Die Reisenden und die Jungfrau mit dem Storche.

[287] Der Kümmeltürke und der Waisenhäuser treten auf, Dienemann führt die Maulesel hinter ihnen her.


KÜMMELTÜRKE. Das fang ich deutlich an zu bemerken, wenn ich so fortfahre mit spätem Aufstehen frühem Zubettegehen, mit Essen und Trinken, da werde ich wenig Reisebemerkungen nach Hause bringen. Es geht mir ganz eigen, wenn ich so eben Willens bin meinen Sekanten aus dem Kasten zu holen und ein Paar Sonnenhöhen zu nehmen, da tritt mir etwas vor die Augen.

WAISENHÄUSER. Was denn? Du wirst doch nicht blind von dem weißen Sande in der Wüste?

KÜMMELTÜRKE. Bewahre Gott, nein ich seh recht gut, aber ich seh zu viel; ich will dir sagen das letzte hübsche Mädchen im Wirthshaus das fällt mir immer wieder ein, wir sind Narren gewesen daß wir so fortgegangen.

WAISENHÄUSER. Du hast mich ja über Hals und Kopf fortgejagt, kaum konnte ich den kalten Braten einpacken.[287]

KÜMMELTÜRKE. Ich dachte es könnte meinem guten Rufe als philosophischem Reisenden gar sehr schaden wenn es auskäme daß ich mich mit Mädchen abgebe; es war dir ein prächtig Mädchen, wie sie sich beim Tanzen schwenkte, das war einzig, glich sie nicht meinem Kaufmannsweibchen in Halle.

WAISENHÄUSER. Nein Bruder, aber meiner Liesbeth glich sie ungemein, ich habe sie auch gleich bekehrt und in mein Verzeichnis eingetragen.

KÜMMELTÜRKE. Du bist ein Narr, du konntest ja kein Wort mit ihr sprechen, du weißt kein Türkisch.

WAISENHÄUSER. Desto leichter geht die Bekehrung, da können sie nicht disputiren, solch Volk muß man nur nicht zu Worten kommen lassen, dann ist altes verloren. Ich tauf sie ganz heimlich, ruf sie, wenn ich mich wasche und wenn sie meinen, ich rede nur so vor mich, so sage ich die Formel her, und wenn ich an die Frage komme, ob sie glauben und entsagen, da nicke ich mit dem Kopfe, das machen sie meist wie die Affen nach, dann drehen sie sich wohl um, da bespritz ich sie heimlich und die Sache ist gemacht.

KÜMMELTÜRKE. Da hast du einen bequemen Dienst, ich möchte mit dir tauschen; ich soll alles Kraut einpacken, alle Vögel ausstopfen, alle wilde Thiere abledern, das ginge altes noch, aber das verfluchte Bemerkungen machen bringt mich in der Hitze[288] noch um allen Verstand und dabei die Sorge, ob auch kein Paket verloren gegangen und wenn die Hefte der monatlichen Correspondenz ankommen, ob auch kein Druckfehler eingeschlichen der mich lächerlich macht.


Ein alter Mann zieht mit vielen Kindern vorüber.


WAISENHÄUSER. Sieh einmal wer kommt denn da, ein alter Mönch mit vielen Kindern. Je alter Vater, was macht ihr mit den Kindern, die kleinen Heiden machen ja alle das Kreuz?

DER ALTE.

Mit dem Kreuz aus Bambusrohren

Ging ich von Ostindien aus,

Doch mein Beten schien verloren,

Keiner ließ mich in sein Haus,

Und kein Alter wollt mich hören,

Falsche Götter sie bethören.


Nur ein Kind das sah mich gerne,

Lief dann beim Gebet mir nach,

Daß es Kreuzeszeichen lerne,

Andre machten ihm das nach,

Lernten bald auch die Bedeutung,

Alles das nach Gottes Leitung.


Keiner kann es ihnen nehmen,

Immer liegts in ihrem Sinn,

Daß die Väter sich bald schämen

Finden auch ihr Heil darin;

Kinder werden nun Bekehrer,

Unschuld ist der beste Lehrer.

WAISENHÄUSER. Das ist ganz nach Pestalozzis Erziehungsmethode; darf ich fragen wo Sie die kennen[289] gelernt haben? Warum eilen Sie so gewaltig, es ist heute recht heiß.


Der Alte mit den Kindern zieht kopfschüttelnd ab.


KÜMMELTÜRKE. Es ist ein eigen Volk hier, giebt aber gute Bemerkungen.

WAISENHÄUSER. Aber ich habe sie gemacht, ich habe mit dem Alten gesprochen.

KÜMMELTÜRKE. Darauf kommts nicht an, sondern wers zuerst aufgeschrieben und das bin ich, seht während ihr gesprochen habe ich geschrieben.

WAISENHÄUSER. Das leid ich aber nicht, ich schlage dir die Schreibfinger entzwei.

KÜMMELTÜRKE. Du aussätziger Judenbekehrer.

