Funfzehnter Auftritt.

[60] DORIS mit einem Lichte, vor sich redend. Dem Himmel sei's gedankt, Lysander ist hinaus, die Thür verschlossen, ein Augenblick, so war's zu spät, schon hört ich unsern Herrn rufen, laufen. Laut. Ach gnädiges Fräulein, was für ein Unglück ist denn hier geschehen, ich lag im ersten Schlaf, als ich sie schreien hörte, mein Gott, da liegt ja das liebe Fräulein ausgestreckt ganz bleich. – Ei Herr Cardenio, wo sind Sie hergekommen, hier ist des Fräuleins Schlafgemach, was haben Sie mit ihr gemacht, Sie haben noch den bloßen Degen in der Hand. – Sie läuft nach der Thüre. He Hülfe, Mörder!

CARDENIO. Daß dies dein letzter Athem wär. Schaff Hülfe, statt zu schreien, Riechwasser her, es scheint nur Ohnmacht.


Viren in Pantoffeln, einen Schanzläufer übergehängt mit dem Degen.


VIREN. He, welch Geschrei in stiller Nacht was giebt es Doris, sicher eine Spukgeschichte.[60]

DORIS. Da sehen Sie nur Herr den Spuk, der Herr Cardenio mit bloßem Degen, das gnäd'ge Fräulein liegt in Ohnmacht.

CARDENIO. Gebt Wasser her, sie scheinet zu sich selbst zu kommen.

VIREN. Cardenio! Von meiner Schwester fort! Mir steigt das Blut zu Kopfe – verruchter Schänder der jungfräulichen Ehre, der du das heil'ge Recht des eignen Hauses nicht gescheuet, den Bann der friedlichen Nacht gebrochen, was hält mich, daß ich dich nicht niederstoße?

CARDENIO. Mein Degen. Jetzt sorge nur für deine Schwester, die ist was mehr werth, als wir beide. Sie schlägt die Augen auf, o welch ein liebevoller Anblick.

VIREN nimmt Olympien in die Arme. Wie ist dir liebe Schwester, was ist dir geschehen?

OLYMPIE. Ach mir geschah so schmerzliche Beleidigung.

VIREN. Sprich nur schneller.

OLYMPIE schwach. Ich hatte mich schon halb entkleidet, geh zu diesem Schrank, da springt Cardenio heraus, erstickt mich fast mit seiner Küsse Wuth ich find in seinem Arm mich wieder, er ist wohl fort; ach frag ihn Bruder, ob ich je freche Blicke ihm gegeben, so schnöde Worte ihm gesagt, die solche Frechheit reifen ließen.


[61] Einige Bediente Virens kommen mit Waffen.


BEDIENTE. Ist hier der Dieb, schlagt zu.

VIREN. Ha Bube, so ehrlos wie du ehrbegierig, hier auf der Stelle mußt du bluten.

CARDENIO. Du wärst der erste Prahlhans nicht, den ich schon auf die Kniee hab gesetzt, euch andren hätt ich auch noch Lust zur Ader hier zu lassen, doch hier hält mich ein Blick zurück, den ich noch ehre, selbst da, wo er mich hat so ganz verkannt.


Pamphilio und einige Musikanten dringen ein.


PAMPHILIO. Halt, was geschieht hier, blanke Degen, Olympie erblassend, ich wollt ich wäre weit davon.

MUSIKER. Haltet ein, ihr Herren, hört doch die Vernunft mit kaltem Blute an.

CARDENIO. Bei Gott, ich bin ein Gletscher, kann euch alles sagen, wie vor den Gerichten. Ihr Herren sagt, wann bin ich in dies Haus gedrungen?

ERSTER MUSIKANT. Je Herrchen, das müssen Sie am besten wissen, es sind nicht fünf Minuten, daß wir Sie auf der Straße hingestreckt erblickten, seufzend nach den Sternen, so sagt der Poet.

