Streit zwischen dem blinden Cupido und einem Waldbruder

[348] Fliegendes Blat.


Cupido.


Willkomm mein lieber Eremit!

Was machst in dieser finstern Hütt?

Wie kommts, daß der verdrieslich Wald

Dir besser als die Stadt gefallt?

Soll dann ein so betrübter Stand

Das grob und rauhe Klausnerg'wand

Den schönsten Kleidern von Drador

Und Silber gehen vor?


Eremit.


Ein G'müth, so nach dem Himmel tracht,

Acht' kein Geschmuck noch Kleiderpracht,[348]

Ein Hütt so mich bedecken kann,

Ist stattlich gnug für mein Person:

Dazu wo findt man größre Freud,

Als in der süßen Einsamkeit?

Da kann man in vergnügter Ruh

Sein Leben bringen zu.


Cupido.


Ja, ja, hast recht, ich stimm dir bey

Daß es kein gemeiner Wollust sey,

Zubringen seine Lebenszeit

In Wäldern mit der Jagdbarkeit,

Wo man die Hirschen und die Reh

Sieht lustig springen in die Höh,

Doch aber so verschlossen sein,

Das geht mir gar nicht ein.


Eremit.


Ist nur ein schnöde Eitelkeit

Das irdisch Geschütz und Jagdbarkeit,

Ein rein anmüthig Klausnerg'müth,

Das ist allein mein Jagdgebieth,

Mit dem Brevier so mein Geschoß,

Geh ich auf gutes Waidwerk los,

Bring meiner Seele einen Schmaus

Von dieser Jagd nach Haus.


Cupido.


Hast du Lust zu dem Brevier,

Wie gefallt dir das? hab eins bei mir,

Das braucht so viel Durchblättern nicht.

Verlaß den Wald und gehe mit,

Ich will dich führen in die Stadt,

So schöne Pläz und Häuser hat,

Dort leben kannst in guter Ruh,

Komm! schlag dein Hütte zu.


[349] Eremit.


Wer Gott recht liebt, ihm dienen will,

Dem ist das Beten nicht zu viel,

Das Fasten und die Geisselstreich,

Die bringen mich ins Himmelreich;

Drum geh nur fort verführisch Kind,

Dein Rath ist nichts als ungesinnt,

Laß mich in meiner Klausnerey

Der Andacht wohnen bey.


Cupido.


Du bist der erst mein Eremit!

Der mich verstößt aus seiner Hütt,

Du bist da wie im Himmel drein,

Quäl dich einmal ein Gott zu seyn,

Du hast wohl nicht dazu den Muth,

Ich bin ein armes, junges Blut,

Und muß mich wagen in die Welt,

Als Gott bin ich bestellt.


Eremit.


Wenn dem so ist, gieb mir den Pfeil,

Die Vögel schieß ich zum Kurzweil,

Bleib hier mit Kutt und mit Brevier,

Dir reuet's bald, es ist halb vier,

Da kommt die alte Schäferin,

Hör an die Beicht mit frommem Sinn,

So viel ihr sind, sie sind verliebt

In jeden Eremit.[350]


Quelle:
Achim von Arnim und Clemens Brentano: Des Knaben Wunderhorn. Band 2, Stuttgart u.a. 1979, S. 348-351.
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