommen, und gelacht haben sie, daß sie waren angeführt. Ich von meim Fenster konnt sie all von Bornheim und Bockenheim sehn vor dem Regen ausgerissen kommen.

Nun ja! ich lass' mir's gefallen, daß der Sonntag als allgemeiner Erholungstag gefeiert wird und daß dem Schleichhandel untereinander an diesem Tage die Schleusen gesperrt sein sollen. Knecht und Magd frei von ihren schweren Verpflichtungen gegen den, der Mäßigung, Bescheidenheit und den Begriff der Menschenwürde dem opfert, was die Welt Glück nennt; der, um zu steigen, fällt, tief in eine Grube, aus der keine Glücksbombe ihn wieder freischießt von seinen Bedürfnissen, und der von keiner edlen Bestimmung[84] sich mehr kann Rechenschaft geben; daß der nicht seine schwere Hand auf des Knechtes Schulter heut legen dürfe, das ist mir den Tag des Herrn gefeiert. Aber mischt euch nicht in die innere Freiheit des Menschen, ihr Herrn Theologen, macht ihn nicht zu fürchten mit eurem Kobold im Sonntagsstaat, überspannt nicht sein Vertrauen in eure Weisheit; denn seht, so ein Köhlerglaube, der in der Sperr der Einsamkeit gegen das kleinliche Gewühl der Weltinteressen alles Übermächtige für wahr halten kann, an dem werden doch die miserablen Ideen, die ihr wollt gäng und gäbe machen, in Lachen und Spott aufgehn.

Halten Sie's nicht für Aberwitz! – Jahre verfinstern unsern Horizont, das Volk tappt im Dunkeln und findet seinen Lebensweg; feurige Blitze zeigen ihm in zusammengedrängten, sich nacheilenden, grauenvoll erhabnen Bildern die ganze Weltgeschichte; die vom Blitz Getroffnen schlafen unter der Erde, und obschon mit dem Verhallen des wilden Getöses auch schon die Erinnerung davon einschläft, so ist doch das Volk geweckt durch die politische und moralische welterschütternde Begebenheiten, und ob's auch die Menge vergißt, so ist sie doch von diesem Vergänglichen und Nichtigen des Gedächtnisses mit fortgeschleppt worden auf einen Standpunkt, von dem ihr sie nicht mehr könnt zurückweisen. Dies Volk ist Menschenkenner geworden und zwar in einem edleren Sinn als seine Dränger, denn es fühlt, was es seinen Kräften bieten kann, während die glauben und hoffen, diese Kräfte lähmen zu können. Es fällt das richtigste Urteil, und zwar am ersten über euch. Ihr zwar wollt seine Menschenkenntnis verdächtigen bei den großen Weltregenten, aber es weiß, warum, und versteht euch jetzt doppelt. Ihr nämlich wollt, daß die Landesväter die Menschen in dem Sinn beurteilen, in dem ihr sie behandelt. Aber wie gesagt, ihr könnt ihm den Gesichtspunkt seines Wertes nicht mehr bestimmen, in dem es seine moralische Welt gründen wird. Sie fragen: Was ist nun aber zu tun, wenn es so steht, daß das Volk vor Aufklärung keine heilige Bedürfnisse mehr hat? Und wenn ich nun aber auch gleich Antwort geb: es hat noch heilige Bedürfnisse, und bedeutendere, als den Gesang aus euerm Gesangbuch zu schnarren oder über eurer Predigt einzuschlafen. – Es war einmal ein Pfarrer, der in seinem heiligen Eifer die Augen fest zudrückt und als mit dem größten Nachdruck das Wort Gottes von der Kanzel herunterdonnert, die Leut, die bei dem laute Gebrüll und Gestöhn in ihrer sonntäglichen Kirchenruh gestört werden, schleichen so einer sacht nach dem andern der Kirchen hinaus, bis zuletzt dem Küster über dieser langweilige Inspiration vom Heiligen Geist auch die Geduld ausgeht, er erlaubt sich also den Herrn Prediger in seiner willkürliche Blindheit zu unterbrechen, indem er ihm meldt, daß er den Schlüssel von der Kirchentür hat auf den Altar gelegt, und wann der Herr Prediger fertig wär, so möchten Sie doch so gut sein, zuzuschließen.