WAISENHÄUSER. Du Menschenbetrüger, willst du wieder neue Arten Vögel zusammennähen.

DIENEMANN. Friede mit euch, wißt ihr denn nicht daß wir schon im Gebiete der berühren Jungfrau mit dem Storche sind.

KÜMMELTÜRKE. Das sind Chimären.

DIENEMANN. Da kommt sie schon drei häuserhoch angeschritten, ein Storch geht an ihrer Seite.

WAISENHÄUSER. Mein Seelen ja, die werde ich auch taufen sollen, aber da muß sie sich bücken.


Die Riesenjungfrau mit dem Storche tritt auf.


JUNGFRAU. Ihr frechen Männlein wagt das Reich der Jungfrau zu beteten, wo euer Gott nichts gilt; die eine Göttin hochverehrt als Schöpferin der[290] Welt, der in der Schöpfungseil der Mann, der ein unfertig Weibsbild ist, entsprang und sich als böses Übel in die Welt verbreitet hat.

WAISENHÄUSER. Verzeihen Sie, ich muß Ihnen die Ehre haben zu sagen –

JUNGFRAU. Schweig Unverstand, erst zeige mir daß du an Klugheit überlegen und rathe mir ein Räthsel, das noch auf Erden nie ein Mensch errathen konnte, sonst tret ich dich in Staub.

WAISENHÄUSER. Wenns nicht anders sein kann, sonst ist das Rathen nicht meine Sache.

JUNGFRAU. Gieb Acht. Ich kenne einen Vogel der zieht im Herbste fort und kehrt im Frühling wieder, hat lange rothe Beine und einen langen rothen Schnabel, womit er trefflich klappern kann, hat weiß Gefieder doch vermischt mit schwarzem an den Flügeln, er baut sein Nest auf Dächern und – legt Eier.

WAISENHÄUSER. Der Storch.

KÜMMELTÜRKE. Der Storch. Storch, Storch Steiner, hast so lange Beiner.

JUNGFRAU. Ihr habt nicht recht gerathen, ich muß euch tödten, wie ich der Göttin hab gelobet. Sie tritt beide todt. Du dritter Fremdling mußt auch rathen, sei nicht erschocken über diesen Vorfall, bedenk dich wohl es gilt dein Leben.

DIENEMANN. Geist meines Freundes Wagner steh mir bei. Schreit auf. Die Störchin![291]

JUNGFRAU. Ich bin verloren, ich bin nun dein, du hasts errathen, die Störchin legt die Eier. Jetzt muß ich dir zu Willen sein, was du begehren magst.

DIENEMANN. So folge mir nach Deutschland dich fordre ich.

JUNGFRAU. Weh mir, du willst zur Frau mich nehmen.

DIENEMANN. Nein Gott bewahre, du bist mir ein Paar Stockwerk zu hoch, komm jetzt nur mit, ich will dich dort für Geld als Riesin zeigen.

JUNGFRAU. O diese Großmuth bricht den starren Sinn, ich muß dich lieben für so viele Güte.

DIENEMANN. Bleib mir vom Leibe, von einem Elephanten mag ich nicht geliebkost werden.

JUNGFRAU. Ich unglückselige ewge Jungfrau.

DIENEMANN. Ich glückseliger Junggeselle. Was werden mir die Engländer in Acre dafür bezahlen, ich werde berühmt wenn ich eine so wunderliche Riesin aus der Wüste bringe, das wird mich besser nähren als das Eseltreiben, ich binde dich an einen Strick und ziehe dich mir nach.

SIDNEY tritt von der andern Seite auf. Soll ich es wagen, bei dieser Türken Wankelmuth und Unverstand und bei der Unbekanntschaft meiner tapfern Brüder mit der Landschlacht viel verschlungner Art dem langgeübten Feinde mich zu stellen, es ist unmöglich wenn ich ruhig überlege und doch giebt mir die Sehnsucht[292] tausend Hoffnungsträume. Erst diese Nacht erschien mir eine Jungfrau mit dem Storche und sagte mir, so wie sie selbst auch dem Entfernten sei verbunden durch dieses Vogels wunderbare Züge, so sei in mir der Meere und des Landes Machtwort fest vereinet; ich sagte ihr, es sei ein leerer Traum, sie aber wollte mir am hellen Tag erscheinen. – Beim Himmel ja, sie steht vor mir.

JUNGFRAU. Sei mir gegrüßt Sieger von Akre. Sie verschwindet.

DIENEMANN. Ich bringe hier ein wunderbares Riesenweib mit einem Storche, das hab ich mir durch Klugheit eingefangen und möcht es gern zu gutem Preis verkaufen.

SIDNEY. Wo ist das Wunderthier?

DIENEMANN. Wahrhaftig ja, es hat sich losgestreift, der Strick woran ichs führte hängt an einem trocknen Feigenbaum.

