Müllerlied

[392] Altes fliegendes Blat aus 1500.


Der Müller auf seim Rößlein saß,

Gar wohl er in die Mühle sah,

Er thät dem Annely winken,

O Annelin, liebstes Annelin mein,

Hilf mir den Wein austrinken.


Und da der Wein austrunken war,

Da kam ein grober Bauer dar,

Er bracht dem Müller Säcke,

Der Müller dacht in seinem Sinn,

Hätt Korn ich drein gemessen.


Der Müller in die Mühle trat,

Er wünscht den Säcken guten Tag,

Thät in die Lauten schlagen,

Und welcher Sack nit tanzen will,

Den nimmt er bei dem Kragen.


Das Bäurlein in die Mühle trat,

Er wünscht dem Müller guten Tag,[392]

Darzu ein guten Morgen,

Dank hab, Dank hab du grober Baur,

Was willstu bei mir holen.


Das Bauerlein in die Mühle schreit,

Müller hast mir das Mehl bereit?

Du hast mirs halber gestolen,

Du lügst, du lügst du grober Bauer,

Ist mir in der Mühl verstoben.


Das Bäurlein aus der Mühle trat,

Das Annelein ihm die Wahrheit sagt,

Du hast der Kleie vergessen,

Ach nein, ach nein, liebs Annelin,

Des Müllers Schwein han's gessen.


Der Müller hätt die fettsten Schwein,

Die in dem Lande mögen seyn,

Er mästs aus Bauern Säcken.

Da muß sich mancher arme Bauer

Sein Mägd und Knecht früh wecken.


Der Müller war sogar verwegen,

Er ist dem Bauer in Weg gelegen,

Es hat ihn sehr verdrossen,

Dasselbig that das Müllerlein gut,

Ist ihm gar übel erschossen.


Der Müller gäb ein Batzen drum,

Daß man ihms Liedlein nimmer sung,

Er thuts gar übel hassen,

Singt man das in der Stuben nit,

So singt mans auf der Gassen.[393]


Der uns das Liedlein neu gesang,

Ein grober Bauer ist er genannt.

Er hats gar wohl gesungen,

Er hat drei Säck in die Mühle gethan,

Sind ihm zwey wiederkommen.


Quelle:
Achim von Arnim und Clemens Brentano: Des Knaben Wunderhorn. Band 2, Stuttgart u.a. 1979, S. 392-394.
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