Verzeihen Sie, Herr Prediger, Sie sind ein großer Kanzelredner, und ich hab mir schon viel von Ihrer schöne Gab, in die Menschen hinein zu persuadieren, erzählen lassen, und ich hatte schon oft Lust Ihrer Predigt einmal anzuhören,[85] wenn es nicht ein Stadtgespräch gäb, die Frau Rat wär in Ihre Kirch gegangen, weil sie so nicht recht wissen, wohinaus ich will. Aber Sie, Herr Pfarrer, würden Sie sich meiner spekulative Richtungen annehmen? –

»Wichtig ist mir's allerdings; jemehr ich Ihnen zuhör, je mehr steigert sich mein Interesse, diese Richtungen zu durchdringen, obschon ich sie nicht unterschreiben möchte, und so würde es mir auch schmeichelhaft sein, wenn Sie meine Predigt besuchten.«

Fr. Rat. Das glaub ich! – Sie haben einen harten Kopf – nichts vor ungut. Eben Ihre schönen Kanzelreden sind ein Beweis davon, lassen Sie mich ausreden, es wird sich ergeben, auch Ihnen sind die Leut schon längst aus der Kirch gelaufen bis auf den Küster, der Ihnen den Schlüssel überläßt, um nach Belieben die Kirch zu schließen. Sie, Herr Pfarrer, wissen's, daß Sie allein dastehen in Ihrer Kirch und Ihr Latein oder Hebräisch denen leeren Wänden widerhallen lassen. Denn Herzen und Ohren haben keinen Schalldeckel dafür! – Ihre Predigten! Ja, ich bin überzeugt, daß Sie das Wort Gottes, die Bibel, in voller Kraft erschallen lassen, aber keine Ohren, keine Herzen dieses vernehmen. Was wollen Sie, Herr Prediger? – Wo nichts ist, hat der Kaiser sein Recht verloren. Es ist kein Widerhall im Menschengeist. Den hat einmal die Zeit vernichtet, und deswegen ist doch das Menschenherz nicht bedürfnislos, ja, es ist gewaltiger in seinen Forderungen und bedürftiger wie je. Und wie kommt's, daß ihr dem nicht Genüge leistet? – Seht ihr's, daß die Bahn euch nicht weiter geholfen hat, auf die ihr mitsamt dem Volk mit dem Vorurteil tyrannischer Selbstüberzeugung euch habt mit Gewalt festgerennt. Ihr auch seid in einer Sackgasse, ihr habt keine Aussicht, was da werden soll, euch geht der Verstand aus. Der große Welteigensinn hält alle Menschen gefangen, die sich nicht frei zu denken erlauben. – Und der Eigensinn ist eben der harte Kopf. Was habt ihr an so einem von moralischen Anwendungen ausgemergelten Text. Ihr selbst seid ja übersättigt von dem ganzen Kirchenprozeß; stünd der Teufel als Vater der Lüge und Illusionen euch nicht bei, den Aberglauben, die Launen und Verkehrtheiten, ja die Grille der Weltereignisse mit in den tyrannischen Zopf zu flechten, den ihr der Christenheit andreht, wo nähmt ihr euer Latein her? – Ihr wärt am End mit dem, ihr Herren Kirchenlichter.