CARDENIO. Wie kam ich dann darauf, die Ruhe dieses Hauses so zu stören?

EIN ANDERER MUSIKANT. Da war nichts mehr zu stören, Domine, als sie mit uns hineingedrungen, da war ein Schreien drin von einer Weiberstimme,[62] ein Lichtauslöschen, als wäre Mord geschehen, es fuhr mir eiskalt übern Rücken, daß mir die Flöte an die Erde fiel.

VIREN. Es ist nicht wahr.

ERSTER MUSIKANT. Mein Herr Viren, wir kennen uns ja länger, ich gab ja schon Ihrem Herrn Vater Unterricht auf Geige und auf Flöte, er lernte erst nicht viel, dann aber kriegte er einen guten Ansatz, als er ward verliebt.

PAMPHILIO. Was soll das hier.

ERSTER MUSIKANT. Das Herrchen ist so böse, es erkennt mich nicht, ob ich ihm gleich zwei Stunden alle Woche gebe auf der Geige. Ja Herr Viren ich schwör es ihnen bei meiner Ehre, hab ich gleich nur wenig Ehre, Sie thun dem Herrn Cardenio ein großes Unrecht, wenn Sie meinen. –

OLYMPIE. Er nannte sich Cardenio, als er mich küßte, als er mich schändete, ich schwörs zu Gott.

VIREN. So schweig doch Schwester vor den Leuten. – Nun weiter.

ERSTER MUSIKANT. – – – wenn Sie meinen, daß er das Haus hat aufgestört, er sprengte erst nach vielem Hülfe-Schreien, das drin erscholl, die große Thüre, wir drangen mit ihm ein, und er kam früher hier herein, weil – – –

PAMPHILIO. Weil er der Muthigste von uns und der Verliebteste. Armer Cardenio, ein andrer hat[63] in deinem Namen die Ernte mit Gewalt entrissen, und draußen standest du als Wächter.

OLYMPIE. Ich vergeh, ich bin verrathen.

CARDENIO. Darf solche Schönheit solche Schmach erfahren, darf meine Liebe so verrathen werden, die Welt erscheint mir anders auf einmal – wie wird mir doch, es dreht sich alles rings umher, die Streifen an der Wand, sie ringeln sich zu Schlangen.

PAMPHILIO. Du schwindelst Freund, halt dich an mir.

VIREN. Ich muß verstummen, an niemand kann ich meine Wuth auslassen, ein gräßlich Räthsel quält uns alle. Verzeihe mir Cardenio, nur dir hätt ich des Unternehmens Kühnheit zugetraut, die Trauer und die unterdrückte Rache zerrissen mir das Herz ich ahne schlimme Folgen. Ihr Leute, ihr Herren Musiker erfrischt euch draußen nach dem Schrecken, geh Doris, sorg für sie, ich habe noch zu sprechen mit Cardenio.

DORIS vor sich. Hätt ich wohl je geglaubt, daß das so enden könnte, ich hätt es nimmermehr gethan.


Quelle:
Achim von Arnim: Sämmtliche Werke. Band 16, Berlin 1846, S. 60-64.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Halle und Jerusalem
Ludwig Achim's von Arnim sämtliche Werke: Band XVI. Halle und Jerusalem. Studentenspiel und Pilgerabenteuer
Halle und Jerusalem: Studentenspiel und Pilgerabentheuer (Jahresgaben Des Verlages)

Buchempfehlung

Lewald, Fanny

Clementine

Clementine

In ihrem ersten Roman ergreift die Autorin das Wort für die jüdische Emanzipation und setzt sich mit dem Thema arrangierter Vernunftehen auseinander. Eine damals weit verbreitete Praxis, der Fanny Lewald selber nur knapp entgehen konnte.

82 Seiten, 5.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Dass das gelungen ist, zeigt Michael Holzingers Auswahl von neun Meistererzählungen aus der sogenannten Biedermeierzeit.

434 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon