Die freie Nacht ist aufgegangen

[264] Die freie Nacht ist aufgegangen,

Unsichtbar wird ein Mensch dem andern,

So kann ich mit den Thränen prangen

Und hin zu Liebchens Fenster wandern.

Der Wächter rufet seine Stunden,

Der Kranke jammert seine Schmerzen,

Die Liebe klaget ihre Wunden,

Und bei der Leiche schimmern Kerzen.


Die Liebste ist mir heut gestorben,

Wo sie dem Feinde sich vermählet,

Ich habe Lieb' in Leid geborgen,

Ihr Thränen mir die Sterne zählet.

Wie herzhaft ist das Licht der Sterne,

Wie schmerzhaft ist das Licht der Fenster,

Ein dichter Nebel deckt die Ferne,

Und mich umspinnen die Gespenster.


Im Hause ist ein wildes Klingen.

Die Menschen mir so still ausweichen,

In Mitleid mich dann fern umringen:

So bin ich auch von eures Gleichen?

Mich hielt der Wald bei Tag verborgen

Die schwarze Nacht hat mich befreiet.

Mein Liebchen weckt ein schöner Morgen,

Der mich dem ew'gen Jammer weihet.


Wie oft hab' ich hier froh gesessen,

Wenn alle Sterne im Erblassen,

Ach alle Welt hat mich vergessen,

Seit mich die Liebste hat verlassen:[265]

Nichts weiß von mir die grüne Erde,

Nichts weiß von mir die lichte Sonne,

Der Mondenglanz ist mir Beschwerde,

Die Nacht ist meiner Thränen Bronne.

Quelle:
Achim von Arnim: Sämtliche Werke. Band 22: Gedichte, Teil 1, Bern 1970, S. 264-266.
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