Die Eile der Zeit in Gott

[60] Fliegendes Blat.


Der Commandant zu Groswardeyn,

Der hätt' ein einzig Töchterlein,

Theresia ihr Nahmen war,

Gott'sfürchtig, züchtig, keusch und klar.[60]


Sie war von ihrer Jugend an

Der Andacht also zugethan,

Mit Beten, Singen allezeit

Lobt sie die heilig' Dreifaltigkeit.


Wenn sie nur Jesum nennen hört,

So wurd ihr Lieb und Freud vermehrt,

Auf Jesum war ihr Thun gericht,

Zu seiner Braut sie sich verpflicht.


Ein edler Herr thät um sie freyn,

Der Vater gab den Willen drein

Die Mutter zu der Tochter spricht:

»Mein Kind, nur diesen lasse nicht.«


Die Tochter sprach: »Ach Mutter mein!

Das kann und mag ja nicht so seyn,

Mein Bräutigam ist schon bestellt,

Derselb' ist nicht auf dieser Welt.«


Die Mutter sprach: »Ach Tochter mein!

Ach thu uns nicht zuwider seyn!

Wir sind nunmehr zwey alte Leut,

Mit Geld hat uns Gott auch erfreut.«


Die Tochter fing zu weinen an:

»Ich hab schon einen Bräutigam,

Dem ich mich hab versprochen ganz,

Zu tragen meinen Jungfernkranz.«


Der Vater sprach: »Es kann nicht seyn,

Mein Kind, das bilde dir nicht ein,

Wo willt du bleiben mit der Zeit,

Sehr alt sind wir schon alle beyd.«[61]


Der edle Herr bald wieder kam,

Da stellte man die Hochzeit an,

Denn alles war voraus bereit,

Die Braut war voller Traurigkeit.


Sie ging in ihren Garten früh,

Da fiel sie nieder auf die Knie,

Sie rief von ganzem Herzen an

Jesum, ihren liebsten Bräutigam.


Sie lag auf ihrem Angesicht,

Viel Seufzer sie zu Jesu schickt.

Der liebste Jesus ihr erschien,

Und sprach: »Schau, meine Braut, vernimm:


Du sollt jezt und in kurzer Zeit,

Bey mir seyn in der wahren Freud,

Und mit den lieben Engelein

In voller Freud und Wonne seyn.«


Er grüßt die Jungfrau wunderschön,

Die Jungfrau thät vor ihme stehn,

Schamhaftig, schlägt die Augen nieder,

Empfing gar schöne Jesum wieder.


Der Jüngling an zu reden fing,

Verehrt ihr einen goldnen Ring;

»Schau da, mein' Braut zum Liebespfand,

Tragt diesen Ring an Eurer Hand.«


Die Jungfrau da schön' Rosen brach,

»Mein Bräutigam,« zu Jesu sprach:

»Hiermit sey du von mir beehrt,

Ewig mein Herz sonst keinen begehrt.«[62]


Da gingen die verliebte Zwey,

Brachen der Blumen mancherley;

Jesus da sprach zu seiner Braut:

»Kommt! meinen Garten auch beschaut.«


Er nahm die Jungfrau bey der Hand,

Führt sie aus ihrem Vaterland,

In seines Vaters Garten schön,

Darinnen viele Blumen stehn.


Die Jungfrau da mit Freud und Lust

Köstliche Früchte hat versucht,

Kein Mensch sich nicht einbilden kann,

Was da für edle Früchte stehn.


Sie hört da Musik und Gesang,

Die Zeit und Weil wird ihr nicht lang,

Die silberweiße Bächelein,

Die fließen da ganz klar und rein.


Der Jüngling sprach zu seiner Braut:

»Meinen Garten habt ihr nun beschaut,

Ich will Euch geben das Geleit

In Euer Land, es ist nun Zeit.«


Die Jungfrau schied mit Traurigkeit,

Kam vor die Stadt in kurzer Zeit,

Die Wächter hielten sie bald an,

Sie sprach: »Laßt mich zum Vater gehn.«


Wer ist ihr Vater, man sie fragt?

»Der Commandant« sie frei aussagt,

Der Eine Wächter aber spricht:

»Der Commandant kein Kind hat nicht.«[63]


An ihrer Kleidung man erkannt,

Daß sie auch sey von hohem Stand,

Ein Wächter sie geführet hat

Bis vor die Herren in der Stadt.


Die Jungfrau sagt und blieb dabey,

Der Commandant ihr Vater sey,

Und sey sie nur erst vor zwey Stund

Hinausgegangen da jetzund.


Den Herren nahm es Wunder sehr,

Man fragt, wo sie gewesen wär,

Ihr's Vaters Nahm, Stamm und Geschlecht,

Das mußte sie erklären recht.


Man suchte auf die alte Schrift,

Unter andern man auch dies antrift,

Daß sich ein Braut verloren hat

Zu Groß-Wardein in dieser Stadt.


Der Jahre Zahl man bald nachschlägt,

Hundert und zwanzig Jahr austrägt,

Die Jungfrau war so schön und klar,

Als wenn sie wäre fünfzehn Jahr.


Dabey die Herren wohl erkannt,

Daß dies ein Werk von Gottes Hand,

Man trug der Jungfrau vor viel Speis,

Im Augenblick ward sie schneeweis.


»Nichts leibliches ich mehr begehr,«

Sie bat, »bringt mir den Priester her,

Daß ich empfang vor meinem End

Den wahren Leib im Sacrament.«[64]


Sobald nun dieses ist geschehn,

Viel Christen-Menschen es gesehn,

Ward ihr ohn alles Weh und Schmerz

Gebrochen ab ihr reines Herz.


Quelle:
Achim von Arnim und Clemens Brentano: Des Knaben Wunderhorn. Band 1, Stuttgart u.a. 1979, S. 60-65.
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