Dritter Auftritt.

[74] VIREN. Nun guten Tag du arme Schwester, hast wohl schlecht geschlafen, besuchst du mich einmal bei meinen Büchern, du bist die schönste Seltenheit darin! – Ihr Mädchen habts doch gut, wenn ihr ein bischen nachseht in dem Hause, da meint ihr Wunder was ihr alles habt gethan – ich hab seit frühem Morgen bei den Akten schwitzen müssen.[74]

OLYMPIE. Da stör ich dich vielleicht, seit gestern Abend kann ich nicht allein mehr sein auf meinem Zimmer, es wird mir angst und bang. Aus den Tapeten scheinen Augen auf mich hin zu blicken.

VIREN. Das sei ein Zeichen dir, der Mensch soll nicht allein sein.

OLYMPIE. Fängst du schon wieder die Geschichte an, jetzt paßt sie gar nicht mehr, ich bin beschimpft, wer wird mich nehmen?

VIREN. Sieh eben jetzt empfing ich diesen Brief noch von Lysander, er schreibt darin, daß manche böse Rede über dich erschalle, er traue deiner Unschuld, deiner Tugend, er flehe jetzt um deine Hand noch eifriger, um diese böse Nachred zu vernichten, als sonst aus Ungeduld der Liebe.

OLYMPIE. Es ist ein edler Mann, ich weiß es lange.

VIREN. Du weists und weists auch nicht, du überlegst es nicht, was so ein Anerbieten wohl verdient. Hör einmal aufmerksam die Verse des alten Gryphius, da ist kein neuer Wortprunk, nein, da ist die Wahrheit und sie paßt auf dich vollkommen. Sieh ein, setz dich auf meinen Schooß und sieh mit mir ins Buch, er führt den Menschen hier mit den vier Jahreszeiten, wie mit den vier bekannten Menschenaltern sehr geschickt zusammen, nun redet ihn die Zeit so an:[75]

Mensch, dies ist des Himmels Schluß,

Dem, was sterblich folgen muß,

Das du sonder Mitgefährten nicht dein Leben sollst vollbringen.

Viere wird man dir vorstellen: Möchte dir die Wahl gelingen.

Wer sich hier nicht nimmt in Acht,

Wer sein Glück einmal versieht.

Ist um das, was er veracht,

Für und für umsonst bemüht.

OLYMPIE. Das sag nur dem Cardenio, nicht mir, er wird sich noch umsonst nach mir bemühen, er hat mich tief gekränkt.

VIREN. Jetzt hör nur weiter an, es passet auch auf dich und auf Lysander, ist er nicht jung und schön und mag den Frühling wohl vorstellen, der allzuerst dem Menschen wird herbeigeführt. Der Mensch da spricht:

Kommst du auf Erden mich zu grüßen,

Ach möcht ich stets mich um dich wissen,

Du rosenfrisches Angesicht; ihr goldnen Haar

Seid stark, mein Herze zu bestricken,

Das über Euch, als im Entzücken,

Nicht weiß, worin es schweb, in Luft, ob in Gefahr.

OLYMPIE. Es ist nicht wahr.

VIREN. Still still, so meint der Mensch auch hier im Buche.

Wie hurtig ist der Gang, wie artig steht das Kleid,

Doch kann der Himmel höh're Gaben[76]

Den übrigen verliehen haben,

Das Erst ist nicht das best. Schnell Schließen schafft oft Leid.

OLYMPIE.

Wer sich hier nicht nimmt in Acht,

Wer sein Glück einmal versieht.

VIREN. Ganz richtig. Die Zeit führt nun den Sommer rasch herbei, die Sonne hat die Wangen ihm gebraunet, er will genießen, er dringet auf Entschluß. Das Fräulein spricht:

Schön ist er, doch mir gar zu strenge,

Ich leide Mangel bei der Menge,

In dieser Wahl, da find ich Qual,

Ich wollt ich fänd auf einmal.

OLYMPIE. Wird also fortgeschickt. Die Zeit spricht wieder:

Wer sein Glück einmal versieht,

Ist um das, was er veracht,

Für und für umsonst bemüht.

VIREN. Nun kommt der Liebhaber als der Herbst und schüttet seinen Reichthum, seine Früchte vor ihr aus, der Scheitel ist schon kahl, doch steht er noch auf festen Füßen, das Fräulein aber spricht:

Die Wangen sind ihm fast erblichen,

Der vorhin weißen Glieder Schnee

Wird gelblich, die Korallen Höh

Ist von den Lippen schier gewichen,

Der ists nicht, der mein Herz ergötzt,

Das Beste kommt wohl auf die letzt.

OLYMPIE. Wer sich hier nicht nimmt in Acht –[77]

VIREN. Dann kommt der Winter an dem Stabe, mit der Fackel zitternd, es ruft das Fräulein mit Schrecken:

Weh mir, was seh ich hier, ist dies mein ganz Verlangen,

O häßlich Grauenbild. Was ist die Fakel noth!

