Wär ich ein Knab geboren

[29] Mündlich.


Es wollt ein Mädel grasen,

Wollt grasen im grünen Klee,

Begegnets ihm ein Reiter,

Wollts haben zu der Eh.


Ach komm, du hurtig Mädel,

Und setz dich zu mir her.[29]

»Ich wollt ich dürft mich setzen,

Kein Gras hats Zicklein mehr.«


Der Reiter spreit den Mantel,

Wohl über den grünen Klee:

Komm du mein wackeres Mädel,

Und setz dich zu mir her.


»Ich wollt, ich dürfte sitzen,

Das Zicklein hat kein Gras,

Hab gar ein zornig Mutter,

Sie schlägt mich alle Tag.«


Hast du ein zornig Mutter,

Und schlägt dich alle Tag,

Verbind den kleinen Finger,

Und sag, er sey dir ab.


»Wie wollt ich dürfen lügen,

Steht mir gar übel an,

Viel lieber wollt ich sprechen,

Der Ritter wär mein Mann.«


»Ach Mutter, liebe Mutter,

Ach gebt mir einen Rath,

Es reitet mir alle Tage

Ein hurtiger Ritter nach.«


Ach Tochter! liebe Tochter!

Den Rath, den geh ich dir,

Laß du den Reiter fahren,

Bleib du das Jahr bey mir.[30]


»Ach Mutter! liebe Mutter!

Der Rath, der ist nicht gut,

Der Ritter ist mir lieber,

Als all dein Hab und Gut.«


Ist dir der Reiter lieber,

Als all mein Hab und Gut,

So bind dein Kleid zusammen,

Und lauf dem Reiter zu.


»Ach Mutter! liebe Mutter!

Der Kleider hab ich nicht viel,

Gieb mir nur hundert Thaler,

So kauf ich, was ich will.«


Ach Tochter! liebe Tochter!

Der Thaler hab ich nicht viel,

Dein Vater hats verruschelt

In Würfel- und Kartenspiel.


»Hats denn mein Vater verruschelt

In Würfel- und Kartenspiel,

So sey es Gott erbarmet,

Daß ich sein Tochter bin.«


»Wär ich ein Knab geboren,

Ich wollte ziehn ins Feld,

Ich wollt die Trommel rühren,

Dem Kaiser um sein Geld.«[31]


Quelle:
Achim von Arnim und Clemens Brentano: Des Knaben Wunderhorn. Band 2, Stuttgart u.a. 1979, S. 29-32.
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