SIDNEY. Bei Gott, so sah ich diesen Traum doch nicht allein, es ist kein Wahnsinn der mich blendete, was auch das Schicksal in die Hand mir giebt, ich will es tragen, will es halten und erfüllen. Ab.

DIENEMANN. Was ist das heute für ein Tag! – der hört mich nicht, die Jungfer fort, die Freunde todt, ich armer Schelm, ach wär ich nur nach Haus.


Kümmeltürke und Waisenhäuser stehen auf und sehen Dienemann nicht.[293]


KÜMMELTÜRKE. Wo ist der Schlingel, der Dienemann wieder mit den Eseln hin, sieh, sieh mein Unglück, da wälzt sich ein Esel mit meiner Kräutersammlung und mit meinen Bemerkungen. Dienemann!

WAISENHÄUSER. Meinen Esel seh ich gar nicht.

DIENEMANN. Lebst du noch, nun das freut mich, hast du nicht die Jungfrau gesehen?

KÜMMELTÜRKE. Hast du nicht nach meinen Eseln gesehen, du Erzesel. Er schlägt ihn.

WAISENHÄUSER. Meine Katechismen sind alle ins Wasser gefallen, der Esel liegt leer im Wasser, zum Teufel um den unglückselgen Traum von einer Jungfrau, der mich befiel, nun weiß ich nichts von meinem Glauben du unglückselger Dienemann. Er schlägt ihn. Schaff mir Rath wo ich meinen Glauben wiederfinde.

DIENEMANN. Ich habs gerathen und werde geschlagen und die mich schlagen, die haben nichts, gar nichts errathen.


Reicher Pilger kommt mit dem Lichterzieher ganz leise an.


REICHER PILGER. Ich höre in der Stadt so was von Schießen munkeln, ich dächte lieber Freund wir gingen etwas in die Wüste bis die Sache vorüber, weit von der Scheibe, sicher vorm Schuß, nachher haben wir immer Zeit ein Tedeum zu singen, viel mehr habe ich so nicht zu verlieren als nein Leben. –[294] Aber nun sehe er einmal wie die beiden so unmenschlich auf den dritten losschlagen, laß er uns etwas auf die Seite gehen.

LICHTERZIEHER. Gott behüte, den Untdrückten muß man beistehen. Ihr Christen, wie könnt ihr euren Mitbruder todt schlagen, es gibt ja deren so wenige hier gegen die vielen vielen Türken.

DIENEMANN. Das sag ich auch und noch dazu ihren alten Universitätskameraden und der eine will ein philosophischer Reisender sein und der andere ein Heidenbekehre.

LICHTERZIEHER. Das hätt ich mit hundert Lichtern nicht in den Leuten gesucht.

KÜMMELTÜRKE. Es ist auch aus mit der Philosophie, meine Kräuter, meine Bemerkungen, alles in den Dreck getreten.

WAISENHÄUSER. Mein Glauben, meine Katechismen, alles ins Wasser geworfen. Er weint.

REICHER PILGER. Ach meine Herren, wenn sie nichts weiter verloren haben, da trösten sie sich, nur haben sie auf dem Schiff meinen Magenwein, meine Pestropfen, mein Confekt aufgefressen, allen meinen Lebensgenuß. Ach meine Herren, wenn sie meiner Meinung sind, so wollte ich behaupten wir wären die unglücklichsten und die edelsten Menschen in der Wüste.


Es erscheinen viele reisende Araber.


DIENEMANN. Neues Unglück, unsre Araber sind[295] geflüchtet und wie die Heuschrecken jagen die flüchtigen feindlichen Araber über den Sand.

ALLE. Wir sind verloren.


Quelle:
Achim von Arnim: Sämmtliche Werke. Band 16, Berlin 1846, S. 287-296.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Halle und Jerusalem
Ludwig Achim's von Arnim sämtliche Werke: Band XVI. Halle und Jerusalem. Studentenspiel und Pilgerabenteuer
Halle und Jerusalem: Studentenspiel und Pilgerabentheuer (Jahresgaben Des Verlages)

Buchempfehlung

Neukirch, Benjamin

Gedichte und Satiren

Gedichte und Satiren

»Es giebet viel Leute/ welche die deutsche poesie so hoch erheben/ als ob sie nach allen stücken vollkommen wäre; Hingegen hat es auch andere/ welche sie gantz erniedrigen/ und nichts geschmacktes daran finden/ als die reimen. Beyde sind von ihren vorurtheilen sehr eingenommen. Denn wie sich die ersten um nichts bekümmern/ als was auff ihrem eignen miste gewachsen: Also verachten die andern alles/ was nicht seinen ursprung aus Franckreich hat. Summa: es gehet ihnen/ wie den kleidernarren/ deren etliche alles alte/die andern alles neue für zierlich halten; ungeachtet sie selbst nicht wissen/ was in einem oder dem andern gutes stecket.« B.N.

162 Seiten, 8.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Michael Holzinger hat für den zweiten Band sieben weitere Meistererzählungen ausgewählt.

432 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon