Der bayrische Hiesel

[154] Fliegende Blätter.


Ey du mein liebe Thresel,

Ich bin nun wieder da,

Zu Nacht sollst mich behalten,

Gelt schlag mirs nicht ab.[154]


Ey Bayrischer Matthiesel

Zieh aus deinen Rock,

Sez dich ein Weil nieder,

Bis ich dir was koch.


Ey du mein liebe Thresel,

Es hungert mich nicht,

Ich bin gar weit gangen,

Darum bin ich müd.


Warum bist du gangen

Und bist allzu müd?

Drey Hirsch hab ich schossen,

Die hab ich bey mir.


Ey sollt dich nicht hungern,

Ey durstet dich nicht?

Mein Hund hält die Wache,

Das best ihm zuricht.


Ey Bayrischer Matthiesel

Zieh aus deine Schuh,

Leg dich ein Weile nieder

Und deck dich warm zu.


Ey du mein liebe Thresel,

Allein kanns nicht seyn,

Wenn ich im Bette liege,

Must auch bey mir seyn.


Wenn die Kuh ist gemolken,

Die Milch ist gesaiht,

So will ich schon kommen,

Da ist es noch Zeit.[155]


Sie schliefen zusammen

Die zeitlange Nacht,

Bis daß manch schön Hirschlein

Am Fenster rum grast.


»Ey Thresel sollst aufstehn,

Bring Krapfen heraus,

Zwölf Jäger sind draussen

Geschwind mach uns auf.«


Ey meine liebe Jäger

Euch laß ich nicht ein,

Ich thu mich stets fürchten

Und bin ganz allein.


»Ey du mein liebe Thresel

Du führst uns nur blind,

Dein Bayrischer Matthiesel

Ist auch bey dir drin.«


Ey Bayrischer Matthiesel,

Du kunstreicher Kund,

Zwölf Jäger sind draussen

Und drey grosse Hund.


Ey du mein liebe Thresel

Laß mir sie herein,

Ich thu mich nicht fürchten,

Wenns noch soviel seyn.


Ey Bayrischer Matthiesel

Zieh an deinen Rock,

Du must mit uns nun gehen

In Graftilands Schloß.[156]


Und eh ich mit euch gehe,

Mein Leben ich wag,

Hab noch funfzig Gulden,

Die geb ich euch dann.


Ja deine funfzig Gulden,

Die sind uns schon recht,

Die wollen wir kriegen,

Und wärs noch viel mehr.


Ey meine liebe Jäger

Noch eins ich nur frag,

Ob ich wohl im Heimgehn

Ein Gemslein mir jag?


Ey ihr meine liebe Jäger

Jezt geht es zum Schluß,

Gehn wir nicht zusammen

So giebts kein Verdruß.


Sechs Jäger sind draussen,

Sechs Jäger sind drin,

Sechs hat er geschossen,

Sechs laufen davon.


Der Hund thät sie fangen,

Sie fallen aufs Knie.

Die Thresel thut bitten:

»Die thun dirs wohl nie!«


»Ey Bayrischer Matthiesel

Das Leben uns schenk,

Wir tragen dir die Hirsche

So weit du gedenkst.«[157]


Trotz Jäger auf Almen,

Merkt grün ist mein Huth,

Drauf Schildhahnenfedern

Und Gemsbart mit Blut.


Quelle:
Achim von Arnim und Clemens Brentano: Des Knaben Wunderhorn. Band 2, Stuttgart u.a. 1979, S. 154-158.
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