1. Romanze

[392] Vorüber zieht manch edler Aar,

Herr Peter ein theurer Ritter war,

Er war so keusch, er war so rein,

Wie seines Antlitz edler Schein,

Er war bereit zu jeder Zeit,

Zu Schimpf, zu Ernst, zu Lust, zu Streit.


In junger Kraft, in fremdem Land,

Sein Mannheit machte ihn bekannt,

Als er nach Hause kehrt zurück,[392]

Bedenkt in sich sein hohes Glück,

Langsam zur Burg hinauf thut reiten,

Was sieht sein Knecht zu einer Seiten?


Er sieht ein schönes Weib da sitzen,

Von Gold und Silber herrlich blitzen,

Von Perlen und von Edelstein,

Wie eine Sonne reich und rein,

Der Knecht winkt seinen Herrn zu sich:

»Gern diente dieser Fraue ich!«


Der Ritter grüßt in großer Zucht,

Er drückt an sich die edle Frucht:

»Ihr seyd es Ritter, edler Herr,

Das Wunder das mich treibet her,

In allen Landen, wo ihr wart,

Hab ich euch glücklich stets bewahrt.«


»Kein schöner Weib hab ich erblickt,

Ich lieb euch wie es aus mir blickt.

Ich sah euch oft im tiefsten Traum,

Jezt glaub ich meinen Sinnen kaum,

Wollt Gott, ihr wärt mein ehlich Weib,

In Ehren dient ich eurem Leib.«


»Nun so wohl hin, sprach da die Zart:

Auf diese Red hab ich gewart,

Ich zog dich auf mit Liebeskraft,

Die alles wirkt, die alles schafft,

Ich bin die Deine, ewig dein,

Doch must du auch der Meine seyn.


Nie darfst du nehmen ein ander Weib,

Dir eigen ist mein schöner Leib,[393]

In jeder Nacht, wo du begehrst,

Und Macht und Reichthum dir beschert,

Ein ewig endeloses Leben,

Will ich durch meine Kraft dir geben.


Unangefocht wirst du nicht bleiben,

Man wird dich treiben, dich zu weiben,

Wo dus dann thust, red ich ohn Zagen,

So bist du todt in dreyen Tagen;

Sieh weg von mir und denke nach,

Was dir dein eignes Herze sagt.«


»Nun herzigs Weib ist dem also,

So werdet meiner Treue froh,

Was soll ich für ein Zeichen haben,

Daß ihr von mir wollt nimmer lassen?«

»So trag von mir den goldnen Ring,

Vor Unglück schützet dich der Ring.«


Mit spielendem Kuß er Abschied nahm,

Zur Messe er nach Nußbach kam,

Da ging er mit den Kreuzen auch,

Und nahte sich dem Weiherauch,

Sein Leib und Seel er Gott befahl,

Er sollt ihn schützen überall.


Quelle:
Achim von Arnim und Clemens Brentano: Des Knaben Wunderhorn. Band 1, Stuttgart u.a. 1979, S. 392-394.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Des Knaben Wunderhorn
Ludwig Achim's von Arnim sämtliche Werke: Band XVII. Des Knaben Wunderhorn. Alte deutsche Lieder, gesammelt von L. A. v. Arnim und Clemens Brentano. Band 3
Sämmtliche Werke, Neue Ausgabe. Herausgegeben von Bettina von Arnim und Wilhelm Grimm. Band 06: Des Knaben Wunderhorn I und II. - Reprint der Ausgabe von 1857
Des Knaben Wunderhorn Band 2
Des Knaben Wunderhorn. Alte deutsche Lieder, gesammelt von L.A.v. Arnim und Cl. Brentano. Neu bearbeitet von Anton Birlinger und Wilhelm Crecelius; ... in Holz geschnitten von C.G. Specht: Band. 1
Ludwig Achim's Von Arnim Sämmtliche Werke: Des Knaben Wunderhorn. T. 3 (German Edition)

Buchempfehlung

Stifter, Adalbert

Der Waldbrunnen / Der Kuß von Sentze

Der Waldbrunnen / Der Kuß von Sentze

Der Waldbrunnen »Ich habe zu zwei verschiedenen Malen ein Menschenbild gesehen, von dem ich jedes Mal glaubte, es sei das schönste, was es auf Erden gibt«, beginnt der Erzähler. Das erste Male war es seine Frau, beim zweiten Mal ein hübsches 17-jähriges Romamädchen auf einer Reise. Dann kommt aber alles ganz anders. Der Kuß von Sentze Rupert empfindet die ihm von seinem Vater als Frau vorgeschlagene Hiltiburg als kalt und hochmütig und verweigert die Eheschließung. Am Vorabend seines darauffolgenden Abschieds in den Krieg küsst ihn in der Dunkelheit eine Unbekannte, die er nicht vergessen kann. Wer ist die Schöne? Wird er sie wiedersehen?

58 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Für den dritten Band hat Michael Holzinger neun weitere Meistererzählungen aus dem Biedermeier zusammengefasst.

444 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon