Albert und Concordia

[161] Alberts Geschichte ist wunderbar, natürlich verlangen wir Zeugnisse, denn daß sie irgend ein müßiger Kopf als eine Möglichkeit zusammenträumte, will uns, die wir so etwas ernsthaft nehmen und uns daraus belehren möchten, noch lange nicht genügen. Werden doch die Krücken selbst aufbewahrt in Bädern und heiligen Wallfahrtorten, die eine Wunderkur entbehrlich machte, und die Federn, womit wunderbare Menschen schrieben, und die Kasten, worin Schätze ausgegraben, die längst verzehrt sind; alles dergleichen bewahrt man als Zeugnis, ungeachtet es wieder Zeugnisse bedarf. Ich nenne meinen Gewährsmann für Alberts Geschichte, es ist der selige Schiffskapitän Wolfgang, der sich nach vielen Reisen endlich in seinem Geburtsorte Prenzlau in der Uckermark zur Ruhe setzte, eingedenk der fruchtreichen Hügel um den spiegelhellen See, der ewig grünenden Wiesen, die vom Schaume des Sees mit Blumen besät werden, der rauschenden festen Buchenwälder voll flüchtiger Rehe und spielender Sonnenstrahlen, vor allen eingedenk des hohen Doppelturms der prachtvollen Kirche, unter deren stillem Säulenwalde er seinen längsten Schlaf zu ruhen dachte. Bis die Posaune des Jüngsten Gerichts die Grabsteine bricht, ruht er jetzt da; – heute ist aber bei uns ein schreckhafter Sturm und mancherlei Weissagung. – Wolfgang sollte in Frankfurt an der Oder Medizin studieren; fleißig und mäßig, betrank er sich zum erstenmal am Tage, wo er Doktor wurde und wetzte am Abende mit seinem Degen auf dem Straßenpflaster, daß die Funken herumspritzten. Ein Eisenfresser trat ihm entgegen und rief: »Steh Bärenhäuter!« Da war kein Ausweichen, sie hatten beide die Degen in Händen, der Eisenfresser fiel und rief sterbend: »Bärenhäuter du hast dich brav gehalten.«[161] Was half die Genugtuung? Er flüchtete sich nach Holland, ging auf ein Kaperschiff, und nach vielen merkwürdigen Ereignissen, die uns zu weit wegab führen möchten, wurde er Besitzer eines ansehnlichen Vermögens. Als der Krieg wieder ausbrach, rüstete er ein neues Kaperschiff aus, aber von seinen alten Kameraden war keiner in der Nähe, er mußte es mit unbekanntem Volke besetzen, worunter mehrere Franzosen. Diese machten eine Verschwörung und als er sie erst mit Gewalt zerstreute und zur Pflicht brachte, banden sie ihn Nachts und setzten ihn unter einem Felsen auf einer Sandbank aus, wo gar keine menschliche Hülfe möglich zu sein schien. Er sah die Verräter in der Ferne frohlocken; ihn hungerte bald, schmerzlicher quälte ihn der Durst bei der schmählichen Hitze, er kroch mit Mühe an einen Ort des Felsens, wo ein großer Strom herabschoß, um sich zu erlaben. Doch wie er sich dem Strome näherte, hörte die starke Wasserflut plötzlich auf brausend herabzustürzen, kaum blieben ihm wenige Tropfen in einigen Aushöhlungen des Felsens zurück. Da brach sein Herz in wehmütige Klagen aus, wie die Natur zu seiner Qual ihren natürlichen Lauf unterbreche. Not lehrt beten, ihm fielen die deutschen Gebete aus seiner Kindheit ein und wie er da betete, traten drei Männer aus der Höhle heraus, wo vorher das Wasser sich ergossen, sie waren bewaffnet, fragten ihn deutsch in seiner Landessprache, wie er hierhergekommen und was er suche, lösten seine Bande und führten ihn einen bequemen gehauenen Felsenweg hinauf, welchen vorher das Wasser gegangen, so daß ihm die Menschen wie Zauberer in dem Dunkel vorkamen. Wie wurde er aber überrascht, als er beim Hinaustreten sich in einer paradiesischen Ebne befand, von Bächen durchirrt, von Bäumen beschattet, in bunten Früchten glänzend, in Blumen so heimlich. Er wurde in einem großen Baumgange, der wie eine gotische Kirche geflochten und behauen, einen sitzenden freundlich bewillkommenden Alten gewahr, der ein Herrscher dieser Insel und um alles Umständliche zu vermeiden, eben der Albert war, dessen Geschichte so wunderbar und doch genau abgeschrieben, wie er sie dem Kapitän Wolfgang einst in die Feder sagte, und ihn nachher eben so gütig heimschickte als er ihn da mals milde aufgenommen. Hier fängt er selbst zu reden an:

Meine Eltern sind mir leider unbekannt. Der kaiserliche General Graf Schaffgotsch brachte mich als ein jähriges Kind aus dem Kriege[162] in sein Haus, viele haben mich für die Frucht seiner Liebe zu einer Reichsfürstin gehalten, bei der er viele Monate in Quartier gelegen; ich nannte ihn Vater und wurde mit seinen übrigen Kindern ganz gleich auferzogen. Ich bin im Jahr 1628 geboren, und habe früh in die Schule der Leiden gehen müssen. Den 23. Julius 1635 wurde mein gnädiger Herr und Pflegvater aus unbekannten Ursachen, aber wahrscheinlich im Verdachte Wallensteinischer Verbindung zu Regensburg in meiner Gegenwart hingerichtet. Die vorausgehende Ahndung dieses seines unschuldigen Todes, da er mich noch allzutief rührt, so viele Jahre und Begebenheiten dazwischen liegen, mögt Ihr in diesem Berichte nachlesen, mein lieber Wolfgang, den mir ein lutherischer Prediger einhändigte, um damit der Menschen Mitleiden anzusprechen, als ich von der Not bezwungen nach meines Wohltäters Tode, den Bettelstab ergreifen mußte.

Quelle:
Achim von Arnim: Sämtliche Romane und Erzählungen. Bde. 1–3, Band 2, München 1962–1965, S. 161-163.
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