Neunter Auftritt.

[104] Edelchen und Lysander treten ein.


EDELCHEN leise. Mein Alter soll kriegen die Schwerenoth, Laut. einen gnädigen Herrn so lange warten zu lassen. – Nathan! – Wo ist er? – Nathan!

NATHAN erwacht. Nun, was ist? Brennt das Haus? Soll Jericho wieder genommen werden. Was ist, was giebts? Ich bin krank, ich will sterben, will machen mein Testament.

LYSANDER. Herr Nathan, sagen Sie, vor einer halben Stunde schienen Sie ganz wohl!

EDELCHEN vor sich. Der Wein steht vor ihm, sicher hat er wieder heut zu viel getrunken. Sie geht sacht zu ihm, stellt sich vor ihn und giebt ihm heimlich eine Ohrfeige. Mein lieber Alter sieh, dir wird gleich besser, wenn ich den Kopf dir halte.

NATHAN. Ich habe keinen Kopf.

EDELCHEN. Nun sehen Sie, Herr Graf, gleich ist er wach.

LYSANDER. Er scheint an jener Seite doch geschwollen.

NATHAN. Ich sterb, ich sterb, Edelchen, koch mir ein Täßchen Kaffee.

EDELCHEN giebt ihm noch eine Ohrfeige. Nein hitzige Getränke würden dir die Milz verbrennen, lieber[105] Nathan. – Sehen Sie Herr Graf, jetzt ist er wieder munter.

LYSANDER. Es war doch nur ein falscher Schein, daß jene Backe dicker, doch scheinen beide sehr erhitzt, – vielleicht ein Glas zu viel getrunken, mein Herr Nathan.

NATHAN. Ach mein Graf, nicht wegen meines Dursts, nur wegens Schreitzweh – was beliebt Herr Graf, Sie haben nur dem armen Nathan zu befehlen.

LYSANDER. Nichts weiter, als warum ich früher Sie gebeten; haben Sie die tausend Thaler mir verschafft?

NATHAN. Au weih, wo sind die tausend Thaler, Herr Graf?

LYSANDER. Wo sind sie denn?

NATHAN. Da liegt das Wechselchen, da steht Ihr Name.

LYSANDER. Mein Name, ganz unmöglich, zeigt doch her – da steht Cardenio.

NATHAN. Edelchen sieh zu! – Edelchen sieh zu. – Es ist des Herrn Grafen Name! – Er will mir seine Unterschrift ableugnen. –

LYSANDER. Ehrlos Gesindel, die ihr stets in andrer Treue keinen guten Glauben setzet, weil ihr selber ohne Treu und Glauben, kommt, verklagt mich, wenn ihr glaubt, daß ich betrogen, aber macht mir keine Worte, kommet mir nicht vor die Augen, oder[106] bei dem heilgen Gotte, ich zerschlag euch alle Glieder brech euch das Genick entzwei.

EDELCHEN. Nathan, sei ein Mann, laß ihn nicht heraus.

LYSANDER. Hört ihr Hunde. Er wirft sie auf einander und geht ab.

EDELCHEN. Da geht er, du Thunichtgut, soll ich dir Beine machen.

NATHAN. Der Schreck liegt mir in allen Gliedern. Lies doch Edelchen, ich kanns nicht lesen, denn wenn ichs lese, so ist es wahr, und wenn es wahr ist, so bin ich des Todes.

EDELCHEN. Ich will lesen. Da stehts ja, Cardenio. –

NATHAN. Es kann nicht dastehn, es ist unmöglich, habs doch geliehen dem Herrn Grafen; ist mir doch der Herr Cardenio nicht Sicherheit, hat nichts als seine Feder, thut nichts als fechten alle Tage, kriegt einmal eins, daß ihm der Wind ausgeht. Wie ist er gekommen herein? Er hats gestohlen, als ich geschlafen habe.

EDELCHEN. Geschlafen – mein Eingebrachtes, Kinderchen kommt heraus – ich will mein Eingebrachtes – ich will mich abscheiden.


Nathan und Edelchen zanken und jammern, sie bemerken nicht den Ahasverus, der ihnen ernst zugesehen.


AHASVERUS. Schweigt, denn an dem heutgen[107] Tage, der zur Ruhe von der Mühe, von der Sorge heilgem Dienste ist geweiht, ziemt es nicht zu schachern und zu zanken.

NATHAN. Was will er hier, ich hab nichts, ich geb nichts, ich sterbe gleich, Herr Abgesandter aus Jerusalem, wer weiß denn, was er ist, ob er uns nicht um unser Geld nur bringt und geht damit, wohin er will.

EDELCHEN. Wer seid ihr? Was wollt ihr?

AHASVERUS. Schweigt, was fragt ihr, wer ich bin? Wißt ich bin der ewge Jude, der zum zehntenmal zur Reise um den Erdball ist gezwungen, euch zu bessern, zu bekehren, daß ihr lernt aus meinem Jammer an den wahren Heiland glauben, den mein hartes Herz verspottet, dem ich ins Gesicht gespien, als er trug am schweren Kreuze, den ich von dem Sitz gestoßen, als er keuchend von der Last, vor dem Haus sich niedersetzte, wo ich trieb mein Schusterhandwerk. Bis ihr Juden all getaufet, kann ich keine Ruhe finden, muß durch alle Länder ziehen, seh euch martern, quälen, schinden, wie ihr dabei lächerlich. Also muß ich euch erblicken, die ihr seid von meinem Blute, von dem Blut aus dem geboren ward das ewig wahre Wort. Euren Glauben ihr verlasset, hasset doch den Christenglauben, rauben laßt ihr willig alles, alles, alles nur kein Geld, stellet euch an fließend Wasser, lasset eure volle Kasten tief hinein, klein[108] ist nur was ihr verlieret, zieret euch der Glaube, leicht beflügelt ist der Glaube, hebt so schwere Last nicht auf, werdet arm, ihr werdet seelig. Ab.

NATHAN. Ich sterbe gleich.

EDELCHEN. Ich wollt, du wärst nur ein Paar Tage früher abgestorben.

NATHAN. Ich bin wirklich todt. Er stirbt.

EDELCHEN. Au weih, er stellt sich todt. Ausrufung mit allen Kindern und allem Gesinde. Schelm, willst du aufwachen, ich will mein Eingebrachtes. Sie schlägt ihn, die Kinder fallen auch über ihn her.

KIND. Der Vater macht sich auch recht steif.

EDELCHEN. Du Schelm, du Verschwender, du dummer Kerl, wozu all das Gespäs. – Er ist doch wirklich todt. – Mein Herzensmann, mein Hirschel, süßer Nathan, wache auf. – So will ich keinen andern Mann mehr nehmen, das war der fünfte und der ist schon wieder todt, das war auch schnell. Zum Zeichen will ich dieses Tuch zerreißen.

KINDER. Reiß nicht Mutter.

EDELCHEN. Will keinen Mann. Ich reiß.

KINDER. Reiß nicht.

EDELCHEN. Ich reiß.

KINDER. Reiß nicht.

EDELCHEN. Ich reiß doch. – Nein ich reiß nicht.


Quelle:
Achim von Arnim: Sämmtliche Werke. Band 16, Berlin 1846, S. 104-109.
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