»Sie glauben also, werteste Frau Rat, wir, die es uns als höchste Gewissenssache angelegen sein lassen, dem Menschengeschlecht die göttlichen Wahrheiten begreiflich zu machen, hätten selbst nicht Grütze genug, die zu verstehen, und für das Volk zu wählen, was ihm not tut?«

Fr. Rat. Ach, verstehen kann man nur die Weisheit, alles andre ist ja unverständliches Zeug. Vor dem großen freien Wahrheitsgeist besteht keine Dummheit, alles, was des Denkens fähig ist, wird von ihm durchdrungen. Sie verstehen gut zu predigen, und sollten nicht verstehn, daß ich recht hab? Sie selbst wissen, daß Sie von so einer guten Predigt gar nichts haben, als das sehr fade Pläsier, die wurmstichige Heilsfragen von einer Seite gepackt zu haben, wo Sie wieder durch ein neu Wurmloch kriechen konnten.[86]

Denn selbst gescheuter werden durch diese Eingebungen des Heiligen Geists, der sein Nest auf der Kanzel hat, das erwarten Sie nicht.

»Erlauben Sie, Frau Rat! die Religion, die das ganze Gebiet des Übersinnlichen und Überirdischen in sich begreift, die teils theoretisch, teils praktisch den Geist in Anspruch nimmt, die sollte keine Anwendung finden auf mein Inneres? – Eine Predigt, die ein Bruchstück ist des Buchs der Bücher, die sollte keine Heilsanwendung haben auf meine Gemeine, der ich sie vortrage, die sollte keine Religionswahrheiten vertragen, den Menschengeist nicht in die Betrachtungen Gottes verzücken und ihn nähren und pflegen?«

Fr. Rat. Ach Larifari, Herr Pfarrer! wüßten Sie was Gescheuters, so würden Sie's vorbringen. Hätten also jene Heilsvertiefungen Ihrem Geist was genützt, den genährt und gepflegt, so müßte der jetzt meinen Verstand still heißen stehen. Aber Sie geben nicht mir, sondern nur unserm Herrgott was auf zu raten, wie Sie mit denen vielen Vermögenheiten da herauszubohren sind aus der Opposition mit der Wahrheit.

Diese Widersetzlichkeit im Menschengeschlecht ist es eben, was dem göttlichen Schöpfungsgeist so viel Schwierigkeiten macht. Und derlei mißwilligen Hoffart, der sich ihm widerstemmt, vergießt eben Gott sein besten Schweiß bei der Weltschöpfung. Das verdrießt ihn aber nicht, er übt darin seine Weisheit, er wandelt in ewigen listigen Umwegen um euch herum, und verläßt seine Werkstätte nicht Sonntags und nicht Werktags. Ja, eure verschlafne Begriffe benutzt er, um durch den Traum euch den Unterschied von der Wirklichkeit zu lehren. – Wie ich denn das meinen Bettelkindern eben auseinandersetzen wollt, als wir davon abkamen, nämlich ich wollt sagen: Grad wie ihr arme Bettelkinder eben mit dem ersten Begriff ins wirkliche Leben tretet, daß ihr noch nichts seid, eben so hat der Begriff Gottes in sich angefangen. Er sah sich um nach Nahrung, aber wahrhaftig nicht nach einer gepolsterten Herrlichkeit, nicht nach dem Thronsessel des Menschengeschlechts, nicht nach Posaunenengel, nach Rauchfässerschwingen und Fahnenprozessionen, mit denen der christliche Kirchenstaat den Gottestempel bedient. Ihr aber seufzt, wie ich merk, nach einem vergangnen Glück. Aus was bestand das denn? Aus Leckerbissen, aus Lakaienvolk, das euch in der Portechaise herumtragen sollte, und derlei verächtliche Dinge. – Warum seufzt ihr denn so jämmerlich? – Ja freilich, ihr friert und hungert, und das ist der Anfang aus eurem schönen, aber vergeblichen Traumleben heraus. – Ihr gute Kinder, jammert nicht, ich muß mit seufzen und heulen, so nah geht mir's freilich. – Aber hier könnt ihr doch zu etwas kommen, was der ganzen Welt noch ein Rätsel ist. So mancher ritterliche Geist hat schreckliche Fährlichkeiten ausgestanden, um das tanzende Wasser des Lebens, um den Apfel der Schönheit, um den Gürtel der Unsichtbarkeit, um das Schwert des unfehlbaren Siegs zu erlangen; und was dergleichen unschätzbare Seltenheiten noch mehr sind. – Drachen haben sie bezwingen müssen und Riesen, und in alle dunkle Irrwege und Wildnisse sind sie unermüdet herumgetappt, Hunger und Durst haben sie gelitten,[87] allein ihr feuriger Geist hat sie zum erwünschten Ziel gebracht. – So müßt auch ihr hoffen, ihr werdet zum Ziel kommen, so muß der feurige Geist Gottes, der vor lauter göttlichem Eifer und Weisheitsdrang keine Bedürfnisse fühlt, euch einstweilen ein Schmachtriemen sein, mit dem ihr euren widerbellenden Magen gegen die höhere Natur zur Ordnung bringt. – Ihr Kinder, es ist viel wert, auch nur einen Schritt der göttlichen Erkenntnis näher gekommen zu sein. – Laßt die guten Christen, die nicht einmal verstehn, einen Laib Brot nach Recht und Gerechtigkeit auszuteilen, einstweilen in ihrem Traumleben fortstolpern, wo sie meinen tun, den Weltgeist im Zaum zu halten, und halten sich doch nur bei den eignen Eselsohren. Fühlt ihr nicht, daß dem großen Weltengeist das göttliche Sein versagt ist in ihnen? – Nun, wo bleiben die? –

