Neunter Auftritt.

[217] Das Innere der Kirche, viele Grabmähler, auf einem liegt Cardenio entschlummert, Celinde und Tyche an der Thüre, Cleon der Kirchendiener steht vor ihnen mit den Schlüsseln.


TYCHE. Auf Tochter fasse Muth, du siehst in jener Ecke, wo in der Reihe viele schwarze Predgerbilder hängen, wo aufgehäuft die Steine zu dem Grabmahl liegen, da steht des Predigers Sarg, der Deckel ist so leicht gehoben, es kostet dir wenig Mühe, ich darf nicht gegenwärtig sein.

CELINDE. Die Füße – ich kann nicht aus der Stelle – ich zittere am ganzen Leibe, so muß es wirklich nun geschehn – ach um dich Cardenio!

CLEON. Mein schönes Fräulein, seid nicht so wunderlich, ich war ja alle Nächte hier, die Todten haben ihre Ruh, ich war zu allen Zeiten hier und sah noch nichts; so einem wie ich der des Läutens wegen und wegen Feuerzeichen zu aller Zeit und Frist seit Jahren sich hier herumgetrieben, dem ist es hier[217] ganz ruhig wie zu Hause, manch schönes Kind hat mir Gesellschaft sonst geleistet. Nun gute Nacht und Glück zum Werk, ich muß den Thurm ersteigen weil ich um ein Uhr läuten muß. Ab.

TYCHE. Nun hast du doch gehört wie sicher alles ist – eine feine Nacht der kalte Wandelstern läßt sich verdrießlich sehen, ich wollt du wärst erst fertig, es ist ein lieblich Schnarchen in der Welt, ich möcht mich noch zu einem Junggesellen betten.

GELINDE. Die Worte, die du so mit Gleichmuth sagst, sind mir entsetzlich.

TYCHE. Celinde – die Zeit ist da und schnell vorbei. Ab.

CELINDE. Ach nimm mich mit. Sie will fort. O Gott hier hält ein Geist mich fest. – Es war ein Nagel an Lyrers Sarg. Es ist wohl bloße Thorheit diese Furcht vor Geistern – ich will mir andere Gedanken machen, ich weiß ja noch so manch Gebet.


Während sie den Deckel erhebt, betet sie in Verwirrung.


Vater unser der du bist im Himmel – alle gute Geister loben Gott den Herrn – geheiligt werde dein Name, steh mir nur diesmal bei, ich thue es niemals wieder, um Cardenio selbst nicht. Sie schlägt den Sargdeckel auf. Da liegt er unversehrt, so lag er oft in meinen Armen. – Zu uns komme dein Reich und die Kraft und die Herrlichkeit. – Dein Herz! ich muß es haben, wie oft hast du bei deinem Leben mir dein[218] Herz geschenkt, jetzt bist du todt, dir thuts nicht weh und mich kann es beglücken! Sie erhebt ihr Messer. Ja mich wirds beglücken! Vergieb uns unsre Schulden. Der todte Prediger erhebt sich mit blutendem Herzen.

PREDIGER. Geliebte du durchbohrst mein Herz, das ist bittrer als der Hölle Schmerz, heißer als der Hölle heiße Qual, weh die Erde ist ein Jammerthal. Nichtig war, was ich gethan, all mein Glaube war nur Wahn. Liebe ohne Glauben fällt, scheiden muß ich von der Welt. Und Celinde bleibt zurück, ewger Gram ist mein Geschick.


Er sinkt im Sarge nieder, Celinde mit einem Schrei ohnmächtig zu Boden.


CARDENIO erhebt sich. Welch wild Geschrei erweckte mich aus meinem Taumel, das war kein Geisterruf, doch jetzt ist alles stille. War eine Räuberschaar in dieses Heiligthum gedrungen? Doch nein, die Silberlampe läßt ihr dunkles Licht noch auf uns fallen. Ich habe schwer geträumt und werde jetzt erst wieder mit der Welt bekannt, die mich umgiebt. Ha was erblick ich dort, ein weiblich Bild bei einem Sarge – wie Marmor kalt – es ist Celinde!

CELINDE. Ihr Geister laßt mich sterben, ich bin von Schmerzen ganz vernichtet. Was ist das Leben, was ist die Liebe werth, von solcher Angst gegeißelt von solcher Noth zerrissen.

CARDENIO. Du scheinest krank, ich kann dir[219] meinen Beistand nicht versagen, du hast die Augen fest zusammengedrückt und magst dich nicht umblicken.

CELINDE. Du bists, Cardenios Geist, ach lasse mich, die Angst hat unsre Liebe auch getrennt, wie bist du schon so schnell dem dunklen Todtenreiche zu geschritten, es traf dich nie mein Fluch, hast du mich gleich verzweifeln lassen.

CARDENIO. Kann denn ein Geist mit festem Arm dich tragen, kann einem Geist das Herz noch schlagen, kann denn ein Geist sich selbst verleugnen wollen? – Was ich auch sei, ich bin Cardenio, so wie du mich gekannt, so wie ich stets gewesen.

CELINDE. Du bists Cardenio? – dich hoffte ich nicht hier zu treffen.

CARDENIO. Was trieb dich denn hieher?

CELINDE. Die Lieb zu dir. Dich wollte ich bezaubern mit Lyrers Herz, das ich ihm entreißen wollte. Es war der Mutter Rath. Ich habe alles dir bekannt, jetzt schließ den bösen Pfaffen wieder ein, du hast ihm einmal schon die Augen zugeschlossen.

CARDENIO. Erwache doch aus deinen wilden Träumen, sein Sarg ist bis zum jüngsten Tage fest geschlossen. Weh mir, daß du so um mich leiden mußt und daß ich dir nicht helfen kann.

CELINDE. Gott sei gelobt, doch ist das alles Trug und bist du selbst kein Zauberbild der Mutter,[220] so eile schnell, hier ist es gar nicht richtig, ach mein Verstand! schnell schnell, fort, fort, fort von hier.


Sie zieht ihn fort.


TYCHE tritt vor. Erst war ein Schreien, nun ist alles still! – Celinde sprich wo bist du hingegangen? Es ist hier alles leer, die Uhr schlägt eins, sie muß durch jene Thür aus Angst entflohen sein.

CLEON kommt. Seid ihr noch hier, wie ist es denn ergangen, hat eure Tochter ohne Furcht das Werk gethan?

TYCHE. Sie ist entflohen.

CLEON vor sich. Sie sind mir doch entrissen. Er erscheint mit glühenden Augen, schwarz und gehörnt. Weib kennst du mich den Bräutigam?

TYCHE. Wohl kenn ich dich, erblinde schier vor deiner Herrlichkeit.

CLEON. Es naht dein Hochzeittag.


Er ergreift sie, sie schreit, beide versinken in die Erde.


Quelle:
Achim von Arnim: Sämmtliche Werke. Band 16, Berlin 1846, S. 217-221.
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