Bist du nur in mein Grab zu leuchten vorgegangen,

O lebend Krankenhaus, du Vorbild von dem Tod,

Weh mir, was find ich hier, ist dies mein langes Wählen,

Wie schlägt mein Hoffen aus! O möcht ich nun zurück,

Soll ich mich für und für mit diesem Scheusal quälen,

O allzuspäte Reu, o höchts verscherztes Glück!

Die Zeit verwandelt sich nun in den Tod und spricht:

Der ists, den du haben mußt,

Weil der andern dreien Keiner

Würdig deiner stolzen Lust,

Zage, schreie, lache oder weine,

Da die frische Jugend nicht,

Nicht der vollen Jahre Blume,

Nicht der Früchte herbstlich Licht

Tüchtig dir zum Eigenthume;

So nimm, wofern du nicht willst ganz verloren sein,

Was noch das Alter läßt, statt alle Schönheit ein.

OLYMPIE steht auf. Mach zu das Buch, es ist ein schrecklich Bild und doch nicht wahr. Warum soll denn so ganz verloren sein ein armes Mädchen, dem nur der Zufall keinen Mann bescheert, kann sie nicht andern Frauen dienen, der Kinder Last und Lust zu theilen. Statt einer liebeleeren Ehe besser keine, gedenk an unsre Nachbarsleute, sie beide einzeln scheinen[78] Frühlings-Zeit, zusammen machen sie des Winters Härt und Tücke aus.

VIREN. Und meinst du wirklich, daß Lysander dir so unvereinbar sei.

OLYMPIE. Bewahr der Himmel nein, sein Umgang war mir immer angenehm belehrend, er fühlt und weiß auch alles, es bindet mich ein tief geheimes Band an ihn, ich schäme mich, es dir zu sagen: die Mutter –

VIREN. Sprich liebe Schwester, ich versteh dich nicht, die Mutter hat ihn nie gekannt.

OLYMPIE. Gut darin liegt das Wunderbare eben. Ich hab dir schon erzählt, wie unsre Mutter mir so oft erscheint, wenn ein Verhängniß unser Haus bedroht.

VIREN. Das rettete uns damals, als uns die wichtigsten Papiere über unsre Güter fehlten. Sie stammte aus prophetischem Geschlecht der heiligen Asen aus Persien her, und die Kosaken, die sie dort dem Juden einst entführten, sie hätten sie dem Vater nimmer überlassen, wenn sie die hohe Eigenschaft geahnet hätten.

OLYMPIE. Dem Gottergeb'nen ist ein göttlich Leben nur verständlich.

VIREN. Und wie verstandest du sie diese Nacht.

OLYMPIE. So mild und schreckenlos, daß ich nichts Süß'res weiß, sie deckte einen schwarzen Vorhang[79] auf, nach welchem ich vorher mit Neugier hingeblickt, es war ein wunderbar Gebirge, oben stand ein klarer Tempel, rund auf Säulen, aus dem die Sonne strahlend schien, am Fuß des Berges war ein Höllendunkel. Cardenio stand hellbeflügelt in der lichten Höh und stürzte sich in jenen Abgrund nieder auf schwarzen Flügeln stieg Lysander zu der Höh, auf der ich erst Cardenio erblickt, und als er oben sah er mich so freundlich an, so sicher, so bescheiden, als dankte er mir seinen Gnadensitz, Cardenio schrie da ganz verzweiflungsvoll aus seiner Tiefe zu mir hin und drohend wollte er sich zu Lysander schwingen doch seine Flügel waren in dem Abgrund ihm versengt, er konnte sich nicht mehr erheben, ich fühlte keine Spur der flüchtig heft'gen Neigung mehr zu ihm und selbst das Mitleid ward mir schwer.

VIREN. Ich lache sonst der Träume, weil mir noch nie was rechts geträumt, doch dieser Traum tritt über den gemeinen Kreis der nichtgen Bilder hoch hinaus, er scheint ein Ruf aus einem ahnungsvollen Lande, aus einer Vorzeit, die uns hat geboren und die uns darum kennt in unsern Elementen.

OLYMPIE. Der Traum ist noch nicht aus. Die Mutter deckte jetzt mit schwarzem Vorhang den Cardenio zu, Lysander sah ich da an meiner Seite schön geschmückt, sie schien darüber hoch beglückt und – –[80]

VIREN. Und?

OLYMPIE. Und viele Kinder hingen mir an Brust und Arm und Schulter, mit liebevollem Ungestüme mich umdrängend, wie Charitas auf unserm schönen Bilde, ich war von Kindern wie von einem prächtgen Halsschmuck rings umgeben.

VIREN. Der Mutter Wille ist so klar, dank liebe Mutter dir, die du aus schöner Ferne noch auf unsre trüben Sorgen blickst, den Irrthum lösest und das Zweifelnde entscheidest. Vor sich. Ach schenk mir einen Traum auch von Celinden. Laut. Sieh Schwester, es ist der Mutter Ruf, der jetzt Lysander zu uns führt. Vor sich. Olympie ist eine Schwärmerin, doch dient es ihr und mir, ich bin gewiß, die ganze Stadt spricht schlecht von ihr. Laut. Lysander guten Morgen, du scheinst mir nicht vergnügt.


Quelle:
Achim von Arnim: Sämmtliche Werke. Band 16, Berlin 1846, S. 74-81.
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