Ihr aber, arme Kinder, habt dadurch, daß ihr von den zeitlichen Genüssen abgesperrt seid, nur einen Weg vor euch, nämlich den der Unsterblichkeit, grade in den Schoß Gottes zu laufen, der euch mit lachendem Herzen umarmen wird. – Und ihr werdet euch fühlen lernen in der Wahrheit. – Der Geist Gottes wird an euch seinen Schweiß nicht umsonst vergießen, er wird durchdringen, und wird der Schöpfungsgeist mit großem Brausen des Selbstbewußtseins eingeströmt kommen; denn wenn ich nicht irre, so ist eben der Knoten, an dem der Schöpfungsgeist arbeitet, jene Bewußtheit des Menschentums, die seiner projektierenden Kraft sich bemeistert. Freilich kann das nicht als Frucht sich im Menschengeist reifen, wenn der noch so voll dummer Vorurteile gepfropft ist, daß die heilige Natur nichts in ihm vermag. Seid deswegen nicht ungehalten, daß ihr aus jenem Luxustraum in die Not der Wirklichkeit geboren seid, denn Wirklichsein ist grade nur dies, daß der Schöpfungsgeist endlich durchgedrungen hat. Nun, Herr Pfarrer, vergleichen Sie meine Kinder jener Gemeine, die in Ihrer Kirch keine Nahrung mehr findet, weil der Luxustraum aus ist! Klein fangen sie an, mit Lumpen nur ist die Blöße ihres Geistes bedeckt, nicht mit Hermelin, Wissenschaft und Kunst, diese Weiden, auf die ihr ausgemagerter Geist angewiesen, die sind dem respektive Leithammel oder Hirten dieser Herde auch noch nicht bekannt, also müssen sie sich kümmerlich durchdrücken, aber was sie jetzt fordern und bedürfen, ist doch wirkliche Geistesnahrung, kein fabelhafter Luxus mehr, also ist auch zu erwarten, daß der Geist Leben gewinnen und dann alles durchsetzen wird. Was, Herr Pfarrer, Sie ziehen die Uhr heraus, wo ich im besten Zug bin, da seh ich, daß Sie wieder nicht wie die unschuldige Bettelkinder von meine prophetische Gaben sich wollen erleuchten lassen. Das ist der Eigensinn, das ist der harte Kopf, ich glaubte schon, ich hätte sie auf einem guten Weg. –

Der Prediger macht seine Entschuldigung, daß er wegen Amtsgeschäften fort muß, erbittet sich aber die Erlaubnis am andern Tag wieder zu kommen.

Quelle:
Bettina von Arnim: Werke und Briefe. Bde. 1–5, Band 3, Frechen 1959, S. 66-88.
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